Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 29.07.2021 zum Aktenzeichen I ZR 114/20 entschieden, dass wenn ein Zahnarzt, der nicht Fachzahnarzt für Kieferorthopädie ist, mit den Angaben „Kieferorthopädie“ und „(Zahnarzt-)Praxis für Kieferorthopädie“ wirbt, er der dadurch ausgelösten Fehlvorstellung eines erheblichen Teils der angesprochenen Verkehrskreise, er sei Fachzahnarzt für Kieferorthopädie, durch zumutbare Aufklärung entgegenwirken muss.
Die Klägerin, eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, übt in ihrem Bezirk die Berufsaufsicht über die Zahnärzte aus.
Der Beklagte ist seit 30 Jahren als Zahnarzt niedergelassen und in der Praxisgemeinschaft “ “ im Bezirk der Klägerin tätig. Im Jahr 2012 erwarb er an der D. -Universität K. /Österreich einen Masterabschluss mit dem Titel „Master of Science Kieferorthopädie (MSc)“. Voraussetzung hierfür ist der erfolgreiche Abschluss eines postgradualen Universitätsstudiengangs Kieferorthopädie mit 50 Semesterstunden, Abschlussprüfung und Masterthesis. Seit dem Abschluss des Studiengangs erbringt der Beklagte kieferorthopädische Leistungen. Er hält Vorlesungen an der D. P. University in K. /Österreich im Rahmen des Studiengangs „Master of Science Orthodontics“ zum Thema “ “ und ist Referent für die -Kieferorthopädie bei Kindern. Der Beklagte hat gegenüber der Klägerin einen Tätigkeitsschwerpunkt Kieferorthopädie angezeigt. Eine von der Klägerin anerkannte Weiterbildung zum Fachzahnarzt für Kieferorthopädie hat er nicht absolviert.
Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 UWG handelt unlauter, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Eine geschäftliche Handlung ist gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 UWG irreführend, wenn sie unwahre Angaben oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über – nachfolgend aufgezählte – Umstände enthält; hierzu rechnen gemäß Nr. 3 auch solche über die Person, Eigenschaften oder Rechte des Unternehmers. Eine Irreführung liegt vor, wenn das Verständnis, das eine Angabe bei den Verkehrskreisen erweckt, an die sie sich richtet, mit den tatsächlichen Verhältnissen nicht übereinstimmt.
Dem Durchschnittsverbraucher sind Facharzt- und Fachzahnarztbezeichnungen zwar nicht fremd; er kennt dementsprechend auch den Begriff „Fachzahnarzt für Kieferorthopädie“ und noch mehr die gebräuchlichere Abkürzung „Kieferorthopäde“. Darunter stellt er sich einen Zahnarzt vor, der eine von der zuständigen Berufsaufsicht anerkannte Weiterbildung im Fachgebiet der Kieferorthopädie mit bestandener Prüfung absolviert hat. Vertiefte Gedanken zur Dauer und zum Inhalt einer solchen Weiterbildung macht sich der Durchschnittsverbraucher hingegen nicht. Er weiß auch nicht, dass das für Ärzte grundsätzlich bestehende Verbot, außerhalb ihres Fachgebiets tätig zu werden, für Zahnärzte nicht gilt (vgl. §§ 33 , 41 Abs. 1 , § 51 Abs. 1 HeilBerG NW ), und kieferorthopädische Leistungen daher auch durch approbierte Zahnärzte erbracht werden dürfen, die nicht dazu berechtigt sind, die Bezeichnung „Fachzahnarzt für Kieferorthopädie“ oder „Kieferorthopäde“ zu führen.
Der Beklagte nährt sich durch die Verwendung der Begriffe „Kieferorthopädie“ und „(Zahnarzt-)Praxis für Kieferorthopädie“ der Bezeichnung „Fachzahnarzt für Kieferorthopädie“ an.
Die Weiterbildung zum Fachzahnarzt dient der Sicherstellung einer hohen Qualität der zahnmedizinischen Versorgung der Bevölkerung und damit einem besonders wichtigen Gemeinschaftsgut. Die Fachzahnarztbezeichnungen stellen zugleich eine Orientierungshilfe für die an einer Behandlung interessierten Patienten bei der Auswahl eines geeigneten Zahnarztes dar. Wie ausgeführt (Rn. 28) verfügt der Durchschnittsverbraucher über eine – nicht im Einzelnen konkretisierte – Vorstellung, ein Fachzahnarzt erfülle einen von der zuständigen Berufsaufsicht kontrollierten Qualitätsstandard. Vor diesem Hintergrund wird die Erreichung der genannten Zwecke gefährdet, wenn der Durchschnittsverbraucher irrtümlich annimmt, ein mit „Kieferorthopädie“ werbender Zahnarzt sei Fachzahnarzt für Kieferorthopädie.
Ein Zahnarzt, der in seiner Werbung den Begriff „Kieferorthopädie“ verwendet, ohne Fachzahnarzt für Kieferorthopädie zu sein, ist daher gehalten, der aufgrund der Verwendung des Begriffs zu erwartenden Fehlvorstellung der angesprochenen Verkehrskreise, er sei Fachzahnarzt für Kieferorthopädie, durch zumutbare Aufklärung entgegenzuwirken. Dies stellt eine verhältnismäßige Beschränkung seiner Berufsausübungsfreiheit zum Schutz der auch im öffentlichen Interesse liegenden Fachzahnarztbezeichnung dar. Welche Maßnahmen der Aufklärung zu fordern sind, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Soweit – wie im Streitfall – Angaben im Internetauftritt eines Zahnarztes betroffen sind, kommt insbesondere ein deutlicher Hinweis auf die Art der von ihm erworbenen Zusatzqualifikation und den Umfang seiner praktischen Erfahrung in Betracht. Auch der Ausweis eines Tätigkeitsschwerpunkts kann insoweit der Abgrenzung zu einer Fachzahnarztbezeichnung dienen.