Wer sich nicht fortbildet, verliert „Fachanwalt“-Titel

19. Oktober 2024 -

Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 30.08.2024 zum Aktenzeichen AnwZ (Brfg) 18/24 entschieden, dass der Widerruf des „Fachanwalt“-Titels rechtmäßig ist, wenn sich der Rechtsanwalt nicht fortbildet.

Dem Kläger, der seit dem Jahr 1984 Mitglied der beklagten Rechtsanwaltskammer und außerdem als Steuerberater tätig ist, wurde am 20. Februar 1990 die Erlaubnis erteilt, die Bezeichnung „Fachanwalt für Steuerrecht“ zu führen. Mit Bescheid vom 15. Februar 2023 widerrief die Beklagte diese Erlaubnis wegen Nichterfüllung der Fortbildungspflicht nach § 43c Abs. 4 Satz 2 BRAO, §§ 15, 25 FAO.

Der Kläger meint, es sei grundsätzlich klarzustellen, dass die Regelung des § 15 FAO, nach der ein Fachanwalt kalenderjährlich Fortbildungsmaßnahmen im Umfang von 15 Zeitstunden unaufgefordert nachzuweisen habe (§ 15 Abs. 3 und Abs. 5 FAO), im Wege der Auslegung dahingehend zu verstehen sei, dass nur 10 Zeitstunden durch Fremdbestätigung nachzuweisen seien. Dies, so der Kläger, folge daraus, dass gemäß § 15 Abs. 4 FAO bis zu 5 Zeitstunden auch durch die Lektüre von Fachzeitschriften nebst Leistungsnachweis abgedeckt werden könnten. Da jeder Rechtsanwalt und – wie er -Steuerberater selbstverständlich immer wieder Fachzeitschriften lese und der erforderliche Nachweis auch durch die bloße Mitteilung des Rechtsanwalts erbracht werden könne, dass er 5 Stunden Fachzeitschriften gelesen habe, seien die Vorgaben von § 15 Abs. 3 und Abs. 5 FAO auch bei einer Fremdbestätigung von (nur) 10 Zeitstunden erfüllt.

Die vom Kläger damit aufgeworfene Frage ist nicht klärungsbedürftig, sondern unschwer und zwar im gegenteiligen Sinne bereits anhand der existierenden berufsrechtlichen Regelungen zu beantworten.

Nach § 15 Abs. 4 FAO können bis zu 5 Zeitstunden im Wege des Selbststudiums absolviert werden, sofern eine Lernerfolgskontrolle erfolgt; nach § 15 Abs. 5 Satz 2 FAO ist die Fortbildung im Sinne des Absatzes 4 durch Bescheinigungen und Lernerfolgskontrollen nachzuweisen. Bereits daraus ergibt sich, dass das Selbststudium zur Anerkennung als Fortbildung mittels einer Lernerfolgskontrolle erfolgen muss und die reine Lektüre von Fachzeitschriften ebenso wie die anwaltliche Versicherung des Selbststudiums als Nachweis gerade nicht ausreicht. Das wurde auch in der Begründung, die dem Plenum der 5. Satzungsversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer zur Sitzung am 6./7. Dezember 2013 zum Beschluss über die Einführung von § 15 Abs. 4 FAO vorgelegt wurde, ausdrücklich klargestellt. Als Beispiel für eine danach mögliche Fortbildung wurde die Teilnahme an einer Online-Fortbildung genannt, die nicht die Interaktionsanforderungen von § 15 Abs. 2 FAO erfülle, bei der aber eine Leistungserfolgskontrolle durch Teilnahme an einem an den Lerninhalten anknüpfenden Prüfungsmodul mit gesonderter Bescheinigung stattfinde.

Dementsprechend wird auch in der Literatur darauf hingewiesen, dass eine Lernerfolgskontrolle für die Anerkennung als Selbststudium als „Minimum“ eine Kontrolle nicht durch den Fachanwalt selbst, sondern durch einen Dritten voraussetze. Einer weitergehenden Klarstellung zu der vom Kläger aufgeworfenen Frage bedarf es daher nicht.

Gemäß § 43c Abs. 4 Satz 2 BRAO steht die Entscheidung über einen Widerruf der Erlaubnis zum Führen der Fachanwaltsbezeichnung wegen Unterlassung einer in der Berufsordnung vorgeschriebenen Fortbildung im Ermessen der Rechtsanwaltskammer. Hierzu bestimmt die zum 1. Oktober 2023 in Kraft getretene Neuregelung in § 15 Abs. 5 Satz 3 FAO, dass die Rechtsanwaltskammer der Fachanwältin oder dem Fachanwalt bei fehlendem oder nicht vollständigem Nachweis der Fortbildung Gelegenheit geben muss, innerhalb einer angemessenen Frist fehlende Fortbildungsstunden nachzuholen. Diese Regelung war zwar im Zeitpunkt des Widerrufs der Erlaubnis des Klägers im Februar 2023 noch nicht anwendbar. Bereits damals war in der Rechtsprechung des Senats aber hinreichend geklärt, dass es unter Umständen einer pflichtgemäßen Ermessensausübung der Rechtsanwaltskammer entsprechen kann, zunächst die Nachholung einer versäumten Fortbildung zu ermöglichen.

Nach der Rechtsprechung des Senats steht zwar die Verletzung der Fortbildungspflicht bei Nichterreichen der vorgeschriebenen Fortbildungsstunden mit dem Ablauf des jeweiligen Jahres unumkehrbar fest und kommt eine die Verletzung der Fortbildungspflicht rückwirkend heilende Nachholung der Fortbildung im Folgejahr nicht in Betracht.

Eine einmalige Verletzung der Fortbildungspflicht führt allerdings nicht zwingend zum Widerruf. Vielmehr steht die Entscheidung über den Widerruf im pflichtgemäßen Ermessen des Vorstands der Rechtsanwaltskammer. Hierbei sind alle Umstände des Einzelfalls, wie etwa eine auf Grund Erkrankung unverschuldete Versäumung der Fortbildung, zu berücksichtigen. Insbesondere hat der Senat es daher auch schon vor der ausdrücklichen Regelung in § 15 Abs. 5 Satz 3 FAO für möglich erachtet, dass die Rechtsanwaltskammer der Rechtsanwältin bzw. dem Rechtsanwalt in Ausübung ihres pflichtgemäßen Ermessens zunächst Gelegenheit gibt, die versäumte Fortbildung im Folgejahr nachzuholen. Angesichts des engen zeitlichen Zusammenhangs zwischen einer im Vorjahr unterbliebenen und der im nachfolgenden Jahr zusätzlichen Fortbildung war danach ein Absehen vom Widerruf trotz des Hintergrundes der Zielrichtung der Fortbildung, einen einheitlichen Qualitätsstandard sicherzustellen, bei dem die spezifischen Fachkenntnisse jeweils auf dem neuesten Stand gehalten werden, als nicht ermessensfehlerhaft anzusehen.

Diese Grundsätze, die der Anwaltsgerichtshof bei seiner Entscheidung zutreffend zugrunde gelegt und angewandt hat, lassen dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer auch unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben, insbesondere des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, genügend Spielraum, in Ausübung seines pflichtgemäßen Ermessens den Umständen des jeweiligen Einzelfalls vor einem Widerruf gebührend Rechnung zu tragen. Vor allem in Anbetracht der Möglichkeit, der Fachanwältin bzw. dem Fachanwalt zunächst die Gelegenheit zur Nachholung der versäumten Fortbildung zu geben, bedurfte und bedarf es der zusätzlichen Möglichkeit einer nur zeitweisen Untersagung der Führung der Fachanwaltsbezeichnung (bis zur Nachholung der Fortbildung) daher nicht.

Soweit der Kläger außerdem für grundsätzlich klärungsbedürftig hält, ob der Vorstand der Rechtsanwaltskammer im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gehalten sei, vor einem Widerruf der Erlaubnis wegen Verletzung der Fortbildungspflicht zunächst als milderes Mittel eine diesbezügliche Rüge auszusprechen, werden in der Literatur zwar unterschiedliche Auffassungen zum Verhältnis von § 43c Abs. 4 Satz 2 BRAO zum Rügerecht nach § 74 BRAO vertreten.

Die Frage wäre hier aber nur entscheidungserheblich, wenn der Senat – falls er bei Verletzung der Fortbildungspflicht eine Rüge für grundsätzlich möglich hielte – den Widerruf der Erlaubnis im konkreten Fall ohne vorangegangene Rüge für unverhältnismäßig hielte. Das ist nicht der Fall.

Wie der Anwaltsgerichtshof zutreffend ausgeführt hat, hat der Kläger seine Fortbildungspflicht nicht nur einmal, sondern in drei aufeinanderfolgenden Jahren (2020 bis 2022) nicht erfüllt. Die Beklagte hat ihn mit Schreiben vom 6. April 2022 darauf hingewiesen, dass er für das Jahr 2020 Forderungsnachweise nur für 7,5 Zeitstunden und für das Jahr 2021 nur für 6,5 Zeitstunden erbracht und für das Jahr 2022 bislang noch keine Nachweise vorgelegt habe. Mit Schreiben vom 1. Juni 2022 hat sie ihm die Möglichkeit gegeben, die fehlenden 16 Zeitstunden für die Jahre 2020 und 2021 bis spätestens 30. September 2022, mithin binnen vier Monaten, sowie die weiteren 15 Zeitstunden für das Jahr 2022 gemäß der gesetzlichen Regelung bis zum 31. Dezember 2022 nachzuweisen. Damit hat sie ihm – auch unter Berücksichtigung der von ihm geltend gemachten Erkrankungen – ausreichend Zeit eingeräumt, etwa unverschuldete Fortbildungsversäumnisse durch verstärkte Fortbildungen in 2022 auszugleichen. Diese Möglichkeit hat der Kläger jedoch nicht genutzt, sondern im Jahr 2022 bis zum Jahresende insgesamt lediglich 14,25 Zeitstunden nachgewiesen.

Dass in diesem Fall der Ausspruch einer Rüge als nochmalige Warnung vor einem Widerruf der Erlaubnis geboten und zudem erfolgversprechend gewesen wäre, ist nicht ersichtlich. Insoweit war auch zu berücksichtigen, dass die von § 15 FAO intendierte Gewährleistung eines einheitlichen Qualitätsstandards bei Führung einer Fachanwaltsbezeichnung angesichts der wiederholten, teils beträchtlichen Verletzung der Fortbildungspflicht in drei aufeinanderfolgenden Jahren (in den Jahren 2020 und 2021 die Hälfte der vorgeschriebenen 15 Zeitstunden) bereits erheblich beeinträchtigt war. Den vom Kläger dagegen angeführten Ausgleich durch seine Tätigkeit als Steuerberater und Geschäftsführer einer Steuerberatungsgesellschaft hat der Anwaltsgerichtshof mit der zutreffenden Begründung als nicht ausreichend angesehen, dass auch eine vertiefte ständige Praxis oder langjährige Erfahrung auf dem jeweiligen Fachgebiet allein die von § 15 FAO intendierte Gewährleistung von spezifischen Fachkenntnissen „auf der Höhe der Zeit“ nicht sicherstellen kann.