Der Europäische Gerichtshof hat am 08.10.2020 zum Aktenzeichen C-641/19 sein Urteil zu der Frage verkündet, wie der Wertersatz zu berechnen ist, den die Online-Partnervermittlung Parship bei fristgerechtem Widerruf des Kunden für Leistungen verlangen kann, die sie wunschgemäß bereits erbracht hat.
Aus der Pressemitteilung des EuGH vom 08.10.2020 ergibt sich:
PE Digital mit Sitz in Deutschland betreibt die Partnervermittlungs-Website „Parship“ (www.parship.de). Sie bietet u.a. eine zahlungspflichtige sog. Premium-Mitgliedschaft für eine Dauer von 6, 12 oder 24 Monaten an, die es den Nutzern ermöglicht, während der Dauer ihrer Mitgliedschaft mit allen anderen Premium-Mitgliedern – d. h. deutschlandweit über 186 000 Nutzern – Kontakt aufzunehmen und mit ihnen Nachrichten und Bilder auszutauschen. Zur Premium-Mitgliedschaft gehört insbesondere die sog. Kontaktgarantie, mit der das Zustandekommen einer bestimmten Anzahl von Kontakten zu anderen Nutzern garantiert wird.
Für jedes Mitglied wird unmittelbar nach der Anmeldung ausgehend von einem etwa 30-minütigen Persönlichkeitstest zu partnerschaftsrelevanten Eigenschaften, Gewohnheiten und Interessen automatisiert eine Auswahl von Partnervorschlägen aus demselben Bundesland erstellt. Bei einer 12-monatigen Premiummitgliedschaft macht diese Auswahl bereits nahezu die Hälfte aller Partnervorschläge aus, die das Mitglied während der Vertragslaufzeit erhält. Premium-Mitglieder erhalten das computergenerierte Testergebnis in Form eines 50-seitigen „Persönlichkeitsgutachtens“; von Basis-Mitgliedern kann es gegen Entgelt als Teilleistung erworben werden.
Eine Verbraucherin schloss am 04.11.2018 mit PE Digital einen Vertrag über eine Premium-Mitgliedschaft für zwölf Monate zu einem Preis von 523,95 Euro. Dieser Preis lag mehr als doppelt so hoch wie der, den PE Digital manchen anderen ihrer Nutzer für dieselbe Vertragsdauer im selben Jahr berechnete. PE Digital belehrte die Verbraucherin über ihr Widerrufsrecht und diese bestätigte PE Digital, dass Letztere mit der vertraglichen Leistung vor Ablauf der Widerrufsfrist beginnen solle. Nachdem die Verbraucherin den in Rede stehenden Vertrag am 08.11.2018 widerrufen hatte, stellte ihr PE Digital einen Betrag von insgesamt 392,96 Euro als Wertersatz in Rechnung.
Die Verbraucherin erhob beim AG Hamburg Klage auf Rückzahlung sämtlicher an PE Digital geleisteter Zahlungen. Das Amtsgericht hat in diesem Zusammenhang den EuGH mit Vorlage vom 23.08.2019 (23a C 1/19) um Auslegung der Verbraucherschutzrichtlinie 2011/83 ersucht.
Der EuGH hat mit seinem Urteil dem AG Hamburg wie folgt geantwortet:
- Art. 14 Abs. 3 der RL 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.10.2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der RL 93/13/EWG des Rates und der RL 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der RL 85/577/EWG des Rates und der RL 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sei dahin auszulegen, dass zur Bestimmung des anteiligen Betrages, den der Verbraucher an den Unternehmer zu zahlen habe, wenn er ausdrücklich verlangt habe, dass die Ausführung des geschlossenen Vertrages während der Widerrufsfrist beginnt, und dann den Vertrag widerruft, grundsätzlich auf den im Vertrag vereinbarten Preis für die Gesamtheit der vertragsgegenständlichen Leistungen abzustellen und der geschuldete Betrag zeitanteilig zu berechnen sei. Nur wenn der geschlossene Vertrag ausdrücklich vorsehe, dass eine oder mehrere der Leistungen gleich zu Beginn der Vertragsausführung vollständig und gesondert zu einem getrennt zu zahlenden Preis erbracht werden, sei bei der Berechnung des dem Unternehmer nach Art. 14 Abs. 3 dieser Richtlinie zustehenden Betrages der volle für eine solche Leistung vorgesehene Preis zu berücksichtigen.
- Art. 14 Abs. 3 der RL 2011/83 im Licht deren 50. Erwägungsgrundes sei dahin auszulegen, dass für die Beurteilung, ob der Gesamtpreis im Sinne dieser Bestimmung überhöht sei, der Preis für die Dienstleistung, den der betreffende Unternehmer anderen Verbrauchern unter den gleichen Bedingungen anbiete, sowie der Preis einer zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses von anderen Unternehmern erbrachten gleichwertigen Dienstleistung zu berücksichtigen seien.
- Art. 16 Buchst. m i.V.m. Art. 2 Nr. 11 der RL 2011/83 sei dahin auszulegen, dass die Erstellung eines Persönlichkeitsgutachtens auf einer Partnervermittlungs-Website auf der Grundlage eines auf dieser Website durchgeführten Persönlichkeitstests keine Lieferung „digitaler Inhalte“ im Sinne dieser Bestimmung darstelle.
Der EuGH hat darauf hingewiesen, dass im vorliegenden Fall der in Rede stehende Vertrag keinen gesonderten Preis für irgendeine Leistung vorgesehen habe, die als von der in diesem Vertrag vorgesehenen Hauptleistung abtrennbar angesehen werden könne.