Das Amtsgericht Duisburg hat mit Urteil vom 01.12.2020 zum Aktenzeichen 53 C 1811/20 entschieden, dass ein Reiseveranstalter eine angemessene Entschädigung verlangen kann, wenn Reisende eine gebuchte Reise stornieren, obwohl zum Zeitpunkt der Stornierung eine gewisse Wahrscheinlichkeit gegeben ist, dass die Reise normal stattfinden kann.
Aus dem Newsletter des Verbraucherzentrale Bundesverbandes e.V. vom 01.04.2021 ergibt sich:
Im vorliegenden Fall buchten die Kläger bei der Beklagten, einem Reiseveranstalter, am 05.02.2020 für den Zeitraum vom 08.03.2020 bis zum 15.03.2020 eine Flugpauschalreise nach Gran Canaria. Der Reisepreis betrug für zwei Erwachsene 2.854,00 EUR. Die Kläger bestätigten mit ihrer Unterschrift ihr Einverständnis mit der Geltung der Reise- und Zahlungsbedingungen des Reiseveranstalters. Mit Schreiben vom 03.03.2020 traten die Kläger vom Reisevertrag zurück. Die Beklagte bestätigte mit Schreiben vom 03.03.2020 die Stornierung der Reise, erhob Stornierungskosten in Höhe von 75 % des Reisepreises und erstattete an die Kläger einen Betrag von 713,50 EUR. Die Prozessbevollmächtigten der Kläger forderten die Beklagte mit Schreiben vom 20.05.2020 zur Auszahlung der Stornokosten in Höhe von 2.140,50 EUR auf. Da die Beklagte sich weigerte, reichten die Kläger eine Klage gerichtet auf die Zahlung der Stornokosten beim Amtsgericht Duisburg ein.
Das AG Duisburg hat die Klage abgewiesen. Es führt aus, dass der Reiseveranstalter zwar den Anspruch auf den vereinbarten Reisepreis verliere, wenn der Reisende vom Vertrag zurücktritt. Er kann jedoch eine angemessene Entschädigung verlangen. Eine Entschädigung kann nicht verlangt werden, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen. Umstände sind unvermeidbar und außergewöhnlich in diesem Sinne, wenn sie nicht der Kontrolle der Partei unterliegen, die sich hierauf beruft, und sich ihre Folgen auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Vorkehrungen getroffen worden wären.
In Bezug auf die Corona-Krise komme es nach Ansicht des Amtsgerichts für die Beurteilung darauf an, wann der Reisende zurückgetreten ist und ob die Gegebenheiten zu dieser Zeit bereits als außergewöhnliche Umstände zu qualifizieren sind. Hier verbiete sich jede schematische Betrachtung, maßgeblich bleiben vielmehr die Geschehnisse des konkreten Einzelfalles. In diesem Zusammenhang sei für die Bewertung der Zeitpunkt der Ausübung des Gestaltungsrechts maßgeblich. Es handele sich um eine Prognoseentscheidung, für die es auf eine ex-ante-Betrachtung ankommt. Im Falle eines übereilten Rücktritts falle in aller Regel eine Entschädigung an. Daran ändere sich nichts, wenn sich im Nachhinein eine Betroffenheit der späteren Reise von außergewöhnlichen Ereignissen ergibt und sich der Rücktritt ex-post darauf stützen ließe. Die entrichteten Stornogebühren könne der Kunde nicht zurückverlangen.
Liegen zum Zeitpunkt des Rücktritts keine amtlichen Reisewarnungen vor und ist das Zielgebiet noch nicht von dem Ausbruch betroffen, schließt das die Annahme eines außergewöhnlichen Umstandes nicht generell aus, so das Amtsgericht Duisburg. Vielmehr genüge zur dahingehenden Einordnung bereits eine gewisse Wahrscheinlichkeit für eine gesundheitsgefährdende Ausbreitung. Was den Grad der Gefahr angelangt, dass ein Reisender von der Katastrophe betroffen wird, genüge es, wenn hierfür eine erhebliche Wahrscheinlichkeit besteht; es muss nicht überwiegend wahrscheinlich sein, dass sich das Risiko verwirklicht. Gerade bei Ereignissen, von denen im Ernstfall die Gefahr des Todes oder erheblicher Gesundheitsschäden ausgehen, muss genügen, dass bei unvoreingenommener Betrachtung ein konkretes Risiko besteht. Bei Epidemien kann man nach Ansicht des Amtsgerichts hiervon schon dann ausgehen, wenn am Reiseort im Vergleich zum Wohnort des Reisenden und der Zeit der Reisebuchung ein deutlich erhöhtes Ansteckungsrisiko besteht. Reisehinweise des Auswärtigen Amtes können je nach Einschätzung der Sicherheitslage die Empfehlung enthalten, Reisen einzuschränken oder auf sie zu verzichten. Auch solche Reisehinweise können als Indizien für einen Rücktritt ohne Entschädigung angesehen werden, denn auch sie geben Hinweise darauf, ob mit erheblichen Einschränkungen oder einer höheren Ansteckungsgefahr im Urlaubsgebiet als im Inland zu rechnen ist. Behördliche Einreiseverbote und Quarantänemaßnahmen des Ziellandes oder Deutschlands bei der Rückkehr, Hotelschließungen, Ausgangssperren, massenweise behördlich angeordnete Flugausfälle, geschlossene Restaurants oder touristische Attraktionen, die Teil der Reiseleistung sind, und weitere Beschränkungen des öffentlichen Lebens sind als hoheitliche Eingriffe als solche schon unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände und daher auch ein weiteres Indiz für eine erhebliche Beeinträchtigung der geplanten Reiseleistungen durch die Covid-19-Pandemie. Entscheidend ist auch hier die Lagebeurteilung durch Reisehinweise des Auswärtigen Amtes beziehungsweise der Staaten des Zielgebiets. Ist aber weder eine Reisewarnung ausgesprochen noch das Zielgebiet von der Epidemie betroffen und mangelt es auch an einer gewissen Wahrscheinlichkeit, so stellen rein subjektive Unwohl- oder Angstgefühle des Reisenden vor einer Krankheit keinen außergewöhnlichen Umstand dar. Gleiches gilt, wenn der Kunde selbst mit dem Corona-Virus infiziert ist und seinen Urlaub nicht antreten kann, das Reiseziel aber weiterhin nicht betroffen ist.
Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben kann nach der Ansicht des Amtsgerichts Duisburg nicht angenommen werden, dass bei Ausübung des Rücktrittsrechts am 03.03.2020 bereits eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür bestand, dass am Reiseziel der Kläger unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten würden, die die Durchführung der Pauschalreise erheblich beeinträchtigen würden.