Der Europäische Gerichtshof hat sich am 20.01.2021 zum Aktenzeichen C-619/19 mit der Frage befasst, ob eine Privatperson Anspruch auf Zugang zu internen Mitteilungen einer Behörde im Zusammenhang mit dem Projekt „Stuttgart 21“ hat.
Aus der Pressemitteilung des EuGH vom 20.01.2021 ergibt sich:
Im Oktober 2010 wurden im Schlossgarten von Stuttgart in Baden-Württemberg im Zuge der Durchführung des Verkehrsinfrastruktur- und Städtebauprojekts „Stuttgart 21“ Bäume gefällt. In diesem Zusammenhang stellte R., eine natürliche Person, beim Landesministerium Baden-Württemberg einen Antrag auf Zugang zu bestimmten Unterlagen. Diese Unterlagen betreffen zum einen eine dem Ministerium übermittelte Information über die Arbeiten eines Untersuchungsausschusses zu einem vor den Baumfällungen erfolgten Polizeieinsatz und zum anderen die Vermerke des Ministeriums über die Durchführung eines Schlichtungsverfahrens im Rahmen des Projekts „Stuttgart 21“. Dieser Antrag wurde abgelehnt.
Der von R. gegen den Bescheid über die Zugangsverweigerung erhobenen Klage gab der VGH Mannheim statt. Der Verwaltungsgerichtshof stellte fest, dass auf die von dem Antrag erfassten Unterlagen kein Ablehnungsgrund Anwendung finde. Insbesondere könne der Ablehnungsgrund betreffend „interne Mitteilungen“ von Behörden nach Abschluss des Entscheidungsprozesses der betreffenden Behörde nicht mehr geltend gemacht werden. Dieser Grund für die Verweigerung des Zugangs sei in den Rechtsvorschriften vorgesehen, mit denen die Richtlinie über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen, die den Mitgliedstaaten die Möglichkeit belasse, eine solche Ausnahme vom Zugangsrecht der Öffentlichkeit einzuführen, in deutsches Recht umgesetzt wurde.
Das mit der Revision befasste BVerwG geht davon aus, dass sich der von R. begehrte Zugang auf Umweltinformationen im Sinne der Richtlinie über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen richtet. Da es Zweifel hinsichtlich des Umfangs und der zeitlichen Begrenzung des in dieser Richtlinie genannten Grundes für die Verweigerung des Zugangs zu „internen Mitteilungen“ hat, hat es beschlossen, dem EuGH hierzu Fragen vorzulegen.
Der EuGH hat geantwortet, dass:
– Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. e der RL 2003/4/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28.01.2003 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen und zur Aufhebung der RL 90/313/EWG des Rates dahin auszulegen sei, dass der Begriff „interne Mitteilungen“ alle Informationen erfasst, die innerhalb einer Behörde im Umlauf sind und die zum Zeitpunkt der Stellung des Antrages auf Zugang, ggf. nachdem sie bei dieser Behörde eingegangen sind und soweit sie der Öffentlichkeit vor diesem Eingang nicht zugänglich gemacht worden sind oder hätten zugänglich gemacht werden müssen, den Binnenbereich dieser Behörde nicht verlassen haben.
- Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. e der RL 2003/4 dahin auszulegen sei, dass die Anwendbarkeit der Ausnahme vom Recht auf Zugang zu Umweltinformationen, die er für interne Mitteilungen einer Behörde vorsehe, zeitlich nicht begrenzt sei. Diese Ausnahme könne allerdings nur in dem Zeitraum angewandt werden, in dem der Schutz der angeforderten Information gerechtfertigt sei.
Im Einzelnen hat sich der EuGH zunächst mit der Auslegung des Begriffs „interne Mitteilungen“ von Behörden im Sinne der Richtlinie über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen befasst. Was erstens den Begriff „Mitteilung“ betreffe, sei festzustellen, dass er sich auf eine Information beziehe, die ein Urheber an einen Adressaten richte, wobei dieser Adressat sowohl eine abstrakte Einheit als auch eine bestimmte Person sein könne, die zu einer solchen Einheit gehöre. Diese Auslegung werde durch den Zusammenhang bestätigt, in dem die Ausnahme stehe, die die Mitgliedstaaten für interne Mitteilungen vorsehen können. Die Richtlinie übernehme nämlich die durch das Übereinkommen von Aarhus eingeführte Unterscheidung zwischen dem Begriff „Material“, der nicht notwendigerweise eine an jemanden gerichtete Information betreffe, und dem Begriff „Mitteilung“.
Zweitens hat der EuGH in Bezug auf den Begriff „intern“ festgestellt, dass nur eine Umweltinformation, die den Binnenbereich einer Behörde nicht verlasse, als „intern“ gelte. Dies betreffe auch eine Information, die von einer externen Quelle bei ihr eingegangen sei, soweit sie nicht einem Dritten bekannt gegeben und nicht öffentlich zugänglich gemacht worden sei. Diese Auslegung werde durch das Ziel bestätigt, das mit der den Mitgliedstaaten eröffneten Ausnahme verfolgt werde, und das darin bestehe, für die Behörden einen geschützten Raum für interne Überlegungen und Debatten zu schaffen.
Der EuGH hat insoweit klargestellt, dass der Umstand, dass eine Umweltinformation den Binnenbereich einer Behörde zu einem bestimmten Zeitpunkt verlassen könnte, nicht dazu führen könne, dass die Mitteilung, die sie enthalte, sofort ihren internen Charakter verliere. Denn Ausnahmen vom Zugangsrecht seien zwar eng auszulegen, doch dürfe dabei die Tragweite der Ausnahme für interne Mitteilungen nicht unter Missachtung des Wortlautes der Richtlinie beschränkt werden.
Folglich umfasse der Begriff „interne Mitteilungen“ alle Informationen, die innerhalb einer Behörde im Umlauf seien und die zum Zeitpunkt des Antrags auf Zugang, ggf. nachdem diese Informationen bei ihr eingegangen seien und soweit sie der Öffentlichkeit vor diesem Eingang nichtzugänglich gemacht worden seien oder hätten zugänglich gemacht werden müssen, den Binnenbereich dieser Behörde nicht verlassen haben.
Sodann hat der EuGH die zeitliche Anwendbarkeit des Ablehnungsgrundes für den Zugang zu Umweltinformationen geprüft, die in internen Mitteilungen enthalten sind. Es sei festzustellen, dass die Anwendbarkeit zeitlich nicht begrenzt sei und weder von der Erstellung eines Dokuments noch vom Fortgang oder Abschluss irgendeines Verwaltungsvorgangs abhänge.
Die Verweigerung des Zugangs zu Umweltinformationen aus dem Grund, dass sie in einer internen Mitteilung enthalten sei, müsse jedoch stets auf einer Abwägung der in jedem Einzelfall in Rede stehenden Interessen beruhen. In Anbetracht des besonders weitensachlichen Anwendungsbereichs dieser Ausnahme komme der Interessenabwägung, die von einer tatsächlichen Prüfung jeder Situation auszugehen habe, nämlich eine besondere Bedeutung zu und sei daher eng einzugrenzen.
Im Rahmen dieser Prüfung sei die mit einem Zugangsantrag befasste Behörde jedenfalls verpflichtet, Gründe zu suchen, die für die Bekanntgabe sprechen könnten, wie beispielsweise ein freier Meinungsaustausch, eine wirksamere Teilnahme der Öffentlichkeit an Entscheidungsverfahren in Umweltfragen oder die Verbesserung des Umweltschutzes. Sie müsse auch die Angaben des Antragstellers zugunsten einer Bekanntgabe der angeforderten Informationen prüfen, ohne dass der Antragsteller verpflichtet wäre, ein besonderes Interesse darzulegen, das diese Bekanntgabe rechtfertige.
Außerdem habe die Behörde, wenn die erbetene Information in einer internen Mitteilung enthalten sei, die seit der Erstellung dieser Mitteilung vergangene Zeit und die in der Mitteilung enthaltenen Informationen zu berücksichtigen. Die Behörde könne nämlich der Auffassung sein, dass solche Informationen angesichts der seit ihrer Erstellung vergangenen Zeit nicht mehr vertraulich seien. Der EuGH betont daher, dass die Ausnahme vom Recht auf Zugang, die die Mitgliedstaaten für interne Mitteilungen vorsehen können, nur in dem Zeitraum angewandt werden könne, in dem der Schutz der angeforderten Information gerechtfertigt sei.
Die Interessenabwägung müsse nachprüfbar sein und auf nationaler Ebene einer behördlichen oder gerichtlichen Kontrolle unterliegen. Um diesem Erfordernis zu genügen, sei die Entscheidung, mit der der Zugang verweigert werde, dem Antragsteller mitzuteilen, und es müsse darin eine absehbare Gefahr dargelegt werden, dass die Bekanntgabe von Informationen das durch die geltend gemachte Ausnahme geschützte Interesse konkret und tatsächlich beeinträchtigen könnte.