Das Amtsgericht München hat mit Urteil vom 05.10.2018 zum Aktenzeichen 154 C 2636/18 entschieden, dass eine Reisepreisminderung und Schadensersatz von 852,03 Euro vom Reiseanbieter zu zahlen ist.
Die im thüringischen Kyffhäuserkreis lebende Klägerin buchte für sich, ihren Partner und zwei Kinder für 2.262 Euro eine All-Inclusive-Flugreise vom 29.09.2017 bis 09.10.2017 nach Side. Die Beklagte hat im Voucherheft darauf hingewiesen, dass spätestens 30 Minuten vor dem Abflug die Eincheckzeit endet. Der Hinflug sollte am 29.09.2017 um 14:45 Uhr mit der Fluggesellschaft Condor ab dem Flughafen Leipzig mit Ankunft in Antalya um 19 Uhr erfolgen. Am Flughafen wurde gleichzeitig mit dem gebuchten Flug nach Antalya auch ein Flug nach Griechenland abgefertigt. Um ca. 14:20 Uhr kam die Klägerin zu spät am Schalter zum Check-In an die Reihe. Das Flugzeug flog ohne die Klägerin und ihre Familie nach Antalya.
Die Klägerin behauptet, alle seien ca. zwei Stunden vor Abflug am Abflugschalter auf dem Leipziger Flughafen gewesen. Auf dem Bildschirm vor dem Check-In sei lediglich der Name der Fluglinie angegeben gewesen. Die Klägerin und ihre Familie hätten sich an der dort befindlichen Warteschlange angestellt, die zu drei Schaltern führte. Sie seien davon ausgegangen, dass sämtliche Wartenden das gleiche Ziel hätten. Sie hätten weder gehört, dass sie aufgerufen worden seien, noch seien sie darauf hingewiesen worden, dass man nicht mehr einchecken könne, wenn man nicht an der Schlange vorbeigehe. Es sei auch keiner aus der Schlange heraus nach vorne gegangen. Sie hätten einen neuen Flug ab Berlin-Tegel buchen müssen. Die Nacht hätten sie in Leipzig bei Verwandten auf dem Fußboden geschlafen. Am 30.09.2017 seien sie mit dem Zug nach Berlin gefahren, um von dort über Istanbul nach Antalya zu fliegen. Erst am 01.10.2017 gegen 3:00 Uhr sei man im Hotel angekommen.
Die Zeugin der Beklagten gab an, dass etwa eine Stunde vor dem Abflug die Passagiere für den Flug nach Antalya aufgerufen worden sein müssten, um sie vorzuziehen. Die Klägerin müsse unaufmerksam oder zu spät gewesen sein.
Die zuständige Richterin am Amtsgericht München gab der Klägerin in weiten Teilen Recht.
Es sei „…die Art und Weise des geschilderten Aufrufens, indem ein Mitarbeiter an der Schlange entlanggeht und mehrmals laut ruft, nicht geeignet, um sicherzustellen, dass alle Fluggäste hiervon Kenntnis erlangen. Es ist davon auszugehen, dass die wartenden Personen in der Schlange am Check-In-Schalter sich auch miteinander unterhalten, während sie warten, und dass deshalb ein gewisser Geräuschpegel herrscht. Die ausrufende Person müsste dementsprechend sehr laut rufen, um sämtliche anderen Geräusche zu übertönen. Es ist auch möglich, dass Reisende für die kurze Zeit des Aufrufs unaufmerksam sind. Die volle Aufmerksamkeit auf das Geschehen vor sich in und neben der Warteschlange während der hier 1,5 Stunden dauernden Wartezeit zu richten, kann von keinem Reisenden verlangt werden. Die Fluggesellschaft hätte entweder durch eine Durchsage per Lautsprecher oder durch ein Ansprechen aller Wartender in der Schlange sicherstellen müssen, dass alle Reisenden die Information erhalten. Es kann auch nicht von den Fluggästen erwartet werden, dass diese alle wissen, dass es auch sein kann, dass zwei Flüge gleichzeitig abgefertigt werden, und dass sie an der Warteschlange vorbeigehen – ein sozial zumeist unerwünschtes Verhalten – um bevorzugt eingecheckt zu werden. Diese Erwartung hat selbst die Fluggesellschaft nicht, da sie ansonsten gar keine Aufrufe machen würde. (…)Das Gericht hält dementsprechend eine Minderung in Höhe eines Tagesreisepreises in Höhe von 205,64 € (2.262,- € : 11 Tage) für angemessen.“
Die Richterin sprach ebenfalls in Höhe von 205,64 € Ersatz für nutzlos aufgewendete Urlaubszeit zu. Sie minderte jedoch den daneben geforderten Ersatz der durch den Ersatzflug entstandenen Schadens von insgesamt 881,50 Euro um 50 %:
„Die Klägerin trifft ein erhebliches Mitverschulden daran, dass sie zu spät zum Check-In am Schalter eintraf. Selbst wenn die Beklagte bzw. die Fluggesellschaft keinen hinreichenden Aufruf für den Flug nach Antalya vorgenommen hat, hätte die Klägerin selbst tätig werden müssen, um ein Verpassen des Fluges zu verhindern. (…) Dem Gericht erscheint es als grobe Sorgfaltspflichtverletzung in eigenen Angelegenheiten, sich sorglos in eine Warteschlange zu stellen und sehenden Auges den gebuchten Flug zu verpassen, ohne auch nur einmal eine Nachfrage zu stellen.“
Rechtsanwalt Dipl.-Jur. Jens Usebach, LL.M. berät im Reiserecht und Schadensersatzrecht.