Das Landesarbeitsgericht Köln hat mit Urteil vom 10.10.2023 zum Aktenzeichen 4 Sa 22/23 zur Beweislast bei der Ankündigung oder Androhung der Arbeitsunfähigkeit durch einen Arbeitnehmer entschieden.
Die „Ankündigung oder Androhung einer Arbeitsunfähigkeit“ bei objektiv nicht bestehender Erkrankung kann „an sich“ einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen. Die Pflichtwidrigkeit der Ankündigung einer Krankschreibung bei objektiv nicht bestehender Erkrankung im Zeitpunkt der Ankündigung liegt in erster Linie darin, dass der Arbeitnehmer mit einer solchen Erklärung zum Ausdruck bringt, er sei notfalls bereit, seine Rechte aus dem Entgeltfortzahlungsrecht zu missbrauchen, um sich einen unberechtigten Vorteil zu verschaffen. Mit einem solchen Verhalten verletzt der Arbeitnehmer seine aus der Rücksichtnahmepflicht folgende Leistungstreuepflicht erheblich. Zugleich wird durch die Pflichtverletzung das Vertrauen des Arbeitgebers in die Redlichkeit und Loyalität des Arbeitnehmers in schwerwiegender Weise beeinträchtigt, so dass in einer solchen Erklärung regelmäßig auch ohne vorausgehende Abmahnung ein die außerordentliche Kündigung an sich rechtfertigender verhaltensbedingter Grund zur Kündigung liegt.
Die beweisbelastete Beklagte hat eine angedrohte Arbeitsunfähigkeit durch den Kläger nicht nachgewiesen. Soweit sie einwendet, das Arbeitsgericht habe die Grund-sätze der gestuften Darlegungs- und Beweislast verkannt, geht dies fehl.
Im Kündigungsschutzprozess obliegt dem Arbeitgeber die volle Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Kündigungsgrundes. Für Umstände, die das Verhalten des Arbeitnehmers rechtfertigen oder entschuldigen könnten, ist seine Darlegungslast allerdings abgestuft. Der Arbeitgeber darf sich zunächst darauf beschränken, den objektiven Tatbestand einer Arbeitspflichtverletzung vorzutragen. Er muss nicht jeden erdenklichen Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund vorbeugend ausschließen. Es ist vielmehr Sache des Arbeitnehmers, für das Eingreifen solcher Gründe – soweit sie sich nicht unmittelbar aufdrängen – zumindest greifbare Anhaltspunkte zu benennen. Schon auf der Tatbestandsebene des wichtigen Grundes kann den Arbeitnehmer darüber hinaus eine sekundäre Darlegungslast treffen. Dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn der Arbeitgeber als primär darlegungsbelastete Partei außerhalb des fraglichen Geschehensablaufs steht, während der Arbeitnehmer auf Grund seiner Sachnähe die wesentlichen Tatsachen kennt. In einer solchen Situation kann der Arbeitnehmer gehalten sein, dem Arbeitgeber durch nähere Angaben weiteren Sachvortrag zu ermöglichen. Kommt er in einer solchen Prozesslage seiner sekundären Darlegungslast nicht nach, gilt das tatsächliche Vorbringen des Arbeitgebers – soweit es nicht völlig „aus der Luft gegriffen“ ist – iSv. § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden. Dabei dürfen an die sekundäre Behauptungslast des Arbeitnehmers keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Sie dient lediglich dazu, es dem kündigenden Arbeitgeber als primär darlegungs- und beweispflichtiger Partei zu ermöglichen, weitere Nachforschungen anzustellen und sodann substantiiert zum Kündigungsgrund vorzutragen und gegebenenfalls Beweis anzutreten.
Nach diesen Maximen war es Aufgabe der Beklagten, die angedrohte Arbeitsunfähigkeit durch den Kläger im Rahmen eines Gesprächs mit dem Geschäftsführer darzulegen und zu beweisen. Auf Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe, die zu einer Abstufung der Darlegungslast führen würden, hat sich der Kläger nicht berufen, er hat vielmehr bestritten, dass das von der Beklagten behauptete Gespräch überhaupt stattgefunden hat. Eine darüberhinausgehende sekundäre Darlegungslast traf den Kläger nicht, denn die Beklagte stand nicht außerhalb des von ihr behaupteten Geschehensablaufs. Vielmehr soll ihr Geschäftsführer unmittelbar daran beteiligt gewesen sein. Ob der Kläger, wie er vorträgt, zur fraglichen Zeit mit dem Auszubildenden Az an der Fräse gearbeitet hat, kann – wie es das Arbeitsgericht zutreffend dargelegt hat – dahinstehen. Denn auch für den Fall, dass dies nicht der Fall gewesen wäre, wäre damit weder im Hinblick auf das von der Beklagten behauptete Gespräch noch auf dessen Inhalt irgendetwas gesagt. Eine Zeugenvernehmung des Herrn Az hatte daher zu unterbleiben.
Auch der übrige Geschehensablauf rechtfertigt entgegen der Auffassung der Beklagten nicht den Schluss, der Kläger habe dem Geschäftsführer gegenüber seine Arbeitsunfähigkeit für den Fall angedroht, dass die streitigen 1.000,00 Euro nicht gezahlt würden. Ob der Kläger von Rechts wegen einen Anspruch auf diesen unstreitig von ihm begehrten Betrag hatte, spielt insofern keine Rolle. Es steht den Arbeitsvertragsparteien jederzeit frei, über die Konditionen ihrer Vertragsbeziehung zu verhandeln und diese gegebenenfalls anzupassen. Zutreffend weist das Arbeitsgericht außerdem darauf hin, dass es befremdlich ist, dass die E-Mail vom 22.04.2022, 00:04 Uhr, mit keinem Wort auf die behauptete angedrohte Arbeitsunfähigkeit eingeht, sondern nur auf den Vorwurf des „unredlichen oder gar betrügerischen Verhaltens“, den der Kläger mit seiner E-Mail vom 21.04.2022, 16:25 Uhr, artikuliert hat. DieseE-Mail ist inhaltlich als Antwort bezogen auf die Nachricht des Geschäftsführers vom 21.04.2022, 13:42 Uhr, mit der dieser eine Erhöhung des Bruttoentgelts angeboten hat. Die E-Mail-Korrespondenz zwischen dem Kläger und dem Geschäftsführer ergibt damit auch und insbesondere dann ein stimmiges Gesamtbild, wenn das behauptete Gespräch gegen 15:30 Uhr nicht stattgefunden haben sollte.