Das Landesarbeitsgericht Köln hat mit Urteil vom 11.07.2024 zum Aktenzeichen 6 Sa 579/23 entschieden, dass auch der Widerruf der einmal gegebenen Erlaubnis, die Arbeitsleistung vom Homeoffice aus zu erledigen, eine Ausübung des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts und als solche am Erfordernis billigen Ermessens zu überprüfen ist.
Wird der Betriebsstandort, dem der im Homeoffice arbeitende Arbeitnehmer bisher zugewiesen war, geschlossen und der Arbeitnehmer einem neuen Standort zugewiesen, ohne dass sich der Inhalt der geschuldeten Arbeit ändert, ist diese Neuzuweisung allein kein sachlicher Grund, der die Weisung, nunmehr 500 km entfernt zu arbeiten, als billig erscheinen lassen könnte.
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Versetzung und einer hilfsweise erklärten ordentlichen Änderungskündigung.
Die Beklagte ist eine Gesellschaft im Bereich der industriellen Planung, Entwicklung und Realisierung. Die Gesellschaft betreut dabei als Zulieferer oder Dienstleister verschiedene Kunden im industriellen und insbesondere im Automotive-Bereich. Für diese entwickelt die Beklagte, jeweils projektbezogen und nach den konkreten Anforderungen der einzelnen Kunden, Industrielösungen entlang der gesamten Prozesskette. Dies beinhaltet die Planung, Integration und die Realisierung/Produktion von Komponenten jeweils vor Ort in den verschiedenen Betrieben der Beklagten oder den Standorten ihrer Kunden.
Im „K“ Betrieb der Beklagten in O waren zum Zeitpunkt des Zugangs des Kündigungsschreibens regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer in Vollzeit beschäftigt.
Der Kläger ist am 1969 geboren, er ist ledig und hat keine Unterhaltspflichten. Seit dem 23.01.2017 ist er bei der Beklagten beschäftigt und zwar zuerst als „Leiter Planung und Projektmanagement“ und mit Änderungsvertrag vom 01.04.2018 als „Fachbereichs- und Niederlassungsleiter UWT, Planung und Projektmanagement“. Zuletzt erhielt er vereinbarungsgemäß eine monatliche Bruttovergütung in Höhe von 7.299,00 € brutto.
In der Arbeitsvertragsurkunde heißt es auszugsweise:
Tätigkeit und Aufgabenbereich
Der Einsatzort des Angestellten bezieht sich auf die gesamte C-C Unternehmensgruppe und richtet sich nach den laufenden Projekten der C-C Unternehmensgruppe.
Mit Schreiben vom 24.03.2023 versetzte die Beklagte den Kläger mit Wirkung ab dem 01.05.2023 auf einen zu diesem Zeitpunkt bereits bestehenden freien Arbeitsplatz im Betrieb der Beklagten am Standort M und wies ihn an, seine Arbeitsleistung am Standort der Beklagten in M zu erbringen. Wörtlich heißt es in dem streitgegenständlichen Schreiben:
„… Vor diesem Hintergrund versetzen wir Sie hiermit, mit Wirkung zum 01.05.2023, an den Standort der C-C GmbH nach M. Im Übrigen bleibt es bei den bisherigen arbeitsvertraglichen Bedingungen. Wir weisen Sie hiermit an, Ihre Tätigkeit ab dem 01.05.2023 an unserem Standort in M (Knstraße M) aufzunehmen und auszuüben.“
Ebenfalls mit Schreiben vom 24.03.2023 – zugegangen am 28.03.2023 – sprach die Beklagte hilfsweise für den Fall, dass die Versetzung nach M unwirksam sein sollte, eine ordentliche Kündigung zum nächstmöglichen Zeitpunkt aus, mithin zum 31.05.2023, verbunden mit dem Angebot, das Arbeitsverhältnis zu geänderten Bedingungen am Standort M fortzusetzen. Wörtlich heißt es in dem Kündigungsschreiben:
Gleichzeitig bieten wir Ihnen an, das Arbeitsverhältnis ab dem Folgetag, das heißt nach unserer Berechnung ab dem 01.06.2023 nicht mehr an unserem K, sondern an unserem M Standort (Knstraße M) zu im Übrigen unveränderten Bedingungen fortzusetzen.
Mit Schreiben vom 06.04.2023 erklärte der Kläger durch seinen Pben,
„Mein Mandant wäre jedoch bereit, seine Tätigkeit in Ihrem Unternehmen im Home-Office fortzusetzen. Hiermit bieten wir unter diesen Bedingungen seine Arbeitskraft ab dem 01. Mai 2023 ausdrücklich an.“
Das Arbeitsgericht hat der Klage im Ergebnis zu Recht stattgeben. Denn die Versetzung ist unwirksam.
Der Kläger hat einen Anspruch auf die Feststellung, dass die Versetzung vom 24.03.2023 unwirksam ist. Der Kläger hat in einem solchen Fall ein besonderes Feststellungsinteresse im Sinne des § 256 ZPO. Zutreffend hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass die Versetzung unwirksam ist. Die von der Beklagten ausgesprochene Versetzung vom K Arbeitsplatz, auf dem der Kläger während der vergangenen drei Jahre zu 80 % Homeoffice-Tätigkeit ausgeübt hat, nach M auf einen ausschließlichen Präsenzarbeitsplatz ohne die Möglichkeit einer Homeoffice-Tätigkeit, ist unwirksam, weil sie die nach § 106 GewO zu beachtende Grenze billigen Ermessens nicht einhält.
Dass die streitgegenständliche Weisung nicht nur die Zuordnung der Arbeitsleistung des Klägers zu einem neuen Betrieb – in diesem Fall den Betrieb in M – betrifft, sondern auch die in den letzten drei Jahren bestehende Erlaubnis, die Arbeitsleistung vom Homeoffice aus zu erbringen, ist zwischen den Parteien unstreitig, wenn sich dies auch nicht in gänzlicher Eindeutigkeit aus dem Wortlaut ergibt. Der Widerruf der besagten Erlaubnis erweist sich als ermessensfehlerhaft. Vorliegend geht es nicht um die Zuweisung eines Arbeitsplatzes mit Homeoffice-Möglichkeit als milderes Mittel gegenüber einer Kündigung (vgl. z.B. LAG Berlin-Brandenburg v. 24.03.2021 – 4 Sa 1243/20 –), sondern um den umgekehrten Fall, nämlich die Weisung, aus dem Homeoffice zurück in die Präsenz am betrieblichen Arbeitsplatz zu kommen und dies zusätzlich an einen mehr als 500 km entfernten Arbeitsplatz.
Kraft des in § 106 GewO ausdrücklich geregelten Weisungsrechts kann der Arbeitgeber grundsätzlich einseitig, d.h. auch ohne Zustimmung des Arbeitnehmers und notfalls sogar gegen dessen Willen die Einzelheiten der von ihm im Arbeitsvertrag häufig nur rahmenmäßig versprochenen Dienste in fachlicher, örtlicher und zeitlicher Hinsicht konkretisieren. Außerdem kann er Anordnungen zum Verhalten im Betrieb im Einzelfall erteilen sowie abstrakt-generelle Verhaltensregeln erlassen und diese bei Bedarf jederzeit wieder ändern. Das Weisungsrecht erweist sich damit als besonders wirkungsvolles Instrument zur Gestaltung und Umgestaltung von Arbeitsbedingungen. Es unterliegt deshalb strengen Bindungen. Grenzen ziehen namentlich Gesetze, Tarifverträge, Betriebs- bzw. Dienstvereinbarungen sowie nicht zuletzt der Arbeitsvertrag.
Solche Gesetze, Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen, die vorliegend einer Versetzung nach M entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich. Auch der Wortlaut des Vertrages hindert die Beklagte nicht, ihr Weisungsrecht dahin auszuüben, dass sie den Kläger nach M versetzt. Die Parteien haben den Vertrag auch nicht fokussiert auf den Homeoffice–Arbeitsplatz geändert. Zwar weist das Arbeitsgericht zutreffend darauf hin, dass eine arbeitgeberseitige Zuweisung eines Homeoffice-Arbeitsplatzes auf grundrechtliche Grenzen stößt; ist also ein Arbeitnehmer nicht gewillt, zu Hause zu arbeiten und bietet er ordnungsgemäß seine Arbeitsleistung in Präsenz bei der Arbeitgeberin an, so versetzt er sie so in Annahmeverzug; eine Abmahnung oder gar eine Kündigung kommt in einem solchen Fall nicht in Betracht. Wird beispielsweise einem Personalleiter eine Tätigkeit in der Poststelle zugewiesen (was offensichtlich vertragswidrig wäre) und arbeitet er tatsächlich dort, oder wird eine Arbeitnehmerin mit nationalbezogenem Arbeitsvertrag nach N Y geschickt (also ebenfalls offensichtlich vertragswidrig) und folgt sie dieser Weisung tatsächlich, so erbringen diese beiden beispielhaft bezeichneten Beschäftigten Arbeitsleistung im Sinne des § 611 a Abs. 1 BGB, die gemäß § 611 a Abs. 2 BGB zu vergüten ist. Sie haben aber das Recht, die Befolgung der Weisung zu verweigern, ohne Entgeltverluste oder kündigungsrechtliche Konsequenzen fürchten zu müssen, weil die Arbeitgeberin in solchen Fällen pflichtwidrig die Arbeitspflicht nicht in dem ihr zustehenden rechtlichen Rahmen konkretisiert hat. Grundsätzlich kann also niemand gezwungen werden im Homeoffice zu arbeiten. Daraus ergibt sich aber nicht im Umkehrschluss, dass sich der Inhalt des Arbeitsvertrages ändert, wenn die oder der Beschäftigte einer solchen vertragswidrigen Weisung folgt. Das gilt dann erst recht nicht, wenn die Arbeitgeberin den Beschäftigten die Möglichkeit einräumt, die Arbeitsleistung am heimischen Telefon bzw. Computer zu erbringen. Das Argument des Arbeitsgerichts, bei Homeofficearbeit habe sich „zwingend“ der Inhalt des Arbeitsvertrages geändert, hilft vorliegend also nicht weiter.
Die Arbeitgeberin hat allerdings bei der Erteilung von Weisungen auch billiges Ermessen zu wahren, das heißt, dass sie die berechtigten Belange der Beschäftigten angemessen zu berücksichtigen hat. Die Grenzen billigen Ermessens sind gewahrt, wenn die Arbeitgeberin bei ihrer Entscheidung die wesentlichen Umstände des Einzelfalls abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt hat.
Die Ausübung des Weisungsrechts kann gerichtlich kontrolliert werden.
Bei der Prüfung, ob die streitgegenständliche Weisung die Grenzen des billigen Ermessens wahrt, erweisen sich die zu berücksichtigenden Interessen des Klägers als überwiegend. Sie sprechen gegen einen Widerruf der Erlaubnis, vom Homeoffice aus die Arbeitsleistung zu erbringen. Der Kläger hat ein erhebliches Bestands- und Ortsinteresse. Über Jahre hinweg arbeitet er von einem Homeoffice aus. Dort ist er familiär, logistisch, im Freundeskreis und in der Kultur verortet. Um eine Versetzung von dort in ein Büro 500 km entfernt als „billig“ im Sinne des § 106 GewO erscheinen zu lassen, bedarf es sachlicher Interessen der Beklagten, die die Interessen des Klägers überwiegen. Solche überwiegenden sachlichen Interessen ergeben sich nicht aus den Darlegungen der Beklagten. Dabei sind die besonderen Einzelheiten des hier zu entscheidenden Einzelfalles zu beachten: Nach der Selbstbeschreibung der Beklagten befasst sich ihr Unternehmen – projektbezogen und nach den konkreten Anforderungen der einzelnen Kunden – mit Industrielösungen entlang der gesamten Prozesskette. Dabei geht es um Planung, Integration und die Realisierung/Produktion von Komponenten jeweils vor Ort in den verschiedenen Betrieben der Beklagten oder den Standorten ihrer Kunden. Die Darlegung des Klägers, dass der Kontakt zum Kunden zur Erfüllung dieser Aufgaben projektbezogen vor Ort beim Kunden geschehe und bis dahin mittels Telefon und Computer, ist von der Beklagten nicht konkret bestritten worden. Gleichfalls nicht bestritten wurde der Vortrag des Klägers, er betreue in berücksichtigungsfähigem Umfang auch Kunden, deren Sitz weit entfernt sei, sogar Kunden im Ausland. Danach macht es für diese Kunden keinen Unterschied, ob der Kläger als Mitarbeiter unternehmensintern dem Standort K zugeordnet ist oder dem Standort M. Jedenfalls ergibt sich nichts anderes aus den Darlegungen der Beklagten. Zu ihren eigenen Interessen hat die Beklagte Nachvollziehbares nur zu ihrer Entscheidung vorgetragen, den Standort K zu schließen und dort die betriebliche Infrastruktur und die Büroräumlichkeiten aufzugeben. Zu ihren Interessen, die Erlaubnis zu widerrufen, der zufolge der Kläger im Homeoffice arbeiten durfte, hat sich nur Allgemeines vorgetragen: Es sei Teil des unternehmensweiten Arbeitskonzepts und der Arbeitskultur der Firma, dass grundsätzlich in Präsenz mit den Kollegen vor Ort zusammengearbeitet werde. An diesem Konzept halte sie auch nach der Pandemie fest. Dabei ist zwischen den Parteien unstreitig, dass die Beklagte dieses von ihr geltend gemachte Konzept selbst nicht durchgehend befolgt. Außerdem fehlt es an jeglicher Konkretisierung in der Darlegung dieses Konzepts bei der besonderen von der Beklagten dargestellten Struktur ihres Tätigkeitsfeldes „projektbezogen und nach den konkreten Anforderungen der einzelnen Kunden“, „Planung, Integration und die Realisierung/Produktion von Komponenten jeweils vor Ort in den verschiedenen Betrieben der Beklagten oder den Standorten ihrer Kunden.“ Es fehlt jede Darlegung, welche konkreten Tätigkeiten anfallen, die eine Anwesenheit im Betrieb notwendig oder auch nur förderlich erscheinen ließen.
Zusammengefasst kann festgestellt werden, dass nach der Betriebsschließung in K die Neuzuordnung der Arbeitsleistung des Klägers innerhalb des Unternehmens zum Betrieb in M nicht nur sachgerecht ist, sondern sogar einem dringenden betrieblichen Erfordernis folgt. Das gilt aber nicht für den mit der Neuzuordnung verbundenen Widerruf der Erlaubnis, die Arbeitsleistung vom Homeoffice aus zu erbringen. Für einen solchen Widerruf hat die Beklagte, die für die Tatsachen die Darlegungs- und Beweislast trägt, die die Billigkeit ihrer Weisung bedingen sollen, keine sachbezogenen Interessen vorgebracht. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass sich die streitgegenständliche Weisung innerhalb der Grenzen billigen Ermessens bewegt hat.