Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 23. März 2023 zum Aktenzeichen 2 BvR 1507/22 entschieden, dass die Zurückweisung eines Vollstreckungsschutzantrags gemäß § 765a ZPO im Hinblick auf die Räumung einer Mietwohnung verfassungsrechtlich bedenklich ist.
Die Eltern des Beschwerdeführers waren jedenfalls seit 1967 Mieter einer Wohnung in (…), in welcher sie gemeinsam mit dem 1961 geborenen Beschwerdeführer lebten. Der Vater des Beschwerdeführers verstarb bereits vor längerer Zeit. Die Mutter des Beschwerdeführers verzog im Jahr 2019 in ein Pflegeheim. Danach sprachen die Wohnungseigentümer zunächst gegenüber der Mutter des Beschwerdeführers und kurze Zeit später auch gegenüber dem Beschwerdeführer selbst eine Eigenbedarfskündigung aus und forderten diesen auf, die Wohnung zu räumen. Nachdem die Mutter des Beschwerdeführers im Februar 2020 verstorben war, erklärten die Wohnungseigentümer gegenüber dem Beschwerdeführer im März 2020 die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses wegen Zahlungsverzugs.
Mit Versäumnisurteil vom 3. August 2020 verurteilte das Amtsgericht Offenbach am Main den Beschwerdeführer unter anderem zur Räumung und Herausgabe der Wohnung. Der hiergegen gerichtete Einspruch des Beschwerdeführers blieb ohne Erfolg. Das Amtsgericht hielt das Versäumnisurteil mit Urteil vom 29. September 2021 aufrecht.
Zugleich wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 721 ZPO eine Räumungsfrist bis zum 31. Dezember 2021 gewährt. Die Frist von etwas mehr als drei Monaten hielt das Amtsgericht für angemessen und ausreichend, weil es innerhalb dieses Zeitraums möglich sei, in (…) eine vergleichbare Ersatzwohnung zu finden. Für die Gewährung einer längeren Räumungsfrist sei kein Raum, zumal der Beschwerdeführer seit der Kündigung, spätestens aber seit der Erhebung der Räumungsklage ernsthaft habe damit rechnen müssen, sich eine Ersatzwohnung suchen zu müssen.
Das Landgericht Darmstadt wies die hiergegen gerichtete Berufung des Beschwerdeführers hinsichtlich der Verurteilung zur Räumung und Herausgabe der Wohnung mit Urteil vom 29. April 2022 zurück. Die hierauf erhobene Anhörungsrüge des Beschwerdeführers blieb ohne Erfolg.
Mit Schreiben vom 22. Juni 2022 kündigte der zuständige Gerichtsvollzieher gegenüber dem Beschwerdeführer die Räumung der Wohnung für den 19. Juli 2022 um 12:15 Uhr an. Der Gerichtsvollzieher wies darauf hin, dass lediglich ein Austausch der Schlösser und gegebenenfalls die Ausweisung des Beschwerdeführers aus der Wohnung erfolgen werde (sogenannte Berliner Räumung, § 885a ZPO).
Mit Schreiben vom 5. Juli 2022 stellte der Beschwerdeführer beim Amtsgericht Offenbach am Main einen Vollstreckungsschutzantrag gemäß § 765a ZPO.
Zur Begründung machte er unter anderem geltend, er sei seit 58 Jahren in der zu räumenden Wohnung beheimatet. Diese sei für ihn in hohem Maße identitätsstiftend. Aufgrund seiner persönlichen Lebensgeschichte und seiner psychischen Konstitution könne er die Wohnung nicht räumen, ohne dadurch der ernsthaften Gefahr nachhaltiger schwerwiegender gesundheitlicher Beeinträchtigungen ausgesetzt zu sein. Seit dem Tod seiner Mutter sei er noch gar nicht wieder so richtig auf die Beine gekommen.
Mit seinem Antrag legte der Beschwerdeführer einen Konsiliarbericht seiner Hausärztin vom 8. September 2021 vor, die eine Indikation für eine Psychotherapie bestätigte. Weiter fügte er eine psychotherapeutische Stellungnahme eines Diplom-Psychologen vom 13. Juni 2022 bei. Darin wird ausgeführt, der Beschwerdeführer befinde sich seit dem 9. August 2021 in Psychotherapie. Er leide an einer anankastischen Persönlichkeitsstörung (F 60.5 (G)) und an einer Anpassungsstörung (F 43.2 (G)). Der Beschwerdeführer sei von extremen Zweifeln, Perfektionismus und übertriebener Gewissenhaftigkeit getrieben. Er müsse ständig alles gedanklich kontrollieren. Jegliche Veränderung erlebe er als massive Bedrohung seiner Person beziehungsweise seines Lebens. Veränderungen könnten nicht ausgehalten werden, weswegen er extrem stark an allem festhalte. Im Falle eines Verlustes seiner jetzigen dauerhaften Wohnmöglichkeit sei von einer konkreten Suizidgefahr auszugehen. Zudem drohe dann eine akute Dekompensation, die zu schwerwiegenden psychischen Problemen führen könne bis möglicherweise hin zu psychotischen Zuständen. Solange für den Beschwerdeführer der weitere Besitz seiner Wohnung und der Fortbestand seines Mietverhältnisses nicht sicher seien, werde er maximal angespannt bleiben; Hilfe werde ihn nicht erreichen können, da er sein Leben bedroht sehe. Eine stationäre Einweisung biete keine Gewähr dafür, dass er sich nicht das Leben nehmen werde.
Die Vollstreckungsgläubiger nahmen mit Schriftsatz vom 11. Juli 2022 zum Vollstreckungsschutzantrag des Beschwerdeführers Stellung und beantragten dessen Zurückweisung.
Mit – angegriffenem – Beschluss vom 15. Juli 2022 wies das Amtsgericht Offenbach am Main den Vollstreckungsschutzantrag als unbegründet zurück, weil die engen Voraussetzungen des § 765a ZPO nicht gegeben seien.
Nach § 765a ZPO dürfe vom Vollstreckungsgericht nur dann Räumungsaufschub gewährt werden, wenn die sofortige Räumungsvollstreckung auch unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände für den Schuldner eine Härte bedeute, die mit den guten Sitten nicht vereinbar sei. Nach ständiger Rechtsprechung genüge allein die Tatsache, dass eine Ersatzwohnung nicht zur Verfügung stehe, nicht, um die strengen Voraussetzungen des § 765a ZPO zu bejahen, weil das Fehlen von Ersatzwohnraum nicht als „ganz besonderer Umstand“ im Sinne dieser Vorschrift bewertet werden könne. Denn eine Räumungsvollstreckung stelle in aller Regel für den Schuldner eine meist fühlbare Härte dar.
Für das Vorliegen einer nicht nur fühlbaren, sondern sittenwidrigen Härte seien seitens des Beschwerdeführers hinreichende Gründe nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich. Im Einklang mit der Stellungnahme des behandelnden Psychotherapeuten habe der Beschwerdeführer dem Vollstreckungsgericht gegenüber angegeben, dass er emotional sehr an der Wohnung hänge, in der er mit seiner Mutter gelebt habe. Er könne sich nicht vorstellen, die Wohnung zu verlassen, solange diese existiere.
Da eine einstweilige Einstellung der Räumungsvollstreckung lediglich einen temporären Aufschub ermögliche und mit großer Gewissheit davon auszugehen sei, dass die zu räumende Wohnung auch nach Ablauf einer befristeten Einstellung noch existieren werde, sei eine solche nicht abschließend zielführend für den Beschwerdeführer. Zudem entbinde die emotionale Bindung des Beschwerdeführers an die Wohnung ihn nicht davon, dem titulierten Räumungsbegehren der Gläubiger nachzukommen.
Soweit der Facharzt angegeben habe, eine andere Wohnung sei kein adäquater Ersatz, sei zu berücksichtigen, dass typische mit der Vollstreckung im Zusammenhang stehende Nachteile, wie beispielsweise der Verlust des Wohnraums nach einer Zwangsräumung und die regelmäßig damit einhergehenden psychischen Belastungen, ohne Weiteres hinzunehmen seien.
Die Gewährung von Vollstreckungsschutz gemäß § 765a ZPO komme dann und insoweit in Betracht, als eine schwere, unbehebbare Rechtsgutgefährdung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anhand objektiv feststellbarer Merkmale festgestellt werden könne. Es müsse von einer konkreten und akuten Gefahr ausgegangen werden können. Hierbei sei auch zu berücksichtigen, ob der Schuldner zumutbare Bemühungen zur Verringerung des Krankheitsrisikos unternommen habe.
Vor einer in Betracht kommenden Einstellung der Zwangsvollstreckung sei stets zu prüfen, ob der Gefahr für den Schuldner nicht auf andere Weise wirksam begegnet werden könne, beispielsweise gegebenenfalls durch einen Klinikaufenthalt oder dessen Unterbringung nach landesrechtlichen Vorschriften.
Die Prüfung der Voraussetzungen auf einstweilige Einstellung der Räumungsvollstreckung sei vorliegend entbehrlich, da eine solche gemäß ärztlicher Stellungnahme und den Auskünften des Beschwerdeführers nicht den gewünschten Erfolg verspreche. Weiterhin sei nicht einmal eine stationäre Einweisung des Beschwerdeführers zu einer Stabilisierung dessen Gesundheitszustands dienlich.
Die zuständige Betreuungsbehörde erhalte daher eine Abschrift des Beschlusses zur Prüfung betreuungsgerichtlicher Maßnahmen. Zudem werde die Stadt (…) hierüber in Kenntnis gesetzt, ebenfalls mit der Bitte um Prüfung, welche weiteren Maßnahmen eingeleitet werden könnten, um die Gesundheit des Beschwerdeführers zu erhalten.
Der Beschwerdeführer sei bereits (Mit-)Eigentümer einer Eigentumswohnung (gegebenenfalls sogar zweier Eigentumswohnungen), welche als Ersatz dienen könnten. Notfalls müsse es dem Beschwerdeführer überlassen bleiben, zur Vermeidung der Obdachlosigkeit die Verwaltungsbehörde anzurufen, die nach öffentlichem Recht die Unterkunft des Beschwerdeführers zu regeln habe.
Überdies stehe der Annahme einer sittenwidrigen Härte entgegen, dass zwischen Erlass des Räumungsurteils und der vorgesehenen Zwangsräumung ein erheblicher Zeitraum liege, der ausgereicht haben müsste, um eine Ersatzunterkunft zu beschaffen, wenn der Beschwerdeführer den zu erwartenden guten Willen und die gebotene Energie hierfür aufgewendet hätte. Davon abgesehen habe der Beschwerdeführer die Zwangsvollstreckung im September 2021 bereits einmal durch Hinterlegung einer Sicherheitsleistung abgewandt, so dass ihm der drohende Verlust seiner Wohnung bekannt gewesen sein müsse.
Schließlich stehe dem Vollstreckungsschutzantrag das nach § 765a ZPO zu würdigende Schutzbedürfnis des Gläubigers auf nunmehr alsbaldige Verwirklichung des titulierten Räumungsanspruchs entgegen. Die finanzielle Belastung sei seitens der Gläubiger ausreichend dargetan und die Zahlungsverpflichtung des Beschwerdeführers belegt worden. Der Beschwerdeführer komme der titulierten Zahlungsverpflichtung nicht in der festgestellten Höhe nach.
Hiergegen legte der Beschwerdeführer am 19. Juli 2022 zur Niederschrift des Vollstreckungsgerichts Beschwerde ein.
Zur Begründung brachte er unter anderem vor, das mögliche Vorhandensein von Ersatzwohnraum sei nicht entscheidend, da er aufgrund seiner gesundheitlichen Situation auf die zu räumende Wohnung angewiesen sei. Nach seiner Auffassung müsse zu seinem Gesundheitszustand eine Beweiserhebung (Begutachtung) vorgenommen werden. Andernfalls sähe er sich in seinen Grundrechten verletzt. Es sei daher auch eine vorläufige Einstellung der Vollstreckung hilfreich; die Prüfung der hierfür erforderlichen Voraussetzungen sehe er nicht als entbehrlich an.
Mit Beschluss vom 19. Juli 2022 half das Amtsgericht Offenbach am Main der sofortigen Beschwerde nicht ab und legte die Sache dem Landgericht Darmstadt zur Entscheidung vor.
Das Beschwerdevorbringen rechtfertige eine abweichende Beurteilung der Sach- und Rechtslage nicht. Soweit der Beschwerdeführer vorbringe, eine Räumung werde gesundheitliche Folgen für ihn nach sich ziehen, sei dieser Umstand bereits in der Entscheidung vom 15. Juli 2022 geprüft worden, auf welche Bezug genommen werde. Das Verlangen des Beschwerdeführers auf Begutachtung seines Gesundheitszustands hätte bereits in dem der Räumung zugrundeliegenden Verfahren geltend gemacht werden können. Denn ihm habe schon zu diesem Zeitpunkt bewusst gewesen sein müssen, worauf das Verfahren abziele und welche Konsequenzen es mit sich bringen werde. Aufgrund der „zeitlichen Knappheit“ seien weitergehende Maßnahmen durch das Vollstreckungsgericht nicht möglich gewesen.
Der Beschwerdeführer bringe keine neuen Tatsachen vor, sondern wiederhole lediglich sein Vorbringen, welches im Zivilverfahren sowie in dem Räumungsschutzverfahren bereits berücksichtigt worden sei oder hätte berücksichtigt werden müssen.
Mit – angegriffenem – Beschluss vom 19. Juli 2022 wies das Landgericht Darmstadt die sofortige Beschwerde „aus den zutreffenden, ausführlichen Gründen der Beschlüsse des Amtsgerichts vom 15. Juli 2022 und 19. Juli 2022“ als unbegründet zurück.
Vorliegend erscheint eine Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG durch das Vorgehen der Vollstreckungsgerichte nicht ausgeschlossen.
Das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verpflichtet die Vollstreckungsgerichte, bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 765a ZPO auch die Wertentscheidungen des Grundgesetzes und die dem Schuldner in der Zwangsvollstreckung gewährleisteten Grundrechte zu berücksichtigen. Eine unter Beachtung dieser Grundsätze vorgenommene Würdigung aller Umstände kann in besonders gelagerten Einzelfällen dazu führen, dass die Vollstreckung für einen längeren Zeitraum und – in absoluten Ausnahmefällen – auf unbestimmte Zeit einzustellen ist. Ergibt die erforderliche Abwägung, dass die der Zwangsvollstreckung entgegenstehenden, unmittelbar der Erhaltung von Leben und Gesundheit dienenden Interessen des Schuldners im konkreten Fall ersichtlich schwerer wiegen als die Belange, deren Wahrung die Vollstreckungsmaßnahme dienen soll, so kann der trotzdem erfolgende Eingriff das Prinzip der Verhältnismäßigkeit und das Grundrecht des Schuldners aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verletzen.
Die Vollstreckungsgerichte haben in ihrer Verfahrensgestaltung die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, damit Verfassungsverletzungen durch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen ausgeschlossen werden und der sich aus dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit ergebenden Schutzpflicht staatlicher Organe Genüge getan wird.
Nach diesen Maßstäben begegnen die angegriffenen Entscheidungen hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) aus verfassungsrechtlicher Sicht Bedenken.
Das Amtsgericht hat eine Prüfung der Einstellungsvoraussetzungen des § 765a ZPO letztlich als entbehrlich angesehen, weil die einstweilige Einstellung des Verfahrens nach der „ärztlichen Stellungnahme“ und den Angaben des Beschwerdeführers „nicht abschließend zielführend“ für den Beschwerdeführer sei. Dabei verkennt das Gericht bereits, dass die Vollstreckung nach § 765a ZPO in absoluten Ausnahmefällen auch auf unbestimmte Zeit eingestellt werden kann. Auch lässt der angegriffene Beschluss eine sorgfältige Prüfung der Frage vermissen, inwiefern der vorgetragenen Gefahr für Leib und Leben des Beschwerdeführers auch durch eine nur einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung hätte begegnet werden können. Es erscheint – trotz der entgegenstehenden psychotherapeutischen Stellungnahme – jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen, dass sich der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers während eines vorläufigen Räumungsaufschubs hinreichend stabilisieren würde, was gegebenenfalls durch Einholung eines Sachverständigengutachtens hätte geklärt werden müssen. Dies gilt umso mehr, als der Beschwerdeführer mit seiner sofortigen Beschwerde geltend gemacht hat, dass auch eine vorläufige Einstellung der Vollstreckung für ihn hilfreich sei.
War die Prüfung der Einstellungsvoraussetzungen danach – entgegen der Auffassung des Amtsgerichts – nicht schon von vornherein entbehrlich, erscheint es verfassungsrechtlich bedenklich, dass das Amtsgericht keine weiteren Feststellungen dazu getroffen hat, ob aufgrund der bevorstehenden Räumung ernsthaft mit einer Gefahr für Leib oder Leben des Beschwerdeführers zu rechnen war.
Macht der Vollstreckungsschuldner für den Fall einer Zwangsräumung substantiiert ihm drohende schwerwiegende Gesundheitsgefahren geltend, haben sich die Tatsacheninstanzen – beim Fehlen eigener Sachkunde – zur Achtung verfassungsrechtlich verbürgter Rechtspositionen wie in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG regelmäßig mittels sachverständiger Hilfe ein genaues und nicht nur an der Oberfläche haftendes Bild davon zu verschaffen, welche gesundheitlichen Folgen im Einzelnen mit einem Umzug verbunden sind, insbesondere welchen Schweregrad zu erwartende Gesundheitsbeeinträchtigungen voraussichtlich erreichen werden und mit welcher Wahrscheinlichkeit dies eintreten kann.
Der Tatrichter hat festzustellen, ob aufgrund einer Maßnahme der Zwangsvollstreckung ernsthaft mit einer Gefahr für Leib oder Leben des Schuldners zu rechnen ist. Die damit einhergehende Prognoseentscheidung hat er mit Tatsachen zu untermauern.
Vor diesem Hintergrund werfen insbesondere die Ausführungen des Amtsgerichts im Nichtabhilfebeschluss in verfassungsrechtlicher Hinsicht Zweifel auf. Soweit das Amtsgericht eine Begutachtung des Gesundheitszustands des Beschwerdeführers mit der Begründung abgelehnt hat, aufgrund der „zeitlichen Knappheit“ seien weitergehende Maßnahmen durch das Vollstreckungsgericht nicht möglich gewesen, hat es verkannt, dass das Vollstreckungsgericht nach § 765a Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 732 Abs. 2 ZPO befugt ist, vor der endgültigen Entscheidung über einen Vollstreckungsschutzantrag eine einstweilige Anordnung zu erlassen; es kann insbesondere anordnen, dass die Zwangsvollstreckung gegen oder ohne Sicherheitsleistung einstweilen einzustellen sei. Macht der Vollstreckungsschuldner für den Fall einer Zwangsräumung substantiiert geltend, ihm drohten durch eine solche Maßnahme schwerwiegende Gesundheitsgefahren, kann das Vollstreckungsgericht die Vollstreckung einstweilen anhalten, bis eine Begutachtung erfolgt ist und das Gericht auf gesicherter Tatsachenlage eine abschließende Entscheidung über den Vollstreckungsschutzantrag treffen kann.
Das Amtsgericht hat der sich aus dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit ergebenden Schutzpflicht staatlicher Organe auch nicht dadurch Genüge getan, dass es die Betreuungsbehörde und die Stadt (…) mit der Bitte um Prüfung weiterer Maßnahmen von der drohenden Räumung in Kenntnis gesetzt hat. Das Gericht darf die Entscheidung über die Notwendigkeit von Schutzmaßnahmen im Rahmen der Zwangsräumung nicht dem Verantwortungsbereich Dritter überlassen. Vielmehr hat das Vollstreckungsgericht selbst zu prüfen, wie einer Gefahr für Leib und Leben gegebenenfalls zu begegnen ist und in eigener Zuständigkeit sicherzustellen, dass die zuständigen öffentlichen Stellen rechtzeitig tätig werden.
Vor dem Hintergrund der vorstehend aufgezeigten Mängel der Entscheidungen des Amtsgerichts erscheint es ebenfalls bedenklich, dass das Landgericht sich in seiner Entscheidung über die sofortige Beschwerde die Ausführungen des Amtsgerichts ohne weitere Begründung uneingeschränkt zu eigen gemacht hat.