Der Europäische Gerichtshof hat am 08.07.2021 zum Aktenzeichen C-830/19 entschieden, dass sich der Zugang zu Existenzgründungsbeihilfen für Junglandwirte nach dem Brutto-Standardoutput des gesamten landwirtschaftlichen Betriebs und nicht nur ihres Anteils am Betrieb richtet. Zudem stellt eine nationale Regelung, die unterschiedliche Bedingungen für den Zugang zur Niederlassungsbeihilfe festlegt, je nachdem, ob sich ein Junglandwirt mit anderen Junglandwirten niederlässt oder mit Landwirten, die nicht dieser Kategorie angehören, keine Diskriminierung dar.
Pressemitteilung des EuGH Nr. 121/2021 vom 08.07.2021 ergibt sich:
Das Unionsrecht regelt allgemein die Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums durch die Union, die durch den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) finanziert wird, und ergänzt die gemeinsamen Bestimmungen für die europäischen Struktur- und Investitionsfonds. Die Mitgliedstaaten legen für Junglandwirte, die sich nicht als alleinige Betriebsinhaber niederlassen, besondere Förderbedingungen fest und wenden diese an.
Um den landwirtschaftlichen Familienbetrieb weiterzuführen, übernahm CJ, ein in Belgien niedergelassener Junglandwirt, ein Drittel des Betriebs seiner Eltern. Er übt seine Tätigkeit in Form einer nicht rechtsfähigen Vereinigung mit seinem Vater aus, dem ebenfalls ein Drittel des Betriebs gehört; das letzte Drittel gehört seiner Mutter. CJ stellte daher bei der Région Wallonne (Wallonische Region, Belgien) einen Antrag auf Niederlassungsbeihilfe. Diese wurde ihm mit der Begründung verwehrt, dass der übernommene Betrieb einen Brutto-Standardoutput (im Folgenden: BSO) aufweise, der die in der regionalen Regelung vorgesehene Obergrenze von 1 Mio. Euro übersteige.
Der Junglandwirt legte bei der Zahlstelle einen Rechtsbehelf ein und beantragte, bei der Bestimmung des BSO zu berücksichtigen, dass er nicht als alleiniger Betriebsinhaber niedergelassen sei. Der Rechtsbehelf wurde zurückgewiesen. Die Zahlstelle bestätigte, dass der zu berücksichtigende BSO derjenige des gesamten Betriebs sei; da dieser 1 976 980,45 Euro betrage, übersteige er die in den nationalen Bestimmungen vorgesehene Obergrenze. Bei der Beurteilung des Antrags und zur Ermittlung, ob der BSO des Betriebs die Obergrenze für den Zugang zu dieser Förderung erreichte, berücksichtigte die Wallonische Region den gesamten Betrieb und nicht nur den von CJ gehaltenen Anteil.
Das von CJ angerufene Tribunal de première instance de Namur (Gericht erster Instanz Namur, Belgien) möchte vom Gerichtshof wissen, ob das einschlägige Unionsrecht1 einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der zur Bestimmung der Obergrenze für den Zugang zur Förderung der BSO des gesamten Betriebs und nicht nur des Anteils des Junglandwirts am Betrieb berücksichtigt wird, wenn der landwirtschaftliche Betrieb als nicht rechtsfähige Vereinigung ausgestaltet ist, an der der Junglandwirt einen ungeteilten Anteil erwirbt und Inhaber des Betriebs wird, aber nicht dessen alleiniger Inhaber.
In seinem Urteil vom 08.07.2021 stellt der Gerichtshof fest, dass das Unionsrecht auf dem Gebiet der Förderung der ländlichen Entwicklung einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, wonach das Kriterium zur Bestimmung der Obergrenze, die einem Junglandwirt, der sich nicht als alleiniger Betriebsinhaber niederlässt, den Zugang zu Existenzgründungsbeihilfen ermöglicht, der BSO des gesamten landwirtschaftlichen Betriebs ist und nicht nur der des Anteils des Junglandwirts am Betrieb.
Nach Ansicht des Gerichtshofs ist der Wortlaut der Bestimmungen zu berücksichtigen, gegebenenfalls ausgelegt im Licht ihres Kontexts und der Ziele der europäischen Regelung. Er weist darauf hin, dass die betreffenden Bestimmungen eine Berücksichtigung des BSO des gesamten Betriebs durch die Mitgliedstaaten nicht ausschließen. Die Verwendung des Ausdrucks „Produktionspotenzial des landwirtschaftlichen Betriebs“, der sich auf das objektive Kriterium „Betrieb“ bezieht, bestätigt diese Auslegung.
Darüber hinaus betont der Gerichtshof, dass die betreffende Beihilfe die Existenzgründung durch Junglandwirte fördern soll. Die Förderung einer Unternehmensgründung soll nur den anfänglichen Zeitraum des Bestehens des Unternehmens abdecken und nicht zu einer Betriebsbeihilfe werden. Diese Beihilfe soll daher nicht allgemein die Gründung landwirtschaftlicher Betriebe fördern, sondern nur die Gründung von Betrieben, die die Bedingungen in Bezug auf die Betriebsinhaber, auf die Tätigkeiten oder auf die Größe dieser Betriebe erfüllen, was es den Mitgliedstaaten ermöglicht, die Beihilfengewährung anhand der Merkmale der Betriebe zu regeln, die von den Junglandwirten übernommen werden.
Insoweit hält der Gerichtshof fest, dass das in der nationalen Regelung vorgesehene Förderkriterium gerade diesen Zielen gerecht werden und verhindern soll, dass die Förderung Junglandwirten gewährt wird, deren Betrieb einen so großen BSO generiert, dass sie in Wirklichkeit keine Unterstützung benötigen. Die nationalen besonderen Förderbedingungen für Junglandwirte, die sich nicht als alleinige Betriebsinhaber niederlassen, hindern die Mitgliedstaaten nicht daran, die Obergrenze für den Zugang zu der betreffenden Förderung nicht in Bezug auf den Begünstigten, sondern in Bezug auf den Betrieb festzusetzen.
Der Gerichtshof führt weiter aus, dass eine Regelung, die den Erhalt von Existenzgründungsbeihilfen für Junglandwirte vom BSO des gesamten Betriebs abhängig macht, für den Junglandwirt, der sich allein niederlässt, und für den Junglandwirt, der sich mit anderen Landwirten niederlässt, die nicht dieser Kategorie angehören, dieselben Anforderungen stellt.
Was konkret die belgische Regelung betrifft, weist der Gerichtshof darauf hin, dass die erhöhte Obergrenze einem objektiven Unterschied der Situation Rechnung trägt und somit das Erfordernis der Entsprechung nicht missachtet, da zwei oder mehrere Junglandwirte, die sich zusammen als Betriebsinhaber niederlassen, grundsätzlich in der Lage sind, mehr zu erzeugen als ein Junglandwirt, der sich allein niederlässt.
Schließlich stellt der Gerichtshof fest, dass das Unionsrecht nicht vorschreibt, dass die Bedingungen für den Zugang zur Niederlassungsbeihilfe von Junglandwirten, die sich in zwei unterschiedlichen Situationen befinden, einander entsprechen müssen. Insoweit stellt er klar, dass es außerdem mit dem Ziel der Niederlassungsbeihilfe für Junglandwirte im Einklang steht, dass die Bedingungen für den Zugang zu dieser Förderung für Junglandwirte, die sich zusammen niederlassen, günstiger sind als für einen Junglandwirt, der sich mit Landwirten niederlässt, die nicht dieser Kategorie angehören.
1 Verordnung (EU) Nr. 1305/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 über die Förderung der ländlichen Entwicklung durch den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1698/2005 (ABl. 2013, L 347, S. 487, Berichtigung ABl. 2016, L 130, S. 1) in Verbindung mit Art. 2 der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 807/2014 der Kommission vom 11. März 2014 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 1305/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Förderung der ländlichen Entwicklung durch den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) und zur Einführung von Übergangsvorschriften (ABl. 2014, L 227, S. 1).