Das Verwaltungsgericht Leipzig hat am 15.07.2020 zum Aktenzeichen 1 K 737/19 festgestellt, dass das Anfertigen von Bild- und Tonaufnahmen durch eine stationär befestigte Videokamera am Connewitzer Kreuz in Leipzig während einer friedlichen Demonstration rechtswidrig war.
Aus der Pressemitteilung des VG Leipzig vom 05.10.2020 ergibt sich:
Die Klägerin zeigte unter dem 28.03.2019 als Vertreterin der „Initiative Mieter*innen“ eine Versammlung für den 06.04.2019, 12:00 Uhr bis 14:00 Uhr unter dem Motto „Steigenden Mieten die rote Karte zeigen – Für bezahlbaren Wohnraum für alle – Gemeinsam gegen Mietwahnsinn und Verdrängung!“, an, für die etwa 100 Personen erwartet wurden. Die Demonstrationsstrecke führte über einen Teilbereich (Leopoldstraße/Ecke Wolfgang-Heinze-Straße bis Kochstraße kurz vor Einmündung Scheffelstraße) des Connewitzer Kreuzes, welcher seit dem Jahr 2003 mittels einer stationären an einem Mast befestigten Kamera videoüberwacht wird. Der von der schwenkbaren Kamera im Regelbetrieb abgedeckte Bereich umfasst die unmittelbare Umgebung des Connewitzer Kreuzes mit den angrenzenden Straßenmündungen. Die im Vorfeld der Demonstration geäußerte Bitte der Klägerin, während der Versammlung die stationäre Kamera auszuschalten, lehnte die Polizei ab.
Das VG Koblenz hat der Feststellungsklage der Klägerin stattgegeben.
Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts hat der Beklagte durch die Anfertigung von Bild- und Tonaufnahmen rechtswidrig in das Versammlungsrecht der Demonstrationsteilnehmer gemäß Art. 8 GG eingegriffen. Art. 8 GG garantiert mit der inneren Versammlungsfreiheit die individuelle Entschlussfassung, an der kollektiven Meinungsbildung in freier Selbstbestimmung teilzunehmen. Diese Entschlussfassung müsse freibleiben von Unsicherheit, Angst und Einschüchterungseffekten. Denn wer damit rechnen müsse, dass seine Teilnahme an einer Versammlung behördlich registriert werde und ihm dadurch persönliche Risiken entstehen könnten, werde möglicherweise auf die Ausübung seines Grundrechts verzichten. Aus Sicht eines sog. verständigen Dritten entfalte auch eine fest installierte Kameratechnik zur Überwachung der Örtlichkeit eine Abschreckungswirkung für potenzielle Versammlungsteilnehmer.
Vorliegend sei es der Polizei möglich und zumutbar gewesen, für den kurzen Zeitraum des Durchzugs der friedlichen Demonstration die Bild- und Tonaufnahmen oder -aufzeichnungen auf den außerhalb des Demonstrationsgeschehens liegenden Bereich des Connewitzer Kreuzes zu beschränken. Bei einem Auftreten von Straftaten im zeitweilig nicht videoüberwachten Bereich habe die vorhandene Kameratechnik ohne weiteres und ohne zeitliche Verzögerung wieder eingesetzt werden können.
Zugleich hat das VG Leipzig darauf verwiesen, dass eine andere Rechtslage dann gegeben sei, wenn bei einer Demonstration tatsächliche Anhaltspunkte bestünden, die die Annahme rechtfertigten, dass von den Versammlungsteilnehmern selbst eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung bei oder im Zusammenhang mit der Versammlung ausgehe. In diesem Fall sei die Anfertigung von Videoaufzeichnungen der Versammlung, anders als in vorliegendem Fall, bereits nach § 20 Abs. 1 SächsVersG gestattet. Soweit individualisierbare Aufnahmen von einem gewaltbereiten Störer gefertigt würden, könnte dieser sich im Übrigen ohnehin nicht auf den Schutz der Versammlungsfreiheit berufen.
Gegen das Urteil steht den Beteiligten die Berufung zum OVG Bautzen offen.