Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 20. Mai 2022 zum Aktenzeichen 2 BvR 1982/20 entschieden, dass die Zurückweisung eines Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe verfassungswidrig ist.
Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Zurückweisung eines Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe.
Die Beschwerdeführerin erwarb im Dezember 2018 einen Gebrauchtwagen zum Preis von 1700 Euro. Nachdem verschiedene Mängel an dem Fahrzeug auftraten, begehrte sie die Rückabwicklung des Kaufvertrags und übergab dem Antragsgegner des Ausgangsverfahrens am 27. Mai 2019 das Fahrzeug samt Schlüssel. In der Folgezeit verlangte sie mehrfach
Mit Schriftsatz vom 24. Januar 2020 beantragte die Beschwerdeführerin die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und erhob – bedingt auf deren Bewilligung – Klage gegen den Antragsgegner auf Rückerstattung des Kaufpreises. Dabei trug sie unter Benennung von Zeugen vor, der Antragsgegner habe ihr am 27. Dezember 2018 ohne Ausschluss der Gewährleistung ein Fahrzeug der Marke VW Polo Fox, silber, versprochen, das keinerlei Probleme habe und vollkommen heil und unfallfrei sei. Er habe lediglich die Zylinderkopfdichtung austauschen müssen, ansonsten unterscheide sich das Fahrzeug von einem Neuwagen nicht. Bereits einen Tag nach Übergabe des Fahrzeugs am 25. März 2019 habe das Fahrzeug jedoch einen vollständigen Ölverlust und Probleme mit Schaltung und Getriebe aufgewiesen. Gemäß des TÜV-Berichts vom 16. Mai 2019 habe das Fahrzeug zudem weitere erhebliche Mängel aufgewiesen.
Zwar hat das Gericht bei der Abfassung seiner Entscheidungsgründe eine gewisse Freiheit und kann sich auf die für den Entscheidungsausgang wesentlichen Aspekte beschränken, ohne dass darin ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG liegt. Wenn aber ein bestimmter Vortrag einer Partei den Kern des Parteivorbringens darstellt und für den Prozessausgang eindeutig von entscheidender Bedeutung ist, besteht für das Gericht eine Pflicht, die vorgebrachten Argumente zu erwägen. Ein Schweigen lässt hier den Schluss zu, dass der Vortrag der Prozesspartei nicht oder zumindest nicht hinreichend beachtet wurde. Dagegen aber schützt Art. 103 Abs. 1 GG.
Diesen Maßstäben wird der Beschluss des Landgerichts vom 14. August 2020 nicht gerecht.
Das Landgericht setzt sich nicht im Ansatz damit auseinander, dass die Beschwerdeführerin mehrfach vorgetragen hatte, dass der Antragsgegner ihr die Rückabwicklung des Kaufvertrags angeboten habe. Wenn sich die Parteien jedoch tatsächlich – wie die Beschwerdeführerin behauptet – über die Rückabwicklung des Kaufvertrags einig waren, käme es auf die Voraussetzungen eines Rücktrittsrechts nach § 437 Nr. 2, § 440, § 323 BGB – auf deren Fehlen allein das Landgericht die Ablehnung des Prozesskostenhilfeantrags gestützt hat – nicht an. Insofern lässt das Schweigen der Entscheidungsgründe zu diesem Vorbringen der Beschwerdeführerin den Schluss zu, dass der Vortrag der Beschwerdeführerin nicht oder zumindest nicht hinreichend beachtet wurde.
Durch den Anhörungsrügebeschluss vom 14. September 2020 wurde die Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG nicht geheilt, da das Landgericht die Anhörungsrüge rechtsfehlerhaft als unzulässig verworfen hat. Obwohl die Beschwerdeführerin mit ihrer Anhörungsrüge ausdrücklich geltend gemacht hat, dass sie ihren Zahlungsanspruch auch auf eine Einigung mit dem Antragsgegner über die Rückabwicklung des Kaufvertrags und nicht lediglich auf ein Rücktrittsrecht aus § 437 Nr. 2, § 323 BGB gestützt habe, vertritt das Landgericht die Auffassung, damit sei eine Gehörsverletzung nicht dargelegt, weil die Kammer nicht verpflichtet gewesen sei, zu diesem Vorbringen in den Gründen des angefochtenen Beschlusses Stellung zu nehmen. Damit verkennt das Landgericht weiterhin, dass die Beschwerdeführerin ihr Klagebegehren auf zwei voneinander unabhängige Klagegründe gestützt hatte und die Ablehnung eines Rücktrittsrechts aus § 437 Nr. 2, § 323 BGB in dem Beschluss vom 14. August 2020 für die behauptete Vereinbarung einer Rückabwicklung unerheblich ist, sodass es einer gesonderten Auseinandersetzung mit diesem zweiten Kernvorbringen bedurft hätte, um dem Anspruch der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör zu genügen.
Ob der Beschluss des Landgerichts vom 14. September 2020 die Beschwerdeführerin eigenständig in ihrem Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG und/oder in ihrem Recht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verletzt, weil das Landgericht mit der Verwerfung der Anhörungsrüge als unzulässig schon den Zugang zum Anhörungsrügeverfahren verwehrt hat bedarf keiner Entscheidung. Jedenfalls soweit das Landgericht (hilfsweise) die Anhörungsrüge als unbegründet erachtet hat, entfaltet der Beschluss eine eigenständige Beschwer und verletzt er die Beschwerdeführerin in ihrem Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.
Die Auslegung und Anwendung der Vorschriften zur Prozesskostenhilfe obliegen in erster Linie den zuständigen Fachgerichten, die dabei den verfassungsgebotenen Zweck der Prozesskostenhilfe zu beachten haben. Das Bundesverfassungsgericht kann hier nur eingreifen, wenn Verfassungsrecht verletzt ist, insbesondere, wenn die angegriffene Entscheidung Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verbürgten Rechtsschutzgleichheit beruhen. Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. Es ist dabei verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklich, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Prozesskostenhilfe darf verweigert werden, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist; die Anforderungen an die Erfolgsaussichten dürfen jedoch nicht überspannt werden.
Eine Beweisantizipation ist im Prozesskostenhilfeverfahren in begrenztem Rahmen zulässig. Die verfassungsgerichtliche Prüfung beschränkt sich in diesen Fällen darauf, ob konkrete und nachvollziehbare Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine Beweisaufnahme über die streitigen Tatsachen mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Beschwerdeführers ausgehen würde. Kommt jedoch eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht und liegen keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Beschwerdeführers ausgehen würde, so läuft es dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit zuwider, dem Unbemittelten wegen fehlender Erfolgsaussichten seines Rechtsschutzbegehrens Prozesskostenhilfe zu verweigern.
Danach verletzt der Beschluss des Landgerichts vom 14. September 2020 die Beschwerdeführerin in ihrem Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit.
Die vom Landgericht unter Hinweis auf widersprüchlichen Parteivortrag vorgenommene Beweisantizipation war unzulässig. Die Beschwerdeführerin hat unter Benennung ihrer Schwester als Zeugin vorgetragen, der Antragsgegner habe in einem Telefonat mit der Schwester der Beschwerdeführerin zugesagt, dass er versuchen werde, das Auto innerhalb von drei Wochen zu verkaufen. Wenn er es verkaufe, bekomme die Beschwerdeführerin ihr Geld unmittelbar im Anschluss, wenn nicht, bekomme die Beschwerdeführerin ihr Geld spätestens in drei Wochen. Demgegenüber hatte der Antragsgegner vorgetragen, er habe die Beschwerdeführerin wegen irgendwelcher Ansprüche immer an den eigentlichen Verkäufer, der sich aus den Fahrzeugpapieren ergebe, verwiesen. Dennoch habe er ihr bei einem Weiterverkauf des Fahrzeugs behilflich sein wollen.
Entgegen der Ansicht des Landgerichts war der Vortrag der Beschwerdeführerin insoweit nicht erkennbar widersprüchlich. Vielmehr sind durchaus Gründe denkbar, aus denen der Antragsgegner der Beschwerdeführerin in der von ihr behaupteten Weise die Rückabwicklung des Kaufvertrags zugesagt haben könnte. Wie die Beschwerdeführerin zutreffend ausführt, stellt das Gericht allein die Motiv- und Interessenlage des Antragsgegners in Frage, ohne hierdurch jedoch Widersprüche im Vortrag der Beschwerdeführerin aufzuzeigen, die insoweit allein eine (angebliche) Aussage des Antragsgegners wiedergegeben hat. Ob der Antragsgegner der Beschwerdeführerin tatsächlich die Erstattung des Kaufpreises zugesagt hat, wäre insofern durch eine Vernehmung der von der Beschwerdeführerin benannten Zeugin zu klären. Konkrete und nachvollziehbare Anhaltspunkte dafür, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil der Beschwerdeführerin ausgehen würde, liegen nicht vor.
Der Beschluss des Landgerichts beruht auch auf der unzulässigen Beweisantizipation, soweit es die Anhörungsrüge als unbegründet erachtet. Aus der Rechtsauffassung des Landgerichts, an die Vereinbarung eines vertraglichen Rücktrittsrechts dürften keine zu geringen Anforderungen zu stellen sein, bei der Annahme (konkludenter) vertraglicher Rücktrittsrechte sei Vorsicht geboten, um nicht in illegitimer Weise Chancen und Risiken eines bereits abgeschlossenen Geschäfts umzuverteilen, ergibt sich nicht, dass der Vortrag der Beschwerdeführerin bereits unschlüssig war. Die Annahme, das Angebot des Antragsgegners, das Fahrzeug zurückzunehmen und zu versuchen, es anderweitig zu verkaufen, könne auch als bloßes kulanzweises Entgegenkommen zu bewerten sein, stellt ihrerseits eine unzulässige Beweisantizipation dar.