Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 29. November 2023 zum Aktenzeichen 2 BvF 1/18 entschieden, dass § 2 und § 11 Abs. 1 des Gesetzes zur Förderung von Investitionen finanzschwacher Kommunen (Kommunalinvestitionsförderungsgesetz – KInvFG) mit dem Grundgesetz vereinbar sind.
Aus der Pressemitteilung des BVerfG Nr. 117/2023 vom 18. Dezember 2023 ergibt sich:
Aus dem Sondervermögen „Kommunalinvestitionsförderungsfonds“ gewährt der Bund den Ländern Finanzmittel zur Förderung von Investitionen finanzschwacher Kommunen. Die Verteilung dieser Finanzmittel auf die einzelnen Länder nach bestimmten Prozentsätzen regeln § 2 KInvFG und – für Finanzhilfen zur Verbesserung der Schulinfrastruktur – § 11 Abs. 1 KInvFG. Der Verteilungsschlüssel berücksichtigt je zu einem Drittel die Einwohnerzahl, die Arbeitslosenzahl und die Höhe der Kassen(verstärkungs)kreditbestände der Länder und Kommunen. Der Antragsteller, das Land Berlin, beanstandet die den Prozentsätzen zugrundeliegenden Verteilungskriterien und hält diese für verfassungswidrig.
§ 2 und § 11 Abs. 1 KInvFG sind mit dem Grundgesetz vereinbar. Bei § 2 KInvFG ergibt sich der verfassungsrechtliche Maßstab aus Art. 104b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GG (Finanzhilfen des Bundes für bestimmte Investitionen der Länder und Gemeinden zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft im Bundesgebiet); bei § 11 Abs. 1 KInvFG aus Art. 104c Satz 1 GG (Finanzhilfen des Bundes an die Länder für gesamtstaatlich bedeutsame Investitionen in die kommunale Bildungsinfrastruktur). Die Einhaltung dieser Maßstäbe unterliegt einer eingeschränkten, am Willkürmaßstab ausgerichteten verfassungsgerichtlichen Kontrolle. Danach ist die in § 2 und § 11 Abs. 1 KInvFG vorgesehene prozentuale Verteilung der Investitionshilfen auf die Länder nicht sachwidrig. Die Teilkriterien Anzahl der Arbeitslosen, Anzahl der Einwohner und Höhe der Kassenkreditbestände sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. § 2 und § 11 Abs. 1 KInvFG verstoßen auch nicht gegen das Gebot der föderativen Gleichbehandlung.
Sachverhalt:
Über einen Kommunalinvestitionsförderungsfonds stellt der Bund den Ländern Finanzhilfen zur Förderung von Investitionen finanzschwacher Kommunen zur Verfügung: Zum einen Fördermittel in Höhe von insgesamt 3,5 Milliarden Euro, die dem Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft im Bundesgebiet dienen sollen; § 2 KInvFG regelt deren Verteilung auf die Länder nach bestimmten Prozentsätzen. Zum anderen Finanzhilfen zur Verbesserung der Schulinfrastruktur allgemeinbildender und berufsbildender Schulen in Höhe von insgesamt 3,5 Milliarden Euro; § 11 Abs. 1 KInvFG regelt die Verteilung dieser Finanzmittel auf die Länder nach bestimmten Prozentsätzen. Der den Fördermitteln zugrunde gelegte Verteilungsschlüssel berücksichtigt je zu einem Drittel die Anzahl der Einwohner der Länder jeweils zum 30. Juni des Jahres, die Höhe der Kassen(verstärkungs)kreditbestände der Länder und Kommunen zusammen jeweils zum 31. Dezember des Jahres sowie die Anzahl der Arbeitslosen der Länder im Jahresdurchschnitt.
Das Land Berlin ist der Ansicht, der den §§ 2 und 11 Abs. 1 KInvFG jeweils zugrunde gelegte Verteilungsschlüssel führe zu einer verfassungswidrig ungleichen Verteilung der Investitionshilfemittel des Bundes auf die einzelnen Länder und insbesondere zu einer ungerechtfertigten Benachteiligung der Stadtstaaten.
Wesentliche Erwägungen des Senats:
Der Normenkontrollantrag ist offensichtlich unbegründet. § 2 und § 11 Abs. 1 KInvFG sind mit dem Grundgesetz vereinbar.
§ 2 KInvFG bleibt mit seiner Verteilung der Fördermittel innerhalb der Grenzen von Art. 104b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GG und verletzt auch das Gebot der föderativen Gleichbehandlung nicht.
Nach Art. 104b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GG kann der Bund, soweit ihm Gesetzgebungsbefugnisse zustehen, den Ländern Finanzhilfen für besonders bedeutsame Investitionen der Länder und der Gemeinden (Gemeindeverbände) gewähren, die zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft im Bundesgebiet erforderlich sind. Die Arten der zu fördernden Investitionen sind insofern auf das Förderungsziel „Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft im Bundesgebiet“ ausgerichtet und betreffen bestimmte herausgehobene Investitionsbereiche, in denen dieses Ziel mit finanzieller Hilfe des Bundes erreicht werden soll.
Art. 104b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GG legt nur äußere Grenzen fest, innerhalb derer durch zustimmungsbedürftiges Bundesgesetz (oder Verwaltungsvereinbarung) „das Nähere“ im Sinne der Norm geregelt wird. Er bildet die Grundlage für Regelungen, die im Hinblick auf Strukturschwäche und Investitionsbedarf zwischen den Ländern differenzieren, ohne jedoch die Differenzierungskriterien im Einzelnen verfassungsrechtlich vorzugeben.
Ob der Bundesgesetzgeber die Voraussetzungen für die Gewährung von Finanzhilfen nach Art. 104b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GG eingehalten hat, unterliegt nur einer eingeschränkten, am Willkürmaßstab ausgerichteten verfassungsgerichtlichen Kontrolle.
Gemessen an diesen Maßstäben ist nicht ersichtlich, dass die in § 2 KInvFG vorgenommene prozentuale Verteilung der Investitionshilfen auf einer grundlegenden Verkennung des Begriffs des „Ausgleichs unterschiedlicher Wirtschaftskraft im Bundesgebiet“ nach Art. 104b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GG durch den Gesetzgeber beruht.
Das Abstellen auf die Anzahl der Arbeitslosen (der Länder im Jahresdurchschnitt) zu einem Drittel bei der Verteilung der Investitionshilfen auf die Länder ist offensichtlich zur Abbildung von Strukturschwäche geeignet und daher nicht ohne Sachgrund.
Gleiches gilt für die Berücksichtigung der Anzahl der Einwohner der Länder zu einem Drittel. Die Annahme, höhere Einwohnerzahlen erforderten objektiv mehr Infrastruktur und dementsprechend höhere Investitionssummen, ist nicht sachwidrig.
Es ist ebenfalls nicht sachwidrig, die Verteilung der Finanzhilfen zu einem weiteren Drittel nach der Summe der Kassenkredite der Länder und Kommunen vorzunehmen. Das Kriterium der Kassenkredite ist zur Abbildung von Strukturschwäche oder Investitionsbedarf nicht ungeeignet und überschreitet daher den durch Art. 104b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GG gewährten Spielraum nicht. Im Gegensatz zu Haushaltskrediten, die ausschließlich die Finanzierung von Investitionen oder Investitionsförderungsmaßnahmen sowie die Umschuldung zum Zweck haben dürfen, dienen Kassenkredite der Aufrechterhaltung einer ordnungsgemäßen Kassenwirtschaft und sollen solche Defizite in der Kasse ausgleichen, die sich vorübergehend dadurch ergeben, dass Einzahlungen hinter Auszahlungen zurückbleiben. Ein hoher Bestand an Kassenkrediten zeigt somit an, dass laufende Ausgaben teils kreditär finanziert werden.
Entschließt sich der Gesetzgeber, nicht nur Investitionsprogramme der Länder für ihre strukturschwachen Kommunen, sondern auch Infrastrukturprojekte in Stadtstaaten zu fördern, ist ein Abstellen auf die Kassenkredite der Länder und Kommunen in ihrer Gesamtheit nicht ohne sachlichen Grund. Der Gesetzgeber durfte annehmen, dass die in einem Stadtstaat zu bewältigenden Infrastrukturaufgaben und der dortige Investitionsbedarf bei einem Flächenland in etwa demjenigen der Kommunen und des Landes zusammengenommen entsprechen. Denn die kommunale Aufgabenwahrnehmung erfolgt in den Stadtstaaten gebündelt beim Land, zusätzlich zu den originären Länderaufgaben. In dieser Hinsicht nehmen die Stadtstaaten eine Doppelstellung als Länder und Kommunen ein.
Die Gewichtung der Kriterien zu gleichen Teilen verlässt den von Art. 104b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GG gesteckten Rahmen ebenfalls nicht. Ob die Norm eine andere Gewichtung zuließe oder ob der Gesetzgeber den sachgerechtesten aller denkbaren Verteilungsschlüssel gewählt hat, unterliegt dabei nicht der Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht.
Die Finanzhilfen gemäß § 2 KInvFG verstoßen auch nicht gegen das Gebot der föderativen Gleichbehandlung. Dieses im Bundesstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) angelegte Gebot dient nicht dazu, in der Verfassung unmittelbar angelegte Differenzierungen zu nivellieren. Es verbietet somit keine Differenzierungen, die einer Prüfung am Maßstab des Art. 104b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GG verfassungsrechtlich standhalten. Diese stellen schon keine am Gebot der föderativen Gleichbehandlung zu messende Ungleichbehandlung dar.
§ 11 Abs. 1 KInvFG verlässt weder den durch Art. 104c Satz 1 GG alte Fassung (a.F.) noch den durch Art. 104c Satz 1 GG (aktuell geltende Fassung) gezogenen Rahmen, noch verletzt er das Gebot der föderativen Gleichbehandlung.
Art. 104c Satz 1 GG a.F. ermöglichte es dem Bund, den Ländern Finanzhilfen für gesamtstaatlich bedeutsame Investitionen der finanzschwachen Gemeinden (Gemeindeverbände) im Bereich der kommunalen Bildungsinfrastruktur zu gewähren. Die Norm steht Regelungen, die allen Ländern Finanzhilfen zukommen lassen, nicht grundsätzlich entgegen.
Art. 104c Satz 1 GG a.F. verbietet es nicht, Investitionshilfen auch Stadtstaaten zukommen zu lassen. Diese verfügen zwar begrifflich schon deshalb nicht über finanzschwache Kommunen, weil sie – mit Ausnahme Bremens – nicht in Kommunen untergliedert sind. Jedoch zielte die Einführung von Art. 104c GG a.F. auf die Beseitigung bundesweit bestehender Investitionsdefizite in der Bildungsinfrastruktur. Dafür, dass in den Stadtstaaten – anders als in den Flächenländern – kein hoher Investitionsbedarf im Bereich der Bildungsinfrastruktur besteht, gibt es keine Anhaltspunkte.
Art. 104c Satz 1 GG a.F. untersagt es, die Länder an Investitionshilfen des Bundes in einer Weise teilhaben zu lassen, die ihnen pauschal denselben Betrag zuwendet. Vielmehr fordert die Norm eine Verteilung der Bundesfinanzhilfen, die sich einerseits an der „Finanzschwäche“ und andererseits an einem Investitionsbedarf bezüglich der Bildungsinfrastruktur orientiert.
Die Kriterien, die für diese Verteilung heranzuziehen sind, gibt Art. 104c Satz 1 GG a.F. nicht im Einzelnen vor. Er legt allein äußere Grenzen fest und verweist für die Ausgestaltung des Näheren auf ein zustimmungsbedürftiges Bundesgesetz oder eine Verwaltungsvereinbarung. Die Entscheidung darüber, welche Regelung konkret gewählt wird, obliegt in erster Linie dem Gesetzgeber oder den an der Verwaltungsvereinbarung Beteiligten. Verfassungsgerichtlich überprüfbar ist auch hier allein die Einhaltung der äußeren Normgrenzen.
Gemessen an diesen Maßstäben ist nicht ersichtlich, dass die in § 11 Abs. 1 KInvFG vorgenommene prozentuale Verteilung der Investitionshilfen sachwidrig ist und den Schluss zulässt, dass sie auf einer grundlegenden Verkennung der tatbestandlichen Voraussetzungen von Art. 104c Satz 1 GG a.F., insbesondere der Begriffe der Finanzschwäche und der gesamtstaatlich bedeutsamen Investitionen in die Bildungsinfrastruktur, beruht.
Weder das Teilkriterium der Anzahl der Arbeitslosen, das der Anzahl der Einwohner noch das der Höhe der Kassenkreditbestände der Länder und Kommunen zusammengenommen entbehrt eines sachlichen Grundes.
Auch die gleichmäßige Gewichtung dieser Kriterien bewegt sich innerhalb des von Art. 104c Satz 1 GG a.F. gesteckten Rahmens. Es kommt nicht darauf an, ob die Norm eine andere Gewichtung zuließe oder ob der Gesetzgeber den sachgerechtesten aller denkbaren Verteilungsschlüssel gewählt hat, weil das Bundesverfassungsgericht dies nicht zu prüfen hat.
§ 11 Abs. 1 KInvFG verstößt zudem nicht gegen Art. 104c Satz 1 GG in seiner aktuellen Fassung. Art. 104c GG lässt – anders als noch Art. 104c GG a.F. – auch Verteilungsschlüssel zu, die nicht auf Finanzschwäche abstellen. Eine Gewährung von Finanzhilfen, die sich an einer Finanzschwäche der relevanten Gebietskörperschaft orientiert, wird dadurch jedoch nicht ausgeschlossen.
Die nach Art. 104c GG a.F. und Art. 104c GG zulässigen Finanzhilfen gemäß § 11 Abs. 1 KInvFG verstoßen schließlich nicht gegen das Gebot der föderativen Gleichbehandlung. Auch hier gilt, dass dieses Gebot keine Differenzierungen untersagt, die sich auf Art. 104c GG a.F. und Art. 104c GG zurückführen lassen.