Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat durch Beschlüsse mehreren Anträgen auf vorläufigen Rechtsschutz gegen die Verkürzung des sog. Corona-Genesenenstatus von 180 Tage auf 90 Tage stattgegeben und vorläufig festgestellt, dass die Antragsteller bis zum Ablauf des jeweiligen digitalen COVID-Zertifikats der EU als genesen gelten.
Aus der Pressemitteilung des VG Stuttgart vom 17.03.2022 ergibt sich:
Die Kammer stützt ihre Entscheidungen im Wesentlichen darauf, dass § 2 Nr. 4 und 5 der Verordnung zur Regelung von Erleichterungen und Ausnahmen von Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (SchAusnahmV), als Rechtsgrundlage für die Verkürzung des Genesenenstatus, gegen höherrangiges Recht verstoße. Die Entscheidungen beziehen sich ausschließlich auf die Fassung der SchAusnahmV vom 14. Januar 2022. Inwieweit sich die in Kürze zu erwartende Änderung der Rechtslage (voraussichtlich ab 19. März 2022) auf die Rechtmäßigkeit des Genesenenstatus auswirkt, ist offen.
Zur Begründung führt die Kammer aus, die weitere Delegation (vom Verordnungsgeber) durch die geänderte Fassung des § 2 Nr. 5 SchAusnahmV auf das Robert Koch-Institut erscheine problematisch, da mit der Subdelegation, abgesehen von der pauschalen Anforderung, dass der aktuelle Stand der medizinischen Wissenschaft zu berücksichtigen sei, keine näheren inhaltlichen Vorgaben für den Genesenen-Nachweis getroffen würden, sondern diese Entscheidung allein dem Robert Koch-Institut überlassen werde. Mit dieser Regelungstechnik habe der Verordnungsgeber die ihm unter dem Vorbehalt der Zustimmung von Bundestag und Bundesrat (nur) übertragene und für die Verwirklichung von Grundrechten essentielle Entscheidung, wer als genesen gilt, aus der Hand gegeben. Die Regelung führe dazu, dass allein die wissenschaftlich-fachliche Einschätzung des Robert Koch-Instituts mit sofortiger Außenwirkung rechtlich verbindlich werde. Damit hätten sich Gesetzgeber bzw. Verordnungsgeber auch der Möglichkeit begeben, Grundrechtseingriffe durch die Festlegung von Übergangsfristen abzumildern, die es den Betroffenen ermöglichen würden, rechtzeitig Vorsorge zu treffen, indem sie sich etwa beizeiten um einen Impftermin bemühten. Es sei nicht Aufgabe des Robert Koch-Instituts, sondern des Gesetz- bzw. Verordnungsgebers zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes über gegebenenfalls erforderliche Übergangsfristen zu befinden.
Die in § 2 Nr. 5 SchAusnahmV angewandte Regelungstechnik der dynamischen Verweisung, mittels derer der Verordnungsgeber im Wege der Subdelegation dem Robert Koch-Institut die Konkretisierung der an einen Impf- und Genesenen-Nachweis zu stellenden Anforderungen überlasse, sei außerdem nicht mit dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip vereinbar. Zudem verstoße die aktuelle Fassung des § 2 Nr. 5 SchAusnahmV mit hoher Wahrscheinlichkeit gegen die aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abzuleitenden Gebote der Normenklarheit und der Bestimmtheit.
Die Unwirksamkeit der aktuellen Fassung des § 2 Nr. 5 SchAusnahmV habe zur Folge, dass für die jeweiligen Antragsteller die vorhergehende und für sie günstigere Fassung der Vorschrift vom 08.05.2021 weiterhin gelte.
Die Kammer nimmt ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis zwischen dem jeweiligen Antragsteller und dem Rechtsträger des zuständigen Gesundheitsamtes an. Hieraus ergibt sich die örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Stuttgart für Verfahren gegen die in seinem Zuständigkeitsbereich liegenden Rechtsträger der zuständigen Gesundheitsämter.
Die Beschlüsse, die unmittelbar nur zugunsten der jeweiligen Antragsteller gelten, sind bislang noch nicht rechtskräftig. Gegen die Beschlüsse ist das Rechtsmittel der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in Mannheim gegeben, die innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung einzulegen ist.