Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 21. Juli 2022 zum Aktenzeichen 2 BvR 1483/19 entschieden, dass die Wohnungsdurchsuchung mangels auf konkreten Tatsachen beruhenden Anfangsverdachts verfassungswidrig ist.
Gegen den Inhaber eines Restaurants, (…), wurde wegen des Verdachts des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ermittelt. Die mit den Ermittlungen betrauten Beamten der Kriminalpolizei gingen davon aus, dass er Fahrten zur Ablieferung von Betäubungsmitteln als Fahrten zur Auslieferung von bestelltem Essen tarne. Das von ihm genutzte Fahrzeug wurde observiert und dabei festgestellt, dass dieses in zwei Nächten im November 2018 bei mutmaßlichen Fahrten zur Auslieferung von Betäubungsmitteln gegenüber der Wohnanschrift des Beschwerdeführers geparkt wurde.
Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Offenburg ordnete das Amtsgericht Offenburg nach § 102 StPO mit Beschluss vom 14. Dezember 2018 die Durchsuchung der Wohnung des Beschwerdeführers an. Gesucht werden sollten Betäubungsmittel, Utensilien, die dem Konsum von oder dem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln dienten, schriftliche oder elektronische Aufzeichnungen über den Erwerb von oder das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln sowie Computer und Mobiltelefone, die zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln benutzt wurden. Das Amtsgericht Offenburg begründete die Durchsuchungsanordnung mit den bisherigen Ermittlungen, insbesondere den Erkenntnissen aus einer Telekommunikationsüberwachung im Verfahren gegen den gesondert verfolgten (…), den Angaben einer Vertrauensperson der Staatsanwaltschaft Offenburg und den Erkenntnissen aus der Observation des (…). Es bestehe der Verdacht, dass dieser seit November 2017 von seiner Wohnung und dem von ihm geführten Restaurant aus einen Handel mit Kokain, Amphetaminen und Marihuana in nicht geringer Menge betreibe. Der Beschwerdeführer habe von dem Betäubungsmittelhandel des (…) gewusst und spätestens seit November 2018 auf seinem Anwesen noch nicht abschließend ermittelte Betäubungsmittel für diesen aufbewahrt, um ihn bei dessen Taten zu unterstützen. Dies sei strafbar als Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Die angeordnete Maßnahme stehe in angemessenem Verhältnis zur Schwere der Tat und zur Stärke des Tatverdachts und sei für die Ermittlungen notwendig.
Der Durchsuchungsbeschluss wurde am 19. Dezember 2018 vollzogen. Dabei wurden unter anderem 2,2 Gramm Haschisch aufgefunden. Hinweise auf eine Beteiligung des Beschwerdeführers an Betäubungsmittelgeschäften des (…) wurden nicht gefunden. Die Staatsanwaltschaft Offenburg stellte das Ermittlungsverfahren gegen den Beschwerdeführer wegen des Verdachts der Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge später nach § 170 Abs. 2 StPO ein. Hinsichtlich des Besitzes des Haschisch wurde nach § 31a Abs. 1 BtMG von einer Verfolgung abgesehen.
Der Beschwerdeführer legte am 5. März 2019 nach vorangegangener Akteneinsicht Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss ein. Er zog in Zweifel, dass eine dem Richtervorbehalt des Art. 13 Abs. 2 GG genügende, eigenverantwortliche Prüfung des Tatverdachts durch die Ermittlungsrichterin erfolgt sei. In der Ermittlungsakte hätten sich weder Hinweise auf eine Telekommunikationsüberwachung noch auf Angaben einer Vertrauensperson befunden, die von der Ermittlungsrichterin hätten überprüft werden können. Die Hinweise aus der Observation beschränkten sich darauf, dass (…) in der Nähe seiner Wohnung geparkt haben solle. Es gebe aber keinerlei Verbindungen zwischen ihm und (…). Die theoretische Möglichkeit einer Beteiligung, gestützt auf vage Vermutungen, genüge nicht, einen Eingriff in Art. 13 Abs. 1 GG zu rechtfertigen.
Das Landgericht Offenburg verwarf die Beschwerde, der das Amtsgericht am 22. März 2019 nicht abgeholfen hatte, mit Beschluss vom 2. Mai 2019 als unbegründet. Die Voraussetzungen für die Anordnung einer Wohnungsdurchsuchung gemäß § 102 StPO hätten vorgelegen. Auch unter Berücksichtigung der maßgeblichen verfassungsrechtlichen Vorgaben sei nicht zu beanstanden, dass das Amtsgericht aufgrund der ihm zum damaligen Zeitpunkt vorliegenden Informationen sowohl einen Anfangsverdacht gegen den Beschwerdeführer als auch die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme bejaht habe. Die im angefochtenen Beschluss als Beweismittel angegebenen Erkenntnisse aus der Telefonüberwachung sowie die Angaben einer Vertrauensperson hätten nach Aktenlage indes keine Rolle für den Tatverdacht gespielt. Diese in der Verfahrensakte nicht enthaltenen Ermittlungsergebnisse dürften lediglich Erkenntnisse im Hinblick auf (…) erbracht haben. Auch eine polizeiliche Mitteilung, nach der der Beschwerdeführer bereits in elf Fällen in Erscheinung getreten sei, unter anderem wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz, sei aufgrund ihrer Unbestimmtheit nicht geeignet, den Tatverdacht zu begründen. Der Anfangsverdacht ergebe sich aber aufgrund der Fahrbewegungen und Standzeiten des Fahrzeugs des (…) in den Nächten auf den 9. November 2018 und auf den 21. November 2018. In beiden Nächten sei es nach Aktenlage zu längeren Standzeiten in unmittelbarer Nähe zur eher abgelegenen Wohnung des Beschwerdeführers gekommen. Aufgrund der sich daran anschließenden nächtlichen Fahrbewegungen des Fahrzeugs zu mutmaßlichen Rauschgiftverkaufsstätten habe es nicht ferngelegen, dass die Aufenthalte im Zusammenhang mit den mutmaßlichen Drogengeschäften des (…) gestanden hätten. Dass aufgrund kriminalistischer Erfahrungen der Anfangsverdacht einer Beteiligung des Beschwerdeführers an den Drogengeschäften des (…) angenommen worden sei, erscheine nachvollziehbar. In Anbetracht des zeitlichen Abstands zwischen zwei nächtlichen Standzeiten im Bereich der Wohnung des Beschwerdeführers und den sich anschließenden Fahrbewegungen habe nicht ferngelegen, dass die Unterstützungshandlung des Beschwerdeführers in der Aufbewahrung größerer Drogenmengen habe liegen können. Die Anordnung der Wohnungsdurchsuchung sei auch noch verhältnismäßig gewesen. Die Kammer verkenne nicht, dass kein besonders gewichtiger Tatverdacht gegen den Beschwerdeführer bestanden habe. Es hätten aber hinreichende Anhaltspunkte für eine Beihilfe zum Verbrechenstatbestand des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG vorgelegen. Im Falle der Bestätigung des Anfangsverdachts wäre eine nicht unerhebliche Sanktion zu verhängen gewesen. Anhaltspunkte dafür, dass die Ermittlungsrichterin vor Erlass der Durchsuchungsanordnung den Sachverhalt nicht eigenverantwortlich geprüft habe, lägen nicht vor.
Gegen die Beschwerdeentscheidung erhob der Beschwerdeführer am 3. Juni 2019 Anhörungsrüge und hilfsweise Gegenvorstellung. Er bekräftigte, dass sich aus dem Akteninhalt kein Anfangsverdacht ihm gegenüber ergebe und dass keine dem Richtervorbehalt genügende Prüfung des Tatverdachts erfolgt sein könne, weil sich der Akte schon keine Beweismittel für einen Anfangsverdacht gegenüber (…) entnehmen ließen.
Das Landgericht Offenburg verwarf die Anhörungsrüge mit Beschluss vom 30. Juli 2019 als unzulässig, weil eine Verletzung rechtlichen Gehörs nicht dargetan sei. Es entschied zudem, dass die hilfsweise erhobene Gegenvorstellung keinen Anlass zur Abänderung der Beschwerdeentscheidung gebe. Die Kammer habe keinen Zweifel, dass der Ermittlungsrichterin des Amtsgerichts das Ermittlungsverfahren gegen (…) aus einer Vielzahl von Aktenvorlagen zur Entscheidung über beantragte Ermittlungsmaßnahmen bekannt gewesen sei, da sie die alleinige Zuständigkeit hierfür innegehabt habe. Die Kammer halte auch daran fest, dass ein Anfangsverdacht gegen den Beschwerdeführer bestanden habe.
Der Beschluss des Amtsgerichts Offenburg vom 14. Dezember 2018 und der Beschluss des Landgerichts Offenburg vom 2. Mai 2019 verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG.
Art. 13 Abs. 1 GG garantiert die Unverletzlichkeit der Wohnung. In diese grundrechtlich geschützte persönliche Lebenssphäre greift eine Durchsuchung schwerwiegend ein (BVerfGE 42, 212 <219>; 96, 27 <40>; 103, 142 <150 f.>).
Notwendiger, aber auch in Anbetracht der Eingriffsintensität einer Wohnungsdurchsuchung hinreichender Anlass für eine Durchsuchung ist der Verdacht, dass eine Straftat begangen wurde. Das Gewicht des Eingriffs verlangt auf konkreten Tatsachen beruhende Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen (vgl. BVerfGE 44, 353 <371 f.>; 115, 166 <197 f.>; BVerfGK 2, 290 <295>; 5, 84 <88>). Eine Durchsuchung darf somit nicht der Ermittlung von Tatsachen dienen, die zur Begründung eines Anfangsverdachts erst erforderlich sind (BVerfGK 8, 332 <336>; 11, 88 <92>).
Eine ins Einzelne gehende Nachprüfung des von den Fachgerichten angenommenen Verdachts ist zwar nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts. Sein Eingreifen ist allerdings geboten, wenn die Auslegung und Anwendung der einfachrechtlichen Bestimmungen über die prozessualen Voraussetzungen des Verdachts (§ 152 Abs. 2, § 160 Abs. 1 StPO) als Anlass für die strafprozessuale Zwangsmaßnahme und die strafrechtliche Bewertung der Verdachtsgründe objektiv willkürlich sind oder Fehler erkennen lassen, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung der Grundrechte des Beschwerdeführers beruhen (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 ff.>; 95, 96 <128>; 115, 166 <199>; BVerfGK 5, 25 <30 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 29. Juli 2020 – 2 BvR 1188/18 -, juris, Rn. 43).
So liegt der Fall hier.
Das Amtsgericht hatte den Tatvorwurf im Durchsuchungsbeschluss dahingehend konkretisiert, dass der Beschwerdeführer verdächtig sei, Betäubungsmittel für (…) im Wissen um dessen Betäubungsmittelhandel aufbewahrt zu haben, um ihn bei diesem zu unterstützen. Das Landgericht führte daran anknüpfend aus, dass die Unterstützungshandlung in der Aufbewahrung größerer Drogenmengen habe liegen können. Die Annahme eines Tatverdachts hinsichtlich einer solchen Unterstützungshandlung ist von Verfassungs wegen nicht haltbar. Ob die Annahme eines in der polizeilichen Durchsuchungsanregung erwähnten Verdachts des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln verfassungsrechtlich vertretbar gewesen wäre und ob die Aufklärung eines solchen Tatvorwurfs die Anordnung einer Wohnungsdurchsuchung beim Beschwerdeführer hätte rechtfertigen können, bedarf keiner Entscheidung. Denn das Amtsgericht hatte die Anordnung der Durchsuchung ausschließlich mit einem Anfangsverdacht für eine Unterstützungshandlung zu einem Verbrechen nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG begründet und das Landgericht hatte die Verhältnismäßigkeit der Durchsuchungsanordnung maßgeblich mit der Schwere der (…) vorgeworfenen Haupttat begründet.
Die Beschlüsse des Amtsgerichts und des Landgerichts legen keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür dar, dass der Beschwerdeführer Betäubungsmittel für (…) aufbewahrt hätte, um diesen bei seinem Handeltreiben zu unterstützen. Das Landgericht wies darauf hin, dass die im Durchsuchungsbeschluss als Beweismittel angegebenen, aber nicht in der Akte abgelegten Erkenntnisse aus der Telekommunikationsüberwachung des gesondert verfolgten (…) sowie die Angaben einer Vertrauensperson von keiner Bedeutung für die Annahme des Tatverdachts gegenüber dem Beschwerdeführer gewesen seien. Auch einer polizeilichen Mitteilung, nach der der Beschwerdeführer bereits in elf Fällen, unter anderem wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz, in Erscheinung getreten sei, maß das Landgericht wegen ihrer Unbestimmtheit keine Bedeutung bei. Allein auf die Bewegungen und Standzeiten des Fahrzeugs des (…), die in der polizeilichen Durchsuchungsanregung beschrieben waren, konnte der Anfangsverdacht gegenüber dem Beschwerdeführer entgegen der Auffassung des Landgerichts jedoch nicht in einer verfassungsrechtlich vertretbaren Weise gestützt werden. Denn die Bewegungen und Standzeiten des Fahrzeugs in den Nächten auf den 9. November und den 21. November 2018 liefern alleine keinen tatsächlichen Anhaltspunkt dafür, dass der Beschwerdeführer Betäubungsmittel, noch dazu größere Mengen, für (…) aufbewahrt hätte.
Dem in der Ermittlungsakte niedergelegten Ergebnis der Observation des Fahrzeugs des (…) kann lediglich entnommen werden, dass dieses gegenüber der Wohnanschrift des Beschwerdeführers geparkt wurde, nicht aber, dass (…) dabei beobachtet worden wäre, wie er die Wohnung des Beschwerdeführers aufgesucht oder betreten hätte. Es ist dort nicht einmal festgehalten, ob (…) überhaupt sein Fahrzeug verlassen und wenn ja, in welche Richtung er sich anschließend zu Fuß weiterbewegt hatte. Zutreffend weist der Beschwerdeführer darauf hin, dass auch andere Anschriften im Umfeld seiner Wohnung für (…) fußläufig erreichbar gewesen wären. Erst recht ist nicht beobachtet worden, dass ihm etwas von einer anderen Person übergeben oder zugesteckt worden wäre. Der Beschwerdeführer selbst wurde in den besagten Nächten offenbar gar nicht gesehen, und auch sonst führt der landgerichtliche Beschluss keine Anhaltspunkte dafür an, dass der Beschwerdeführer schon einmal im Kontakt zu (…) gestanden und diesen bei dessen Betäubungsmitteldelikten unterstützt hätte. Ebenso wenig sind sonstige Anhaltspunkte vom Landgericht dafür dargetan, dass der Beschwerdeführer im November 2018 oder in der weiter zurückliegenden Vergangenheit bereits einmal größere Drogenmengen bei sich aufbewahrt hätte, was in Verbindung mit den Standzeiten des Fahrzeugs des (…) auf eine Beteiligung an dessen Tat zumindest hätte hindeuten können.
Letztlich erschöpft sich die Begründung des Tatverdachts darin, dass aus den nächtlichen Standzeiten des Fahrzeugs des (…) im Nahbereich beziehungsweise gegenüber der Wohnanschrift des Beschwerdeführers auf ein Aufbewahren von Betäubungsmitteln für (…) durch den Beschwerdeführer geschlossen wird. Diese Annahme erschöpft sich in einer bloßen Vermutung, die den schwerwiegenden Eingriff in die grundrechtlich geschützte persönliche Lebenssphäre des Beschwerdeführers nicht zu rechtfertigen vermag.