Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 28. Juli 2022 zum Aktenzeichen 2 BvR 1814/21 entschieden, dass die Versagung von Prozesskostenhilfe für Gefangenen wegen ungeklärter Offenbarungsbefugnis von Gesundheitsdaten verfassungswidrig ist.
Der inhaftierte Beschwerdeführer wendet sich gegen die Ablehnung seines Antrags auf Prozesskostenhilfe in einem Strafvollzugsverfahren.
Der Beschwerdeführer verbüßt eine lebenslange Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt Straubing (Bayern). Er bezieht Taschengeld und ernährt sich vegetarisch. In der Vergangenheit erhielt er für einen gewissen Zeitraum ohne Vorankündigung seitens der Justizvollzugsanstalt fleischhaltige Kost. Wegen Arbeitsverweigerung in Reaktion darauf erhielt er eine Disziplinarstrafe. Auf einen Brief des Beschwerdeführers unbekannten Inhalts vom 13. Februar 2020 hin teilte der Anstaltsarzt einer Vollzugsinspektorin am 28. Februar 2020 unter Bezugnahme auf eine E-Mail aus dem Jahr 2018 mit, es seien keine „Stoffwechselkrankheit oder Verdauungsbeschwerden“ des Beschwerdeführers bekannt, aus denen sich das Erfordernis einer strikt vegetarischen Ernährung ergebe. Er sei deshalb durch die „Koständerungsverspätung“ keinem gesundheitlichen Schaden ausgesetzt gewesen. Der Beschwerdeführer habe außer einem „rheumatischen Wirbelsäulenschaden (Bechterew-Krankheit) sonst keine relevanten gesundheitlichen Beeinträchtigungen bis auf seine immer wegen Lappalien beschwerende und alles hinterfragende Persönlichkeitsstörung, was er unter viel Freizeit ohne Arbeit in der Haft gut entfalten kann“.
Mit Schreiben vom 14. Dezember 2020 beantragte der Beschwerdeführer Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts. Der Anstaltsarzt habe durch das Schreiben an die Vollzugsinspektorin gegen die ärztliche Schweigepflicht und gegen sein informationelles Selbstbestimmungsrecht verstoßen, indem er ohne seine Kenntnis und Zustimmung und ohne Notwendigkeit Daten über seine Gesundheit an Dritte weitergegeben habe. Der Anstaltsarzt habe eine „psychologische Krankheit“ attestiert und „in den rechtsverbindlichen Umlauf gegeben“. Als Allgemeinmediziner fehle ihm insoweit die Kompetenz. Ferner habe er gegen seine Fürsorgepflicht verstoßen und seine Kompetenzen überschritten, indem er seine persönliche Meinung „in seiner Funktion als Anstaltsarzt mit seinem Schreiben in den Rechtsverkehr“ gegeben habe, worin grobe Amtspflichtverletzungen lägen. Dass er ohne Vorankündigung eine Woche lang fleischhaltige Kost erhalten habe, obwohl der Anstaltsarzt für die ärztliche Überwachung der Gefangenenkost zuständig sei, stelle einen Verstoß gegen Art. 23 und Art. 58 Abs. 1 des Gesetzes über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der Jugendstrafe (Bayerisches Strafvollzugsgesetz, im Folgenden: BayStVollzG) dar. Zudem habe der Arzt mitgeteilt, dass dem Beschwerdeführer durch den einwöchigen Erhalt von fleischhaltiger Kost kein Schaden entstanden sei. Infolge des Fehlens vegetarischer Kost habe er eine Disziplinarstrafe wegen Arbeitsverweigerung erhalten und Lohnausfall gehabt, weswegen weitere Schadensersatzansprüche bestünden. Angesichts des gewichtigen Grundrechtseingriffs, der Wiederholungsgefahr und des Rehabilitationsinteresses bestehe ein Feststellungsinteresse.
Auf eine Verfügung des Amtsgerichts vom 21. Dezember 2020 hin, mit der zur Feststellung des zuständigen Gerichts hinsichtlich verschiedener Aspekte um Klarstellung gebeten wurde, führte der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 23. Dezember 2020 aus, er habe einen Antrag auf Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts gestellt. Die vom Anstaltsarzt offenbarten Daten unterlägen der Geheimhaltung. Zwar komme dem Gericht, nicht aber den Vollzugsbediensteten eine Offenbarungsbefugnis zu. Er bat um Hinweis, wie er dem Gericht die angeforderten Informationen zukommen lassen könne, ohne dass die Gerichtspost von den Vollzugsbediensteten eingesehen werde. Ob der Anstaltsarzt persönlich in Anspruch genommen werde, sei durch das Land Bayern zu entscheiden.
Mit Verfügung des Landgerichts vom 12. April 2021 wurde der Beschwerdeführer aufgefordert mitzuteilen, ob er Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Schadensersatzklage nach § 839 des Bürgerlichen Gesetzbuches (im Folgenden: BGB) oder für einen beabsichtigten Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit begehre; letzterenfalls werde das Verfahren an die Strafvollstreckungskammer abgegeben. Das Verfahren sei vom Landgericht Regensburg zunächst übernommen worden, da eine sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts jedenfalls nicht bestehe. Bislang fehle es jenseits der vorgelagerten Frage, ob der Beschwerdeführer überhaupt Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Schadensersatzklage nach § 839 BGB beantrage, an einem schlüssigen Vortrag für einen Anspruch aus § 839 BGB.
Mit Schreiben vom 29. April 2021 teilte der Beschwerdeführer mit, er beantrage Prozesskostenhilfe für einen beabsichtigten Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit nach § 109 des Gesetzes über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung (Strafvollzugsgesetz; im Folgenden: StVollzG). Ein eventueller Antrag auf Schadensersatz werde gegebenenfalls nach der Feststellung noch eingereicht, sodass auch angesichts möglicher Schadensersatz-, Amtshaftungs- und Folgenbeseitigungsansprüche ein Feststellungsinteresse bestehe.
Mit Verfügung des Landgerichts vom 3. Mai 2021 wurde das Verfahren an die auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg beim Amtsgericht Straubing abgegeben.
Die Justizvollzugsanstalt bezog mit Schriftsatz vom 29. Juli 2021 Stellung. Der Antrag des Beschwerdeführers sei unzulässig. Tauglicher Streitgegenstand gemäß § 109 Abs. 1 Satz 1 StVollzG sei eine Maßnahme zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiet des Strafvollzugs. Innerdienstlichen Vermerken oder Anordnungen fehle in der Regel die Außenwirkung, wobei sich Anhaltspunkte für einen rein innerdienstlichen Charakter neben der ausdrücklichen Bezeichnung auch aus dem Adressatenkreis – etwa Bedienstete der Justizvollzugsanstalt – ergeben könnten. Unabhängig davon seien derartige Regelungen dann anfechtbar, wenn ihre Wirkungen für den Gefangenen unmittelbar einträten, ohne dass es einer zusätzlichen, eigens an diesen gerichteten Verfügung bedürfe. Regelmäßig nicht angreifbar seien schlichte Wissenserklärungen, soweit diese für den Strafvollzug des Betroffenen keine nachteiligen Folgen hätten. Bei dem Schreiben des Anstaltsarztes an eine Bedienstete der Justizvollzugsanstalt handele es sich um eine schlichte Wissenserklärung, die sich auf eine mögliche Gesundheitsschädigung beziehe und aus der sich keine unmittelbaren negativen Folgen für den Beschwerdeführer ergäben.
Ferner fehle es mangels Wiederholungsgefahr an einem Feststellungsinteresse, da es sich um einen spezifischen Sachverhalt handele, der sich nicht wiederholen werde. Mangels Maßnahme fehle es an einem schweren, tiefgreifenden Grundrechtseingriff. Der Antrag sei auch unbegründet, da der Wissensaustausch der Bediensteten der Justizvollzugsanstalt für die Aufgabenerfüllung im Strafvollzug unerlässlich sei. Zur Erwiderung auf einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung könne es notwendig sein, medizinische Stellungnahmen wie die streitgegenständliche einzuholen, wobei die Weiterverarbeitung personenbezogener Daten zur vollzuglichen Aufgabenerfüllung gemäß Art. 197 Abs. 1 Satz 1 BayStVollzG zulässig sei. Alle Bediensteten der Justizvollzugsanstalt unterlägen der Schweigepflicht auch hinsichtlich gesundheitlicher personenbezogener Daten, die nicht an außenstehende Personen weitergetragen werden dürften. Besondere Kategorien personenbezogener Daten wie Gesundheitsdaten könnten gemäß Art. 201 Abs. 1 Satz 2 BayStVollzG offenbart werden, soweit dies für die vollzugliche Aufgabenerfüllung erforderlich sei. Wenn der Anstaltsarzt von einer „egoistischen Persönlichkeitsstörung“ des Beschwerdeführers spreche, gebe er dabei psychologische Erkenntnisse aus dem Vollzugsplan wieder, in welchem dem Beschwerdeführer ausgeprägte und verfestigte soziale Defizite sowie Persönlichkeitsdefizite (u. a. egozentrisch-misstrauische Denkstrukturen) bescheinigt würden. Entsprechende Einträge würden vom psychologischen Fachdienst verfasst, sodass der Anstaltsarzt nicht eigens eine psychologische Krankheit diagnostiziert habe.
Mit Schreiben vom 1. September 2021 äußerte sich der Beschwerdeführer zu der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt vom 29. Juli 2021. Diese sei nicht in der Lage mitzuteilen, in welchem Zusammenhang die Auskunft durch den Anstaltsarzt erteilt worden sei. Der Anstaltsarzt habe die Auskunft in dem gerichtlichen Verfahren SR StVK 485/18 abgegeben. Seine personenbezogenen Daten dürften in der Anstalt nicht allgemein kenntlich gemacht werden und diese unterlägen auch seitens der Ärzte gegenüber der Anstalt der Schweigepflicht. Die Weitergabe der Daten habe keiner Offenbarungspflicht unterlegen, da sie nicht unerlässlich für die Aufgabenerfüllung der Anstalt gewesen sei. Der Anstaltsarzt habe die Angaben nicht aus dem Vollzugsplan entnommen, in den er keine Einsicht haben und der keine Außenwirkung besitzen dürfte. Die E-Mail des Anstaltsarztes besitze Außenwirkung, da dieser ein unrichtiges Gesundheitszeugnis ausgestellt und gegenüber der Justizvollzugsanstalt gebraucht habe, wozu er nicht qualifiziert gewesen sei. Die Justizvollzugsanstalt müsse nachweisen, für welche Aufgabenerfüllung welche Auskunft vom Anstaltsarzt verlangt worden sei und welche psychologischen Erkenntnisse aus dem Vollzugsplan in der E-Mail wiedergegeben worden seien. Es sei bereits ersichtlich, dass die Datenweitergabe nicht notwendig gewesen sei. Ein weiterer Feststellungsgrund liege darin, dass er die Geltendmachung von Amtspflicht- und Schadensersatzansprüchen beabsichtige. Eine Wiederholungsgefahr bestehe, da die Justizvollzugsanstalt die in der Datenweitergabe liegende Rechtsverletzung nach wie vor bestreite.
Mit angegriffenem Beschluss vom 3. September 2021, dem Beschwerdeführer zugestellt am 6. September 2021, lehnte das Landgericht den Antrag auf Prozesskostenhilfe als unbegründet ab. Der beabsichtigte Antrag auf gerichtliche Entscheidung habe keine Aussicht auf Erfolg, da kein tauglicher Antragsgegenstand gemäß § 109 StVollzG vorliege. Die Äußerungen des Anstaltsarztes stellten nach summarischer Prüfung Wissenserklärungen ohne unmittelbaren Regelungscharakter hinsichtlich des Beschwerdeführers dar. Es würden lediglich mögliche Gesundheitsschäden angesprochen. Die Vertretung durch einen Rechtsanwalt nach § 121 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (im Folgenden: ZPO) erscheine nicht erforderlich.
Das Landgericht hat die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung überspannt und dadurch den geschilderten Zweck der Prozesskostenhilfe verfehlt. Es hat die Zulässigkeit des vom Beschwerdeführer angestrebten Antrags nach § 109 Abs. 1 StVollzG mit der Begründung abgelehnt, es liege keine Maßnahme nach § 109 Abs. 1 StVollzG vor, weil die Äußerungen des Anstaltsarztes nach summarischer Prüfung Wissenserklärungen ohne unmittelbaren Regelungscharakter im Hinblick auf den Beschwerdeführer darstellten, mit denen lediglich mögliche Gesundheitsschäden angesprochen würden. Dabei hat das Landgericht außer Acht gelassen, dass die Vorschrift des § 109 Abs. 1 StVollzG im Lichte des Art. 19 Abs. 4 GG auszulegen und anzuwenden ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 13. April 1999 – 2 BvR 827/98 -, Rn. 24; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Dezember 2021 – 2 BvR 491/21 -, Rn. 5).
Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE 67, 43 <58>; stRspr). Dabei gewährleistet Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht nur das formelle Recht und die theoretische Möglichkeit, die Gerichte anzurufen, sondern verleiht dem Einzelnen, der behauptet, durch einen Akt öffentlicher Gewalt verletzt zu sein, einen substantiellen Anspruch auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. BVerfGE 101, 106 <122 f.>; 103, 142 <156>; 113, 273 <310>; 129, 1 <20>). Art. 19 Abs. 4 GG verpflichtet die Gerichte bei der Auslegung und Anwendung des Prozessrechts, das Ziel der Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes zu verfolgen (vgl. BVerfGE 77, 275 <284>) und den Zugang zu den eingeräumten Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. BVerfGE 44, 302 <305>; 69, 381 <385>; 77, 275 <284>; 134, 106 <117 Rn. 34>). Im Bereich des Strafvollzugsrechts wird Art. 19 Abs. 4 GG durch §§ 109 ff. StVollzG auf der Ebene des einfachen Rechts konkretisiert, die ihrerseits im Lichte des Art. 19 Abs. 4 GG auszulegen und anzuwenden sind (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 13. April 1999 – 2 BvR 827/98 -, Rn. 24; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Dezember 2021 – 2 BvR 491/21 -, Rn. 5). Für die Beantwortung der Frage, ob ein Handeln oder Unterlassen der Justizvollzugsanstalt eine regelnde Maßnahme im Sinne des § 109 StVollzG darstellt, kommt es deshalb darauf an, ob die Möglichkeit besteht, dass dieses Handeln oder Unterlassen Rechte des Gefangenen verletzt (BVerfGK 8, 319 <323>). Das ist hier der Fall.
Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gewährleistet die Befugnis des Einzelnen, über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten grundsätzlich selbst zu bestimmen (vgl. BVerfGE 65, 1 <43>; 78, 77 <84>; 120, 274 <312>; 130, 151 <183>; stRspr). Im Rahmen dessen ist der Inhalt der Krankenunterlagen wegen seines sehr privaten Charakters in besonderem Maße grundrechtsrelevant (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Dezember 2016 – 2 BvR 1541/15 -, Rn. 20). Insofern kann ein ungerechtfertigtes Offenbaren von Gesundheitsdaten das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verletzen und ist deshalb als eine in die Grundrechte des Beschwerdeführers eingreifende Maßnahme anzusehen, die tauglicher Gegenstand eines Verfahrens nach § 109 StVollzG sein kann. Dem Beschwerdeführer musste daher die Möglichkeit eingeräumt werden, die Mitteilung seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch den Anstaltsarzt einer gerichtlichen Überprüfung unterziehen zu lassen. Ob und inwieweit hier die im datenschutzrechtlichen Abschnitt des Bayerischen Strafvollzugsgesetzes normierten Offenbarungsbefugnisse beziehungsweise Offenbarungspflichten der grundsätzlich der ärztlichen Schweigepflicht unterliegenden Berufsgeheimnisträger einschlägig waren, etwa weil die Angabe des Arztes zur Erfüllung von vollzuglichen Aufgaben wie der Beurteilung der gegen den Beschwerdeführer aufgrund der Arbeitsverweigerung verhängten Disziplinarmaßnahme unerlässlich war, wäre im Verfahren über die Hauptsache zu klären gewesen. Indem das Landgericht dem Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe nicht stattgegeben hat, hat es dem Beschwerdeführer unter Verletzung von Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG die Möglichkeit genommen, seinen Rechtsstandpunkt im Hauptsacheverfahren darzustellen und von dort aus gegebenenfalls in die höhere Instanz zu bringen.