Die Kommission hat am 12.11.2021 beschlossen, Ungarn vor dem Gerichtshof der Europäischen Union zu verklagen, und letzteren ersucht, für den Verstoß Ungarns gegen ein Urteil des Gerichtshofs in Bezug auf die EU-Vorschriften über Asyl und Rückkehr die Zahlung finanzieller Sanktionen anzuordnen.
Aus EU-Aktuell vom 12.11.2021 ergibt sich:
In seinem Urteil vom 17. Dezember 2020 stellte der EuGH fest, dass die ungarischen Rechtsvorschriften über die Regeln und Verfahren in den Transitzonen an der serbisch-ungarischen Grenze gegen EU-Recht verstoßen. Bislang ist Ungarn dem Urteil nicht nachgekommen. Die Kommission hat den Gerichtshof deswegen ersucht, finanzielle Sanktionen in Form eines Pauschalbetrags und eines täglichen Zwangsgelds zu verhängen.
In seinem Urteil vom 17. Dezember 2020 (Rechtssache C-808/18, Kommission/Ungarn) stellte der Gerichtshof der Europäischen Union fest, dass die ungarischen Rechtsvorschriften über die Regeln und Verfahren in den Transitzonen an der serbisch-ungarischen Grenze gegen EU-Recht verstoßen. Der Gerichtshof ermittelte insbesondere Verstöße gegen Bestimmungen der Asylverfahrensrichtlinie (Richtlinie 2013/32/EU), der Richtlinie über Aufnahmebedingungen (Richtlinie 2013/33/EU) und der Rückführungsrichtlinie (Richtlinie 2008/115/EG).
Bislang ist Ungarn dem Urteil in mehreren Aspekten noch nicht nachgekommen. Insbesondere hat das Land nicht die erforderlichen Maßnahmen ergriffen, um einen effektiven Zugang zum Asylverfahren zu gewährleisten. Ferner hat Ungarn nicht klargestellt, unter welchen Bedingungen im Falle eines Rechtsbehelfs in einem Asylverfahren ein Recht auf Verbleib im Hoheitsgebiet besteht, wenn keine „durch eine massive Zuwanderung herbeigeführte Krisensituation“ vorliegt.
Angesichts der fortdauernden Nichtbefolgung des Urteils des Gerichtshofs richtete die Kommission am 9. Juni 2021 ein Aufforderungsschreiben gemäß Artikel 260 Absatz 2 AEUV an Ungarn. Heute ersucht die Kommission den Gerichtshof, finanzielle Sanktionen in Form eines Pauschalbetrags und eines täglichen Zwangsgelds zu verhängen.
Hintergrund
In den Jahren 2015 und 2017 änderte Ungarn seine Rechtsvorschriften über das Recht auf Asyl und die Rückführung von nicht zum Verbleib in der EU berechtigten Drittstaatsangehörigen. Mit den Gesetzen wurden Transitzonen an der serbisch-ungarischen Grenze geschaffen und das Konzept einer „durch eine massive Zuwanderung herbeigeführten Krisensituation“ eingeführt, das es den ungarischen Behörden ermöglicht, von bestimmten Vorschriften der Asylverfahrens-, der Aufnahmebedingungen- und der Rückführungsrichtlinie abzuweichen, um die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten und die innere Sicherheit zu schützen.
Aufgrund von Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem EU-Recht leitete die Kommission im Dezember 2015 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn ein, in dem am 17. Dezember 2020 das Urteil des Europäischen Gerichtshofs erging. Wenngleich die Transitzonen Röszke und Tompa mittlerweile geschlossen sind, ist die Kommission der Auffassung, dass Ungarn nicht die erforderlichen Maßnahmen ergriffen hat, um dem Urteil nachzukommen. Die ungarische Regierung macht geltend, dass die Umsetzung des Urteils über den Zugang zu internationalem Schutz und die Abschiebung von nicht zum Verbleib in der EU berechtigten Drittstaatsangehörigen gegen das ungarische Grundgesetz (Verfassung) verstoßen würde. Am 25. Februar 2021 rief die ungarische Regierung das ungarische Verfassungsgericht an und erklärte, dass sie dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union bis zum Erlass eines Urteils des Verfassungsgerichts nicht nachkommen könne.
Die Kommission erinnert daran, dass der Vorrang des Unionsrechts nach ständiger Rechtsprechung ein wesentliches Merkmal der Rechtsordnung der EU darstellt und dass das Unionsrecht Vorrang vor den Vorschriften des nationalen Rechts hat, selbst wenn diese in der Verfassung verankert sind. Solche Vorschriften dürfen die Wirksamkeit des Unionsrechts im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten nicht beeinträchtigen.