Zeitliche und örtliche Beschränkung einer abtreibungskritischen Demo vor pro familia in Pforzheim war rechtmäßig

21. Juni 2021 -

Das Verwaltungsgericht Karlsruhe hat mit Urteil vom 12.05.2021 zum Aktenzeichen 2 K 5046/19 eine Klage abgewiesen, die auf die Feststellung zielte, dass die von der Stadt Pforzheim verfügte zeitliche und örtliche Beschränkung einer abtreibungskritischen Demonstration vor der Schwangerschaftsberatungsstelle pro familia rechtswidrig gewesen sei.

Aus der Pressemitteilungen des VG Karlsruhe vom 14.05.2021 und 21.06.2021 ergibt sich:

Die Klägerin meldete eine Versammlung zu dem Thema „40 days for life / Lebensrecht ungeborener Kinder“ an. Die Versammlung sollte vom 06.03.2019 bis zum 14.04.2019 jeweils von 9:00 bis 13:00 Uhr gegenüber dem Gebäude der Beratungsstelle pro familia in Pforzheim in der Form „Tägliches stilles Gebet / Mahnwache“ stattfinden. Die beklagte Stadt Pforzheim erließ eine Verfügung, wonach die Versammlung während der Beratungszeiten von pro familia (werktags von Montag bis Freitag von 7:15 bis 18:00 Uhr) nur außerhalb direkter Sichtbeziehung zum Gebäudeeingang dieser Beratungsstelle durchgeführt werden dürfe.

Die Klägerin legte gegen die genannte Verfügung Widerspruch ein und stellte einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht. Das Verwaltungsgericht Karlsruhe lehnte den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes mit Beschluss vom 27.03.2019 – 2 K 1979/19 – ab, da die Beschränkung voraussichtlich rechtmäßig sei. Bei summarischer Prüfung sei davon auszugehen, dass weder die Versammlungsfreiheit noch die Meinungsfreiheit oder die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Klägerin den Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der die Schwangerschaftsberatungsstelle aufsuchenden Frauen rechtfertige. Die Klägerin hat daraufhin Klage erhoben, um in einem Hauptsacheverfahren gerichtlich feststellen zu lassen, dass die genannte zeitliche und örtliche Beschränkung rechtswidrig gewesen sei.

Die 2. Kammer des VG Karlsruhe hat nach mündlicher Verhandlung vom 12.05.2021 auch in diesem Verfahren zugunsten der Stadt Pforzheim entschieden und die Klage abgewiesen.

Am 21.06.2021 wurden die schriftlichen Entscheidungsgründe den Beteiligten zugestellt. Danach habe die Klägerin zwar auch nach Ablauf des für die Demonstration vorgesehenen Zeitraums im März und April 2019 ein berechtigtes Interesse, die Rechtmäßigkeit der damals erlassenen Auflage gerichtlich klären zu lassen, weil sie durch diese schwerwiegend in ihrer Versammlungsfreiheit betroffen worden sei und außerdem glaubhaft dargelegt habe, dass sie auch in Zukunft vergleichbare Versammlungen in Pforzheim durchführen wolle.

Die zeitliche und örtliche Beschränkung der geplanten Demonstration sei jedoch rechtmäßig gewesen. Zunächst habe die Beklagte die Auflage nicht unter Verstoß gegen das Neutralitätsgebot erlassen, das sie zu einer fairen und objektiven Verfahrensgestaltung verpflichte. Diese Verpflichtung habe die Beklagte vielmehr erfüllt, indem sie die an sie herangetragenen Stellungnahmen aus Gesellschaft, Politik und Kirche in die Akten aufgenommen und damit das Verfahren transparent gestaltet habe. Von einem „Geheimverfahren“ könne keine Rede sein. Die Beklagte habe auch nicht gegen das Neutralitätsgebot verstoßen, indem sie Gespräche mit pro familia geführt habe. Diese seien zur Verhinderung von eventuellen Konflikten im Zusammenhang mit Gegendemonstrationen geradezu notwendig gewesen. Die abschließende Entscheidung habe die Beklagte selbst getroffen und nicht „aus der Hand gegeben“. Gerade der Umstand, dass aus dem Rechtsamt der Beklagten Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Versammlungsbeschränkung geäußert worden seien, belege dabei augenscheinlich, dass die erlassene Auflage das Ergebnis eines behördenintern offenen Entscheidungsprozesses gewesen sei.

Die Beklagte habe die Auflage auch in der Sache zutreffend begründet. Die geplante Versammlung hätte in ihrer beabsichtigten Form das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Frauen verletzt, die aufgrund eines Schwangerschaftskonflikts die Beratungsstelle hätten aufsuchen wollen. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schütze die engere persönliche Lebenssphäre, wozu jedenfalls höchstpersönliche Schwangerschaftskonflikte gehörten. In einer solchen Situationen hätten die betroffenen Frauen ein Recht darauf, eine anerkannte Schwangerschaftsberatungsstelle ohne „Spießrutenlauf“ durch eine 40 Tage und damit über mehrere Wochen dauernde, blockadeartige Versammlung von Abtreibungsgegnern zu erreichen. Der geplante Versammlungsort direkt gegenüber der Beratungsstelle sei aber gerade darauf ausgerichtet gewesen, die betroffenen Frauen einer Anprangerung und Stigmatisierung auszusetzen. Dieser hätten sie aufgrund des langen Versammlungszeitraums und des begrenzten Angebots an anderen Beratungsstellen in Pforzheim auch kaum ausweichen können. Darüber hinaus hätte die geplante Versammlung auch das Beratungskonzept des Schwangerschaftskonfliktgesetzes nachhaltig beeinträchtigt.

Die räumliche Verlagerung der Demonstration habe das allgemeine Persönlichkeitsrecht der betroffenen Frauen in einen angemessenen Ausgleich mit der Versammlungs-, Meinungs- sowie Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Klägerin gebracht. Dabei habe die Beklagte zutreffend berücksichtigt, dass die Auflage eine Versammlung noch im Nahbereich der Beratungsstelle ermöglicht habe.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Beteiligten können hiergegen die Zulassung der Berufung zum Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in Mannheim beantragen.