Zugang zu OLAF-Bericht über Straßenbeleuchtungsinvestitionen in Ungarn

01. September 2021 -

Das Gericht der Europäischen Union hat am 01.09.2021 zum Aktenzeichen T-517/19 die Entscheidung des OLAF für nichtig erklärt, keinen teilweisen Zugang zum Abschlussbericht des OLAF über seine Untersuchung zu von der Gesellschaft Élios mit finanzieller Beteiligung der Union in Ungarn durchgeführten Straßenbeleuchtungsprojekten zu gewähren.

Aus der Pressemitteilung des EuGH Nr. 143/2021 vom 01.09.2021 ergibt sich:

Da die ungarischen Behörden die innerstaatlichen Untersuchungen im Zusammenhang mit diesem Bericht bereits abgeschlossen haben, rechtfertigt das Ziel des Schutzes von Untersuchungstätigkeiten nicht mehr die Verweigerung des Zugangs zu dem angeforderten Dokument.

Ein in der Gemeinde Gyál (Ungarn) ansässiger Bürgerverein behauptet, festgestellt zu haben, dass die im Jahr 2015 von dem ungarischen Unternehmen Élios Innovatív Zrt. installierte Straßenbeleuchtung an einigen Standorten dieser Gemeinde von sehr schlechter Qualität und unzureichend sei. Im März 2019 beantragte eine Aktivistin dieses Vereins gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 – ABl. 2001, L 145, S. 43) über den Zugang zu Dokumenten beim Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF), ihr Zugang zum Abschlussbericht der von OLAF geführten Untersuchung zu gewähren, die sich auf von Élios mit finanzieller Beteiligung der Union durchgeführte Straßenbeleuchtungsprojekte bezog. Das OLAF schloss diese Untersuchung im Dezember 2017 ab und übermittelte den ungarischen Behörden den fraglichen Bericht mit Empfehlungen zu Folgemaßnahmen.
Mit Entscheidung vom 22. Mai 2019 lehnte das OLAF diesen Antrag ab, da es der Auffassung war, im vorliegenden Fall finde die allgemeine Vermutung Anwendung, wonach der Öffentlichkeit zu Dokumenten zu seinen Untersuchungen kein Zugang zu gewähren sei. Die betreffende Aktivistin erhob daraufhin Klage beim Gericht der Europäischen Union auf Nichtigerklärung dieser Entscheidung, da das OLAF ihr den Zugang zu seinem, um etwaige personenbezogene Daten der Zeugen, interne Vermerke und Bezugnahmen auf die Methoden des OLAF bereinigten Abschlussbericht verweigert habe.

Mit seinem heutigen Urteil weist das Gericht darauf hin, dass die Verordnung über den Zugang zu Dokumenten bezweckt, den Bürgern ein möglichst umfassendes Recht auf Zugang zu den Dokumenten der Unionsorgane zu gewähren, dieses Recht aber bestimmten Ausnahmen aus Gründen des öffentlichen oder privaten Interesses unterliegt. In diesem Zusammenhang hebt das Gericht hervor, dass sich die Unionsorgane zur Berufung auf diese Ausnahmen auf allgemeine Vermutungen stützen können, die auf bestimmte Kategorien von Dokumenten Anwendung finden und mit denen gewährleistet werden soll, dass die Verfahren, auf die sich diese Dokumente beziehen, reibungslos verlaufen und die mit ihnen verfolgten Ziele erreicht werden. Hierzu präzisiert das Gericht, dass die Anwendung besonderer Regeln, die ein Rechtsakt für ein vor einem Unionsorgan geführtes Verfahren vorsieht, für dessen Zwecke die angeforderten Dokumente erstellt wurden, eines der Kriterien ist, die die Anerkennung einer allgemeinen Vermutung rechtfertigen.

Das Gericht stellt fest, dass auch das Untersuchungsverfahren des OLAF besonderen Regeln unterliegt, sowohl was den Zugang zu im Rahmen eines solchen Verfahrens erlangten oder festgestellten Informationen als auch die Verarbeitung dieser Informationen betrifft. Gemäß der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 883/2013 über die Untersuchungen des OLAF (ABl. 2013, L 248, S. 1) ist dieses nämlich rechtlich verpflichtet, die Informationen, die es im Lauf seiner Untersuchungen erlangt, als vertrauliche und dem Berufsgeheimnis unterliegende Informationen zu behandeln. Daher besteht nach Auffassung des Gerichts eine allgemeine Vermutung, wonach die Verbreitung von Dokumenten einer vom OLAF bearbeiteten Verwaltungsakte grundsätzlich den Schutz des Zwecks seiner Untersuchungstätigkeiten beeinträchtigen würde.

Gleichwohl schließt das Bestehen einer solchen allgemeinen Vermutung nicht das Recht der Interessierten aus, nachzuweisen, dass ein bestimmtes Dokument, zu dem Zugang beantragt wird, nicht von dieser Vermutung gedeckt ist oder seine Verbreitung den Zweck der Untersuchungstätigkeiten nicht beeinträchtigen würde oder, anderenfalls, dass ein übergeordnetes öffentliches Interesse besteht, das die Verbreitung des fraglichen Dokuments rechtfertigt.

Hierzu stellt das Gericht fest, dass zu einer durch eine Unionsbehörde geführten Untersuchung gehörende Dokumente zwar auch nach dem Abschluss der Untersuchung noch von der Ausnahme zum Schutz von Untersuchungstätigkeiten gedeckt sein können, wenn die Untersuchung Folgemaßnahmen auf Ebene der nationalen Behörden nach sich zieht. Anzuerkennen, dass diese Dokumente in allen Fällen von dieser Ausnahme gedeckt sind, solange die fraglichen Folgemaßnahmen nicht getroffen sind, würde jedoch bedeuten, dass der Zugang zu diesen Dokumenten an ein zufälliges, zukünftiges und gegebenenfalls fernes Ereignis geknüpft würde, das von der Schnelligkeit und der Sorgfalt der verschiedenen Behörden abhängig wäre. Insoweit präzisiert das Gericht, dass sich das OLAF nur dann auf die oben genannte allgemeine Vermutung berufen kann, um die Verbreitung von Dokumenten, die eine Untersuchung betreffen, zu verweigern, wenn diese Untersuchung noch läuft oder gerade abgeschlossen wurde und sofern, in letzterem Fall, die zuständigen nationalen Behörden noch nicht, innerhalb einer angemessenen Frist, über die an den Untersuchungsbericht zu knüpfenden Folgemaßnahmen entschieden haben.

Das Gericht stellt indessen fest, dass die ungarischen Behörden das Folgeverfahren zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidung bereits mit einer Entscheidung abgeschlossen hatten, mit der festgestellt wurde, dass keine Zuwiderhandlung vorlag. Daher konnte die Möglichkeit, sich auf die allgemeine Vermutung der Beeinträchtigung des Zwecks von Untersuchungstätigkeiten zu berufen, nicht mehr mit dem Erfordernis begründet werden, den ungarischen Behörden zu ermöglichen, in Ruhe eine Entscheidung hinsichtlich der an den Bericht des OLAF zu knüpfenden Folgemaßnahmen zu treffen, ebenso wenig wie mit dem Erfordernis, die Unschuldsvermutung zugunsten der betroffenen Personen zu wahren.

Unter diesen Umständen gelangt das Gericht zu dem Schluss, dass das OLAF die Verordnung über den Zugang zu Dokumenten rechtsfehlerhaft angewandt hat, indem es sich zur Begründung der Ablehnung des fraglichen Zugangsantrags auf diese allgemeine Vermutung berief. Daher erklärt das Gericht die angefochtene Entscheidung für nichtig, soweit das OLAF es abgelehnt hat, Zugang zu seinem um etwaige personenbezogene Daten der Zeugen, interne Vermerke und Bezugnahmen auf seine Methoden bereinigten Abschlussbericht zu gewähren.