Wenn die Gülle im Pool landet – Landwirt haftet auch ohne Verschulden

17. April 2025 -

Landgericht Kempten zur Halterhaftung nach § 7 StVG (Urt. v. 23.12.2024 – 12 O 1063/24)

Ein kurioser Fall aus dem Allgäu sorgt für Klarheit im Schadensrecht: Ein Landwirt bringt Gülle aus – und statt nur auf der Wiese landet ein nicht unerheblicher Teil der übelriechenden Fracht im Garten, auf der Fassade und im Außenpool einer Ferienanlage. Das Landgericht (LG) Kempten stellte klar: Der Halter des Traktors haftet – und zwar auch dann, wenn der Wind den Unfall mitverursacht hat.


Der Fall: Gülle statt Urlaubsidylle

Im April 2023 war ein Landwirt mit seinem Traktor samt angehängtem Güllefass und Hochdruckverteiler unterwegs, um eine Wiese neben einer Ferienwohnanlage zu düngen. Dabei fuhr er über eine öffentliche Straße. Durch plötzlich auftretende Windböen wurde ein erheblicher Teil der Gülle nicht auf dem Feld verteilt, sondern auf das angrenzende Grundstück einer Ferienanlage geweht.

Die Folge: Der gesamte Gartenbereich inklusive Bestuhlung, Fenster, Hausfassade und vor allem der Außenpool wurden mit Fäkalien verunreinigt. Die Betreiberin der Ferienwohnungen klagte auf Ersatz der Reinigungs- und Sanierungskosten – rund 15.000 Euro.


Der Streitpunkt: War der Landwirt schuld?

Im Mittelpunkt des Verfahrens stand die Frage, ob der Landwirt fahrlässig gehandelt hatte. Insbesondere wurde diskutiert, ob der starke Wind vorhersehbar war – und ob man unter diesen Umständen überhaupt hätte Gülle ausbringen dürfen.

Doch das LG Kempten machte deutlich: Auf ein Verschulden kommt es in diesem Fall gar nicht an.


Die rechtliche Einordnung: Halterhaftung nach § 7 StVG

Entscheidend war die verschuldensunabhängige Halterhaftung gemäß § 7 Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG). Danach haftet der Halter eines Kraftfahrzeugs, wenn beim „Betrieb“ des Fahrzeugs eine Sache beschädigt wird – unabhängig davon, ob ein schuldhaftes Verhalten vorliegt.

Laut ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Begriff des „Betriebs“ weit auszulegen: Es genügt, wenn sich eine von dem Fahrzeug ausgehende Gefahr realisiert hat. Wichtig ist lediglich, dass ein Zusammenhang mit der Fortbewegung des Fahrzeugs besteht – nicht aber, ob der Fahrer einen Fehler gemacht hat.


Traktor als fahrbare Arbeitsmaschine – Betrieb bejaht

Im konkreten Fall handelte es sich um einen Traktor mit angebautem Güllefass und Verteiltechnik. Das LG sah darin eine „fahrbare Arbeitsmaschine“, die ihre Arbeit gerade im Zuge der Fahrt verrichtet. Der Traktor sei auch nicht nur auf einem Acker, sondern auf öffentlicher Straße bewegt worden. Damit war der notwendige Zusammenhang mit dem Straßenverkehr gegeben.

Das Gericht stellte klar: Die Gülle wurde während der Fahrt über einen Hochdruckverteiler ausgebracht. Der Traktor bestimmte mit, wohin die Gülle gelangt und mit welcher Kraft – und damit auch, wohin sie verweht werden kann. Dieses Risiko habe sich im konkreten Fall realisiert.


Fazit: Haftung ohne Schuld – wegen des hohen Gefährdungspotenzials

Da die Anspruchsgrundlage aus § 7 Abs. 1 StVG bereits alle Voraussetzungen erfüllte, musste das Gericht nicht mehr prüfen, ob der Landwirt fahrlässig handelte oder der Wind vorhersehbar war. Die Haftung greift verschuldensunabhängig – weil sich eine typische Gefahr des Betriebs eines Kraftfahrzeugs verwirklicht hat.

Der Landwirt wurde zur Zahlung von rund 15.000 Euro verurteilt – ein teures Lehrgeld dafür, dass bei der Gülleausbringung auch Umwelteinflüsse wie Wind mitbedacht werden müssen.


Rechtstipp von Dr. jur. Jens Usebach LL.M.

Für Halter von Traktoren, Baumaschinen und anderen fahrbaren Arbeitsmaschinen ist dieses Urteil ein Weckruf: Wer mit dem Fahrzeug auf öffentlichen Straßen unterwegs ist und dabei Arbeiten verrichtet, haftet für sämtliche Schäden, die aus dem Betrieb resultieren – auch ohne eigenes Verschulden.

Unser Tipp:

  • Behalten Sie die Wetterlage im Blick.

  • Sichern Sie Fahrzeuge und Anbaugeräte technisch ab.

  • Lassen Sie sich frühzeitig rechtlich beraten, wenn durch landwirtschaftliche Arbeiten Schäden entstehen.


FAQ zum Urteil des LG Kempten

1. Muss ich als Landwirt immer haften, wenn Gülle Schaden anrichtet?
Nicht immer – aber sobald der Schaden beim Betrieb eines Kraftfahrzeugs auftritt, haften Sie als Halter grundsätzlich ohne Verschulden.

2. Gilt das Urteil nur für Traktoren?
Nein. Die Halterhaftung gilt für alle Kraftfahrzeuge im Sinne des StVG, also auch für Baumaschinen, Lkw oder sonstige fahrbare Geräte, sofern sie im öffentlichen Verkehrsraum eingesetzt werden.

3. Was bedeutet „beim Betrieb eines Fahrzeugs“ genau?
Es reicht, wenn sich eine Gefahr verwirklicht hat, die vom Fahrzeug im Zusammenhang mit seiner Fortbewegung ausgeht. Auch Arbeiten während der Fahrt zählen dazu.

4. Was ist, wenn der Wind den Schaden verursacht hat?
Der Wind spielt für die Halterhaftung keine Rolle, wenn sich die typische Gefahr des Fahrzeugeinsatzes verwirklicht hat – wie in diesem Fall durch den Hochdruckverteiler.

5. Kann ich mich gegen solche Haftungsrisiken absichern?
Ja. Eine Betriebshaftpflicht- oder spezielle Landwirtschaftshaftpflichtversicherung kann solche Schäden abdecken. Prüfen Sie regelmäßig Ihren Versicherungsschutz.