Das Oberlandesgericht Stuttgart hat am 19.10.2021 zum Aktenzeichen 7 – 37 OJs 2/14 einen 35-jährigen türkischen Staatsangehörigen wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung in der ausländischen terroristischen Vereinigung „Arbeiterpartei Kurdistans“ („PKK“) zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten verurteilt.
Aus der Pressemitteilung des OLG Stuttgart vom 19.10.2021 ergibt sich:
Der Senat hat seit dem 8. Oktober 2020 an 65 Tagen verhandelt und im Rahmen der Beweisaufnahme 40 Zeugen und 5 Sachverständige vernommen. Außerdem wurden zahlreiche abgehörte Telefongespräche, SMS-Nachrichten und Urkunden sowie Videoaufzeichnungen in die Hauptverhandlung eingeführt.
Nach den Feststellungen des Senats handelt es sich bei der „PKK“ um eine ausländische terroristische Vereinigung, die nach wie vor die Errichtung eines staatsähnlichen Gebildes auf kurdischen Siedlungsgebieten in der Türkei, Syrien, im Irak und Iran anstrebt. Zur Durchsetzung ihrer Ziele setzt sie mit ihrem militärischen Arm bzw. ihren Guerillaeinheiten auch Anschläge – unter anderem auf türkische Militär- und Polizeiangehörige – ein, bei denen auch Zivilisten getötet oder verletzt werden. Die in Deutschland seit 1993 verbotene Vereinigung verfügt europaweit über Führungskader, die von der Parteispitze getroffene Vorgaben und Entscheidungen umsetzen. In Deutschland besteht hierzu ein räumlich und hierarchisch strukturiertes Gefüge von Sektor- und Gebietsleitern, die sich in ihrem jeweiligen Gebiet vor allem mit der Beschaffung von Geldmitteln, der Nachwuchsrekrutierung und der Durchführung von Demonstrationen und anderen Veranstaltungen befassen und durch die damit verbundenen Betätigungen zur Förderung des bewaffneten Kampfs in der Türkei beitragen.
Der Senat hat festgestellt, dass der Ende 2011 in die Bundesrepublik Deutschland eingereiste Angeklagte sich in vielfacher Weise als „PKK“-Mitglied für die Vereinigung betätigte. Bereits Anfang 2013 trat er in Paris als Vertreter der „PKK“-Jugendorganisation auf. In Stuttgart nahm er im Jahr 2014 für drei Monate die Funktion eines Jugend-Führungskaders ein, um auf die kurdische Jugend im Sinne der „PKK“ einzuwirken. Er trat mehrfach als Redner bei Demonstrationen und Kundgebungen auf und warb namentlich dafür, dass kurdische Jugendliche und junge Erwachsene ausreisen, um sich an bewaffneten Kämpfen, etwa in der Kurdenregion Rojava, zu beteiligen. Zudem war er durch das Einsammeln von Monatsbeiträgen in die Geldbeschaffung eingebunden. Von Mitte 2015 an nahm er in Saarbrücken neun Monate lang die Funktion eines Gebietsleiters wahr und war damit als Führungskader für die „PKK“-Angelegenheiten im Saarland, der Westpfalz und in Luxemburg verantwortlich, organisierte Demonstrationen, berichtete übergeordneten Kadern und bezog ihm nachgeordnete Aktivisten in seine Betätigungshandlungen ein, bis ihn die Europaführung der „PKK“ von dort wegen der ihm – trotz seines oft verdeckten und konspirativen Vorgehens – drohenden Strafverfolgung abzog. Der per Haftbefehl gesuchte Angeklagte konnte im November 2019 in der Schweiz festgenommen werden und befand sich bis 22. Juni 2020 in Auslieferungshaft, danach in Deutschland in Untersuchungshaft. Die in der Schweiz erlittene Auslieferungshaft wurde im Urteil im Verhältnis 1:1 angerechnet.
Der Senat hat bei der Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, dass es sich bei der „PKK“ um eine besonders gefährliche terroristische Vereinigung handelt und der Angeklagte als Gebietsleiter bzw. in Ausübung seiner Kaderstellungen ein breit gefächertes Betätigungsfeld abdeckte. Strafmildernd bewertete der Senat neben der lang andauernden und, auch pandemiebedingt, mit besonderen Belastungen verbundenen Untersuchungshaft den erheblichen Zeitabstand zwischen Tat und Urteil sowie die lange Verfahrensdauer. Hinzu kam, dass der nicht vorbestrafte Angeklagte aufgrund seiner kurdischen Volkszugehörigkeit und seines politischen Engagements in der Türkei schon als Schüler langjährigen Demütigungen und Beleidigungen ausgesetzt war; bei mehrfachen Festnahmen durch türkische Sicherheitskräfte kam es zu massiven körperlichen Übergriffen.
Der Senat ordnete die Fortdauer der Untersuchungshaft an. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Dem Angeklagten und der Generalstaatsanwaltschaft steht gegen das Urteil das Rechtsmittel der Revision zum Bundesgerichtshof offen.