Das Bundessozialgericht hat am 30.10.2019 zum Aktenzeichen B 6 KA 21/18 R zu einem Wachstumsarzt (Anfängerpraxis) verhandelt und zur Frage, ob dieser ein höheres vertragsärztliches Honorar unter Einbeziehung in die Honorarstützungsmaßnahmen nach der Konvergenzregelung beanspruchen kann.
Aus der Pressemitteilung des Verwaltungsgerichts Berlin Nr. 36/2019 vom 30.10.2019 ergibt sich:
Der Kläger, ein Facharzt für Plastische Chirurgie sowie für Chirurgie und Unfallchirurgie, ist seit August 2004 im Bezirk der beklagten KÄV zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Mit der ihm erteilten Genehmigung zur Teil-Radiologie stellt er als einziger Arzt auf einer Insel die radiologische Versorgung sicher. Die Beklagte wies ihm für das Quartal 1/2009 für die unter das Regelleistungsvolumen (RLV) fallenden Leistungen eine Obergrenze von maximal 18.225 Euro auf Grundlage der durchschnittlichen Fallzahl seiner Fachgruppe von 647,2 Fällen zu. Dem widersprach der Kläger unter Hinweis auf die Röntgenleistungen als Praxisbesonderheit; zudem beantragte er eine Härtefallanpassung. Im nachfolgenden Honorarbescheid vom 17.08.2009 und weiteren Bescheiden vom 22.09.2010 bzw 03.07.2012 bewilligte die Beklagte unter Berücksichtigung von 504 RLV-relevanten Fällen im Abrechnungsquartal und einem Zuschlag für die Sicherstellung der radiologischen Versorgung ein Honorar in Höhe von insgesamt 41.285 Euro (brutto). Die vom Kläger geforderte Einbeziehung in die Konvergenzregelung wegen erheblicher Honorarverluste gegenüber dem Vorjahresquartal 1/2008 lehnte die Beklagte jedoch ab, weil die für Schleswig-Holstein vereinbarte Konvergenzregelung auf sog Wachstumsärzte, welche die durchschnittliche Fallzahl der Fachgruppe in den ersten fünf Jahren ihrer Zulassung noch nicht erreicht hätten, nicht anwendbar sei (Widerspruchsbescheid vom 05.09.2012).
Das Sozialgericht hat die Beklagte unter Änderung der bisherigen Honorarabrechnung zur erneuten Bescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts verurteilt. Zwar könne der Kläger als Wachstumsarzt keine Stützungszahlung zur Begrenzung seiner Honorarverluste auf 7,5% entsprechend der von den regionalen Partnern der Gesamtverträge in der 2. Ergänzungsvereinbarung zur Honorarverteilungsvereinbarung (HVV) geregelten Konvergenzvereinbarung beanspruchen. Ihm stünden aber Ausgleichszahlungen zur Begrenzung seines Honorarverlusts auf maximal 15% nach der 1. Ergänzungsvereinbarung zur HVV zu. Das Landessozialgericht hat die Berufung des Klägers, mit der dieser weiterhin eine Begrenzung seiner Honorarverluste auf 7,5% gemäß der Konvergenzvereinbarung verlangte, zurückgewiesen. Der Ausschluss der Wachstumsärzte von der Konvergenzregelung sei als noch verhältnismäßig hinzunehmen. Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit liege nicht vor, da sich Anfängerpraxen noch nicht in gleicher Weise wie etablierte Praxen auf ein bestimmtes Honorarniveau hätten einstellen können und deshalb nicht in demselben Maße Bestandsschutz beanspruchen könnten. Der Kläger rügt mit seiner Revision eine Verletzung von § 87b Abs. 2 und 5 SGB V a.F. sowie des Grundsatzes der Honorarverteilungsgerechtigkeit. Der Ausschluss der Anfänger- bzw Wachstumspraxen von der Konvergenzregelung verschaffe den etablierten Praxen einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil. Das BSG habe bereits entschieden, dass eine KÄV nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet sei, auch unterdurchschnittlich abrechnende Praxen und Anfängerpraxen erforderlichenfalls zu stützen.
Die Revision des Klägers war erfolgreich.
Nach Auffassung des BSG dürfen – entgegen der Ansicht des Landessozialgerichts – Ärzte in der Anfangsphase ihrer vertragsärztlichen Tätigkeit nicht generell von Honorarstützungsmaßnahmen im Rahmen einer Konvergenzvereinbarung ausgeschlossen werden. Die zwischen der beklagten KÄV und den Krankenkassen abgeschlossene Konvergenzvereinbarung reagiert auf Verwerfungen, die anlässlich der Einführung bundesweit einheitlicher Bestimmungen zur Honorarverteilung durch Bildung von Regelleistungsvolumen (RLV) auftreten konnten. Ihr zufolge waren im Bezirk der Beklagten Ausgleichszahlungen zum Honorar zu leisten, sofern die durch eine Neustrukturierung des Vergütungssystems bedingten Honorarverluste einer Praxis im Vergleich zum Vorjahr 7,5% überschritten. Ein genereller Ausschluss neu zugelassener Ärzte in der auf bis zu fünf Jahre festgelegten Wachstumsphase von dieser Begünstigung kann im Lichte des Art. 3 Abs. 1 GG keinen Bestand haben. Die Ungleichbehandlung kann nicht damit gerechtfertigt werden, dass diese sog Wachstumsärzte – anders als etablierte Praxen – ihre Fallzahlen ohne Einschränkung bis zur durchschnittlichen Fallzahl ihrer Fachgruppe steigern können. Diese Begünstigung kommt Anfängerpraxen nur zugute, wenn es ihnen tatsächlich gelingt, ihre Fallzahl zu erhöhen, was auch von Umständen abhängt, die der einzelne Arzt nicht bzw nur begrenzt beeinflussen kann. Hingegen können Anfängerpraxen von den Verwerfungen, die durch eine Umstellung der Honorarsystematik ausgelöst werden, ebenso hart betroffen sein wie bereits etablierte Praxen. Ein schützenswertes Vertrauen darauf, dass sich die Grundlagen für den Honoraranspruch nicht sprunghaft und übergangslos verschlechtern, kann auch schon in den ersten Jahren nach Aufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit bestehen.
Dass mit dem Ausschluss der Anfängerpraxen von der Konvergenzstützung eine sachlich nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung einhergeht, wird auch daran deutlich, dass Anfängerpraxen, die bereits in den ersten fünf Jahren die durchschnittliche Fallzahl der Fachgruppe erreichen, auf Antrag in die Konvergenzregelung einbezogen werden können. Damit ist für Anfängerpraxen im Ergebnis allein die Größe (Fallzahl) ihrer Praxis maßgeblich für den Erhalt von Stützungszahlungen. Kleineren, in der Regel wirtschaftlich schlechter gestellten Anfängerpraxen wird die Begünstigung versagt, während etablierte Praxen mit unterdurchschnittlicher Fallzahl in derselben wirtschaftlichen Lage von der Konvergenzregelung profitieren können. Der Umstand, dass Anfängerpraxen noch nicht so lange ein bestimmtes Honorarniveau gewohnt sind wie etablierte Praxen, ist kein geeignetes Differenzierungskriterium für eine Regelung, die gerade das Abfedern sprunghafter Honoraränderungen anlässlich der Umstellung eines Honorarsystems bezweckt.