Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 20. Dezember 2024 zum Aktenzeichen V ZR 243/23 entschieden, dass ein Wohnungseigentümer im Fall eines sogenannten steckengebliebenen Baus zwar grundsätzlich einen Anspruch auf erstmalige plangerechte Errichtung des Gemeinschaftseigentums gegen die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer hat; der Anspruch scheidet aber aus, wenn die erstmalige Errichtung des gemeinschaftlichen Eigentums den übrigen Wohnungseigentümern nicht zuzumuten ist.
Aus der Pressmitteilung des BGH Nr. 241/2024 vom 20.12.2024 ergibt sich:
Sachverhalt:
Die Klägerin ist Mitglied der beklagten Gemeinschaft der Wohnungseigentümer. Das Grundstück war mit einer Abbruchimmobilie bebaut. Diese sollte durch eine – inzwischen insolvente – Generalbauunternehmerin abgerissen und ein neues Gebäude errichtet werden. Das Bauvorhaben kam bereits während der Abrissarbeiten zum Stillstand. Die Beschlussanträge der Klägerin, die Verwalterin zu beauftragen, Angebote für die restlichen Abrissarbeiten, die Abdichtung der Nachbargiebel und die Erstellung der Ausführungspläne für das Objekt einzuholen, die Aufträge zu vergeben und die Arbeiten durchführen zu lassen sowie eine Sonderumlage zu erheben, wurden in einer Eigentümerversammlung vom 16. September 2021 abgelehnt.
Bisheriger Prozessverlauf:
Mit der Klage verlangt die Klägerin u.a. die gerichtliche Ersetzung der beantragten Beschlüsse. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landgericht den Beschluss ersetzt, dass ein Sachverständigengutachten zu den voraussichtlichen Kosten für den Abriss des Bestandsgebäudes und die Errichtung des Gemeinschaftseigentums eingeholt, die Verwalterin mit der Einholung von Angeboten für das Gutachten beauftragt und die Beklagte zur Beschlussfassung über die Vergabe des Auftrags und dessen Finanzierung verpflichtet wird. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Revision wollte die Beklagte die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils erreichen.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Der unter anderem für das Wohnungseigentumsrecht zuständige V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Dem liegen folgende Überlegungen zugrunde:
Im Ausgangspunkt steht der Klägerin ein Anspruch auf erstmalige Errichtung des Gemeinschaftseigentums zu. Dabei liegt der hier gegebene Fall insofern besonders, als einem Erwerber wie der Klägerin schon in diesem frühen Stadium Ansprüche aus dem Wohnungseigentumsgesetz zustehen können. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts besteht nämlich eine Gemeinschaft der Wohnungseigentümer und die Erwerber sind bereits Wohnungseigentümer, obwohl das – nicht von dem teilenden Eigentümer, sondern von einer Generalbauunternehmerin auf der Grundlage mit den Erwerbern geschlossener Werkverträge – zu errichtende Gebäude nicht einmal ansatzweise fertiggestellt ist. Im weitaus häufigeren Fall der Aufteilung durch einen Bauträger bedarf es dagegen für das Entstehen wohnungseigentumsrechtlicher Ansprüche nicht nur der Anlegung der Wohnungsgrundbücher, sondern auch eines gewissen Baufortschritts. Denn das Wohnungseigentumsgesetz findet im Verhältnis zu den Erwerbern erst dann Anwendung, wenn sie entweder als Wohnungseigentümer in das Grundbuch eintragen worden sind, wozu es jedenfalls bei einem Bauträgervertrag regelmäßig nicht vor Errichtung des Gebäudes kommt, oder wenn sie gemäß § 8 Abs. 3 WEG als sogenannte „werdende“ Wohnungseigentümer gelten, was u.a. die Übergabe der Räume und damit ebenfalls deren vorherige Errichtung erfordert.
Ist jedoch – wie hier – das Binnenverhältnis zwischen den Erwerbern und der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer entstanden, kann jeder Wohnungseigentümer im Rahmen der ordnungsmäßigen Verwaltung (§ 18 Abs. 2 Nr. 1 WEG) verlangen, dass das Gemeinschaftseigentum erstmals in einen der Teilungserklärung entsprechenden – mithin plangerechten – Zustand versetzt wird. Das entspricht ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung und gilt auch für die erstmalige Errichtung bzw. Fertigstellung des Gemeinschaftseigentums bei einem steckengebliebenen Bau.
Der Anspruch auf erstmalige Errichtung des Gemeinschaftseigentums besteht unabhängig vom Fertigstellungsgrad des Gebäudes. § 22 WEG, wonach der Wiederaufbau eines zu mehr als der Hälfte seines Wertes zerstörten Gebäudes nicht verlangt werden kann, wenn der Schaden nicht durch eine Versicherung oder in anderer Weise gedeckt ist, ist entgegen verbreiteter Auffassung auf den steckengebliebenen Bau nicht analog anwendbar. Denn abgesehen davon, dass es an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt, handelt es sich bei § 22 WEG um eine eng begrenzte und auf den Fall der Zerstörung eines bereits errichteten Gebäudes zugeschnittene Ausnahmevorschrift, deren starre Kriterien für den Fall des steckengebliebenen Baus nicht sachgerecht sind.
Begrenzt wird der Anspruch auf erstmalige Errichtung des Gemeinschaftseigentums vielmehr auch im Fall des steckengebliebenen Baus durch den Grundsatz von Treu und Glauben. Danach entfällt der Anspruch, wenn seine Erfüllung den übrigen Wohnungseigentümern nach den Umständen des Einzelfalls nicht zuzumuten ist. Die Entscheidung darüber durfte das Landgericht nicht – wie durch die Beschlussersetzung geschehen – der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer überantworten. Denn es ist Sache des Tatgerichts, unter umfassender Würdigung der Umstände des Einzelfalls im Rahmen einer Gesamtabwägung über die Unzumutbarkeit der erstmaligen Errichtung zu entscheiden. Dies wird das Landgericht nunmehr unter Berücksichtigung der Ausführungen des Senats zu möglichen in die Abwägung einfließenden Kriterien nachzuholen haben. Unter anderem wird der Fertigstellungsgrad der zu errichtenden Anlage und demgemäß der Umfang der von den Wohnungseigentümern in Angriff zu nehmenden Arbeiten sowie die Höhe der noch zu tätigenden Investitionen von erheblicher Bedeutung sein. So wird es regelmäßig für eine Unzumutbarkeit der Ersterrichtung sprechen, wenn es zu Kostensteigerungen von über 50 % des ursprünglich Kalkulierten kommt. Hierin liegt indes keine starre Grenze. Aufgrund der Umstände des Einzelfalls können schon geringere Kostensteigerungen zur Unzumutbarkeit führen. Auch wirtschaftlich sinnvolle Alternativen werden zu betrachten sein. Findet sich etwa ein Investor, der bereit ist, alle Einheiten im derzeitigen „unfertigen“ Zustand zu einem den Umständen nach angemessenen Preis abzukaufen, mag den Interessen einzelner Bauwilliger im Vergleich zu den Interessen einer verkaufswilligen Mehrheit weniger Gewicht beizumessen sein.