Der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz in Koblenz hat mit Beschluss vom 15.01.2020 zum Aktenzeichen VGH B 19/19 darauf hingewiesen, dass die Nichtüberlassung von Messdaten und der Gebrauchsanweisung für die Verwendung einer mobilen Radarfalle im „standardisierten Messverfahren“ gegen das Recht eines Betroffenen auf effektiven Rechtsschutz und den gesetzlichen Richter verstoßen kann.
Aus der Pressemitteilung des Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz Nr. 2/2020 vom 24.01.2020 ergibt sich:
Dem Beschwerdeführer wurde in einem Bußgeldverfahren vorgeworfen, die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften überschritten zu haben. Die Geschwindigkeitsmessung erfolgte mittels eines in einen Anhänger (sog. Enforcement Trailer) eingebauten Messgerätes des Typs PoliScan FM1 der Firma Vitronic. Im Laufe des Verfahrens, zuletzt in der mündlichen Verhandlung vor dem AG Wittlich, beantragte seine Verteidigerin die Überlassung verschiedener Messdaten sowie der Auf- und Einbauvorschriften für die Verwendung des Gerätes in einem Enforcement Trailer, ferner die Aussetzung des Verfahrens sowie die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Fehlerhaftigkeit der Geschwindigkeitsmessung. Sämtliche Anträge wurden durch Beschluss des Gerichts abgelehnt.
Das Amtsgericht verurteilte den Beschwerdeführer wegen des Geschwindigkeitsverstoßes zu einer Geldbuße von 120 Euro. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde machte dieser unter anderem geltend, hinsichtlich der Aufbauvorschriften könne auf die Rechtsprechung mehrerer Oberlandesgerichte zu Bedienungsanleitungen zurückgegriffen werden, die ein Einsichtsrecht des Betroffenen bejahe. Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde wurde durch das OLG Koblenz als unbegründet verworfen. Sämtliche im Zulassungsantrag aufgeworfenen Rechtsfragen verfahrens- und materiell-rechtlicher Art seien geklärt.
Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer sowohl gegen das Urteil des Amtsgerichts als auch den Beschluss des Oberlandesgerichts. Die Nichtüberlassung der Messdaten und weiterer Dokumente verstoße gegen das Recht auf ein faires Verfahren, die Ablehnung des beantragten Sachverständigengutachtens zudem gegen das Grundrecht auf rechtliches Gehör. Der Beschluss des Oberlandesgerichts sei mit den Garantien des gesetzlichen Richters und effektiven Rechtsschutzes unvereinbar.
Die Verfassungsbeschwerde hatte vor dem VerfGH Koblenz teilweise Erfolg. Der Verfassungsgerichtshof hat den Beschluss des OLG Koblenz, mit dem dieses den Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des AG Wittlich verworfen hatte, aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes verletzt die Entscheidung des OLG Koblenz die Rechte auf effektiven Rechtsschutz (Art. 124 der Verfassung für Rheinland-Pfalz – LV) und den gesetzlichen Richter (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 LV). Der Beschwerdeführer habe in seinem Zulassungsantrag ausdrücklich auf die Rechtsprechung mehrerer Oberlandesgerichte hingewiesen, wonach ein Recht auf Einsichtnahme in die mit der hier geforderten Aufbauanleitung vergleichbare Gebrauchsanweisung eines Messgerätes auch dann bestehe, wenn diese sich nicht bei der Gerichtsakte befinde. Vor diesem Hintergrund sei objektiv kein Gesichtspunkt erkennbar, der die Verwerfung des Zulassungsantrags als unbegründet rechtfertige. Bestehe zu derselben Rechtsfrage bereits eine abweichende Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte, sei die Rechtsbeschwerde vielmehr zur Fortbildung des Rechts bzw. zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen und auf den Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern zu übertragen, um eine Divergenzvorlage an den BGH zu ermöglichen.
Hinsichtlich der weiter gerügten Grundrechtsverletzungen hat der VerfGH Koblenz die Verfassungsbeschwerde hingegen zurückgewiesen.
Wegen des verfassungsprozessualen Grundsatzes materieller Subsidiarität sei dem Oberlandesgericht durch die Zurückverweisung zunächst Gelegenheit zu geben, erneut über den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde zu befinden. Der Verfassungsgerichtshof betonte allerdings, die an der jüngeren Rechtsprechung des VerfGH Saarbrücken zu den Gewährleistungen des fairen Verfahrens und des rechtlichen Gehörs orientierte Argumentation des Beschwerdeführers sei keineswegs zwingend. Gerade im Ordnungswidrigkeitenverfahren, das sich in wesentlichen Punkten vom Strafverfahren unterscheide, seien neben den Rechten des Betroffenen auch die Erfordernisse einer funktionierenden Rechtspflege in den Blick zu nehmen.