Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 19. Januar 2022 zum Aktenzeichen 1 BvR 1089/18 entschieden, dass die Versagung eines Härtefallantrags über die Versagung der Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht einer Studentin verfassungswidrig ist.
Die Klägerin des Ausgangsverfahrens und Beschwerdeführerin im vorliegenden Verfassungsbeschwerdeverfahren (im Folgenden: Beschwerdeführerin) war bis zum streitgegenständlichen Zeitraum aus verschiedenen Gründen von der Rundfunkbeitragspflicht befreit; zunächst als Empfängerin von Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) und anschließend als Empfängerin von Arbeitslosengeld II nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).
Nach Wiederaufnahme ihres Studiums zum Sommersemester 2013 und bis einschließlich März 2015 finanzierte die alleinerziehende Beschwerdeführerin ihren Lebensunterhalt und den ihres minderjährigen Sohnes aus einem Studienkredit der Darlehenskasse der Studentenwerke im Land Nordrhein-Westfalen e.V. und durch Wohngeld. Für ihren minderjährigen Sohn erhielt sie Unterhaltsleistungen. Während dieser Zeit blieb die Beschwerdeführerin trotz Bemühens um eine Befreiung von der Rundfunkbeitragsplicht zur Beitragszahlung verpflichtet, obschon ihr Einkommen abzüglich Wohn- und Krankenversicherungskosten nach eigenen Angaben und ausweislich eines vorgelegten Wohngeldbescheids unterhalb der Höhe der sozialrechtlichen Regelsätze lag. Nach dem Auslaufen des Studienkredits wurden der Beschwerdeführerin antragsgemäß Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als Darlehen gemäß § 7 Abs. 5 in Verbindung mit § 27 Abs. 4 Satz 1 SGB II in der bis zum 31. Juli 2016 gültigen Fassung (heute: § 27 Abs. 3 Sätze 1 und 2 SGB II) wegen des Vorliegens eines besonderen Härtefalls bewilligt. Seitdem war sie antragsgemäß wieder von der Rundfunkbeitragspflicht befreit.
Streitgegenständlich ist mithin die Rundfunkbeitragspflicht der Beschwerdeführerin für die Dauer von circa zwei Jahren, in denen sie ihren Lebensunterhalt aus dem Studienkredit bestritt, wobei der genaue Beginn der begehrten Befreiung im fachgerichtlichen Verfahren offengeblieben ist.
Die von der Beschwerdeführerin unter Verweis auf ihr Einkommen beantragte Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht als Härtefall lehnte der Westdeutsche Rundfunk (WDR) sowohl im Verwaltungs- als auch im Widerspruchsverfahren ab. Nach den von der Beschwerdeführerin vorgelegten Unterlagen bestehe ihr Einkommen aus einem Studentendarlehen und Wohngeld. Eine Befreiung nach § 4 Abs. 1 Rundfunkbeitragsstaatsvertrag (RBStV) sei mangels Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen nicht möglich. Eine Befreiung der Beschwerdeführerin als Härtefall nach § 4 Abs. 6 RBStV scheide ebenfalls aus, weil kein atypischer Sachverhalt vorliege, den der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Befreiungstatbestände versehentlich übergangen habe.
Der WDR, das Verwaltungsgericht und das Oberverwaltungsgerichts haben ihre Entscheidungen auf ein Verständnis von der rundfunkbeitragsrechtlichen Härtefallklausel gestützt, das der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 3 Abs. 1 GG und dem Schutz des Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG) widerspricht; dadurch wurde die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt.
Die Beschwerdeführerin wird durch die angegriffenen Entscheidungen gegenüber anderen finanziell bedürftigen Personen benachteiligt, denen die Zahlung des Rundfunkbeitrags aus ihren sozialrechtlichen Regelleistungen nicht zugemutet wird, weil diese das Existenzminimum schützen. Sowohl der WDR als auch das Verwaltungsgericht und das Oberverwaltungsgericht haben eine Härtefall-befreiung der Beschwerdeführerin von vornherein abgelehnt, ohne die Höhe ihres Einkommens anhand der vorgelegten Nachweise zu überprüfen. Nach dem Vortrag der Beschwerdeführerin und den von ihr im fachgerichtlichen Verfahren vorgelegten Nachweisen – etwa dem Wohngeldbescheid – war aber davon auszugehen beziehungsweise jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass ihr Einkommen in dem streitgegenständlichen Zeitraum unterhalb der sozialrechtlichen Regelsätze lag.
Durch die versagte Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht wurde die Beschwerdeführerin, die von einer bescheidgebundenen Befreiung gemäß § 4 Abs. 1 RBStV mangels Vorliegen der Voraussetzungen ausgeschlossen war, gegenüber solchen Personen benachteiligt, die gemäß § 4 Abs. 1 RBStV auf Antrag von der Beitragspflicht zu befreien sind, weil sie einen Anspruch auf Sozialleistungen haben und ihren das Existenzminimum schützenden Regelsatz zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II beziehungsweise der Sozialhilfe nach dem SGB XII nicht zur Begleichung des Rundfunkbeitrags aufwenden müssen. Beide Personengruppen sind in Bezug auf ihre finanzielle Bedürftigkeit miteinander vergleichbar, weil das der Beschwerdeführerin zur Verfügung stehende Einkommen seiner Höhe nach mit den sozialrechtlichen Regelsätzen vergleichbar ist beziehungsweise es sogar noch unterschreitet.
Diese Schlechterstellung der Beschwerdeführerin gegenüber den nach § 4 Abs. 1 RBStV auf Antrag von der Beitragspflicht befreiten Personengruppen beruht am Maßstab von Art. 3 Abs. 1 GG auf keinem sachlichen Grund. Sie findet ihre sachliche Rechtfertigung insbesondere nicht in der Möglichkeit, aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität zu generalisieren, zu typisieren und zu pauschalieren. Hierzu wäre unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erforderlich, dass die mit der Typisierung verbundenen Härten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären, sie lediglich eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen beträfen und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv wäre.
Diese kumulativ zu erfüllenden Voraussetzungen liegen nicht vor. Für die Beschwerdeführerin liegt schon ein intensiver Verstoß gegen den Gleichheitssatz vor, für dessen Beurteilung insbesondere die Beitragsbelastung maßgeblich ist. Zwar ist der Betrag eines Rundfunkbeitrags absolut nicht sehr hoch. Er stellt aber für die Beschwerdeführerin, die ihren Lebensunterhalt aus einem Einkommen unterhalb der zur Deckung des Existenzminimums konzipierten sozialrechtlichen Regelleistungen bestreitet, eine intensive Belastung dar.
Die Beschwerdeführerin musste für eine Härtefallbefreiung insbesondere auch nicht, wie nach der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen damals verlangt, vorrangig Leistungen nach § 7 Abs. 5 in Verbindung mit § 27 Abs. 4 Satz 1 SGB II in der bis zum 31. Juli 2016 gültigen Fassung beantragen und in Anspruch nehmen. Diese vom Katalog des § 4 Abs. 1 RBStV nicht erfassten Vorschriften sehen vor, dass in besonderen Härtefällen Leistungen zur Sicherstellung des Lebensunterhalts, gegebenenfalls als Darlehen, geleistet werden können.
Denn die maßgebliche (Verfassungsgerichts-)Rechtsprechung zu Art. 3 Abs. 1 GG und der Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht als Härtefall gilt unabhängig davon, ob ein Betroffener dem Grunde nach einer der in § 4 Abs. 1 RBStV katalogisierten Bedürftigkeitsgruppen unterfällt, aber deren Tatbestandsvoraussetzungen nicht erfüllt, oder aber einer Personengruppe angehört, deren Bedürftigkeit der Rundfunkgesetzgeber in § 4 Abs. 1 RBStV von vornherein nicht erfasst hat. Maßgeblich ist allein, dass ein Betroffener nur über ein den sozialrechtlichen Regelsätzen entsprechendes oder sie unterschreitendes Einkommen verfügt und nicht auf Vermögen zurückgreifen kann. Ob das der Fall ist, ist im Rahmen der eröffneten Härtefallprüfung von der Rundfunkanstalt festzustellen.
Das in § 4 Abs. 7 RBStV verankerte System der so genannten bescheidgebundenen Befreiungsmöglichkeit dient zwar der Verwaltungsvereinfachung, weil es den Rundfunkanstalten grundsätzlich eine Bedürftigkeitsprüfung erspart. Wegen der verfassungsrechtlichen Grenzen der Typisierung kann es allerdings nicht so weit reichen, dass die Rundfunkanstalten auch im Anwendungsbereich der Härtefallklausel des § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV von einer Bedürftigkeitsprüfung generell absehen könnten. Bei nachweislich einkommensschwachen Beitrags-schuldnern sind sie vielmehr gehalten, im Rahmen ihrer Prüfung eines besonderen Härtefalls eine Bedürftigkeitsprüfung vorzunehmen.