Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 30. August 2023 zum Aktenzeichen 3 C 15.22 entschieden, dass nach der Übergangsbestimmung in § 65 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) § 29 StVG in der bis zum Ablauf des 30. April 2014 geltenden Fassung nur hinsichtlich der Tilgung und Löschung von bis zum 30. April 2014 im Verkehrszentralregister gespeicherten Entscheidungen (Alteintragungen) anwendbar ist, nicht auch für die Verwertung dieser Eintragungen bei der Berechnung des Punktestands. Die Verwertbarkeit richtet sich nach § 29 Abs. 7 Satz 1 StVG in der ab dem 1. Mai 2014 geltenden Fassung. Dementsprechend besteht ein Verwertungsverbot nicht mehr bereits ab Tilgung bzw. Tilgungsreife der Eintragungen, sondern erst, wenn zusätzlich die Überliegefrist von einem Jahr abgelaufen ist. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.
Aus der Pressemitteilung des BVerwG Nr. 64/2023 vom 30.08.2023 ergibt sich:
Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis auf der Grundlage des Fahreignungs-Bewertungssystems.
Mit Bescheid vom 29. Juli 2015 entzog der Beklagte dem Kläger, der seit dem Jahr 2000 eine Reihe von Verkehrsverstößen begangen hatte, die Fahrerlaubnis. Unter Berücksichtigung von bis zum 30. April 2014 im Verkehrszentralregister gespeicherten Alteintragungen sowie der weiteren Eintragungen im Fahreignungsregister seit dem 1. Mai 2014 ergäben sich beim Kläger acht Punkte. Deshalb lägen die Voraussetzungen für eine Fahrerlaubnisentziehung gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG vor. Seine nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage ist in den beiden Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben.
Auf die Revision des Klägers hat das Bundesverwaltungsgericht die vorinstanzlichen Entscheidungen geändert und die Fahrerlaubnisentziehung aufgehoben. Das Oberverwaltungsgericht ist zwar zurecht davon ausgegangen, dass die Regelung in § 65 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 StVG zur Überführung der Bestimmungen über das Verkehrszentralregister in das ab dem 1. Mai 2014 geltende Fahreignungs-Bewertungssystem nur für die Tilgung und Löschung der Alteintragungen auf § 29 StVG in der bis zum Ablauf des 30. April 2014 geltenden Fassung verweist, nicht auch hinsichtlich der Verwertung dieser Eintragungen. Das ergibt sich insbesondere aus dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte der Norm. Dagegen ist dem zum 1. Mai 2014 in Kraft getretenen § 29 Abs. 7 Satz 1 StVG zu entnehmen, inwieweit diese Alteintragungen verwertbar sind, also bei der Berechnung des Punktestandes berücksichtigt werden dürfen. Die durch die Neuregelung bewirkte Verlängerung der Verwertbarkeit der Eintragungen um die einjährige Überliegefrist hat hier nur eine unechte Rückwirkung zur Folge, die verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Doch beruht das Berufungsurteil auf einem Bundesrechtsverstoß, weil das Oberverwaltungsgericht bei der Anwendung von § 29 Abs. 7 Satz 1 StVG auf die zum Kläger im Verkehrszentralregister gespeicherten Alteintragungen nicht auf den Zeitpunkt des Erlasses der letzten Verwaltungsentscheidung, hier also des Widerspruchbescheids vom 23. Februar 2016, sondern auf den Erlass des Ausgangsbescheids vom 29. Juli 2015 abgestellt hat. Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer auf § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG gestützten Fahrerlaubnisentziehung ist aber nach ständiger Rechtsprechung der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung. Bei Erlass des Widerspruchsbescheids war in Bezug auf die Alteintragungen bereits Löschungsreife und damit das absolute Verwertungsverbot des § 29 Abs. 7 Satz 1 StVG eingetreten. Die seit dem 1. Mai 2014 im Fahreignungsregister gespeicherten Entscheidungen (Neueintragungen) hatten zu keiner weiteren Tilgungshemmung geführt. Deshalb durften die sich aus den Alteintragungen ergebenden Punkte bei der Berechnung des Punktestands nicht mehr berücksichtigt werden. Der Kläger hatte daher zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt nicht mehr die gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG für eine Fahrerlaubnisentziehung erforderlichen acht Punkte erreicht.