Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 30. September 2022 zum Aktenzeichen 2 BvR 2222/21 eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, die sich gegen ein Strafurteil des Oberlandesgerichts München vom 11. Juli 2018 und zwei Beschlüsse des Bundesgerichtshofs vom 12. August 2021 und vom 22. September 2021 richtete. Die Beschwerdeführerin hat weder dargetan noch ist es aus sich heraus ersichtlich, dass sie in ihren Rechten auf die Gewährung rechtlichen Gehörs, aus dem allgemeinen Gleichheitssatz in seiner Ausprägung als Willkürverbot oder auf die Entscheidung durch den gesetzlichen Richter verletzt ist.
Aus der Pressemitteilung des BVerfG Nr. 82/2022 vom 24. Oktober 2022 ergibt sich:
Sachverhalt:
Das Oberlandesgericht verurteilte die Beschwerdeführerin unter anderem wegen mittäterschaftlicher und mitgliedschaftlicher Beteiligung an mehreren Mordtaten einer rechtsterroristischen Vereinigung zu einer lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe und stellte die besondere Schwere der Schuld fest. Die Beschwerdeführerin ging gegen das Urteil mit der Revision vor, wobei ihre Verteidiger insbesondere die Einordnung ihres Handelns als Mittäterschaft angriffen. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs verwarf die Revision durch Beschluss nach § 349 Abs. 2 StPO. Mit weiterem Beschluss wies er eine gegen diesen Verwerfungsbeschluss gerichtete Anhörungsrüge der Beschwerdeführerin zurück.
Die Beschwerdeführerin rügt die Verletzung ihres Rechts auf die Gewährung rechtlichen Gehörs, eine willkürliche Anwendung des § 349 Abs. 2 StPO und eine Verletzung ihres Rechts auf die Entscheidung durch den gesetzlichen Richter. Sie macht insbesondere geltend, es verletze sie in ihren durch die Verfassung garantierten Rechten, dass der Bundesgerichtshof über ihre Revision durch Beschluss und nicht nach einer mündlichen Verhandlung durch Urteil entschieden habe.
Wesentliche Erwägungen der Kammer:
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht erfüllt sind.
Eine Verletzung ihres Prozessgrundrechts auf die Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG zeigt die Beschwerdeführerin nicht auf.
Art. 103 Abs. 1 GG garantiert den Beteiligten an einem gerichtlichen Verfahren, dass sie Gelegenheit erhalten, sich vor Erlass einer gerichtlichen Entscheidung zu dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt zu äußern. Aus Art. 103 Abs. 1 GG folgt jedoch nicht unmittelbar ein Anspruch auf eine mündliche Verhandlung. Es ist Sache des Gesetzgebers, zu entscheiden, in welcher Weise rechtliches Gehör gewährt werden soll. Daher begegnet die Möglichkeit, im strafrechtlichen Revisionsverfahren eine Revision nach § 349 Abs. 2 StPO durch Beschluss – also ohne vorherige Durchführung einer mündlichen Verhandlung – zu verwerfen, keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Im Verfahren der strafrechtlichen Revision hat der Gesetzgeber vorgesehen, dass der Revisionsführer in seiner Revisionsbegründung und in der Gegenerklärung zum Antrag des Generalbundesanwalts Gelegenheit bekommt, sich umfassend zu äußern, wodurch seinem Anspruch auf die Gewährung rechtlichen Gehörs ausreichend Rechnung getragen wird.
Diese Maßstäbe stehen im Einklang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention, die als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite der Grundrechte heranzuziehen ist. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verlangt Art. 6 Abs. 1 EMRK zwar grundsätzlich die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. In Rechtsmittelverfahren gilt dieser Grundsatz aber nicht uneingeschränkt. Hat in der ersten Instanz eine öffentliche Verhandlung stattgefunden, kann es aufgrund der Besonderheit des betreffenden Verfahrens gerechtfertigt sein, dass in der zweiten oder dritten Instanz von einer mündlichen Verhandlung abgesehen wird. Betrifft das Rechtsmittelverfahren nur Rechtsfragen, kann – je nach Ausgestaltung des Verfahrensrechts – von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.
Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist eine Gehörsverletzung weder dargetan noch aus sich heraus ersichtlich.
Die Beschwerdeführerin legt einen Gehörsverstoß nicht hinreichend substantiiert dar. Unabhängig davon, dass die Beschwerdeführerin allenfalls fragmentarisch mitteilt, was sie in einer anberaumten Revisionshauptverhandlung weiter vorgetragen hätte und welche Folgen sich daraus für die angegriffenen Entscheidungen ergeben hätten, geht sie nicht darauf ein, dass sie im Revisionsverfahren umfassend schriftlich dazu vorgetragen hat, weshalb aus ihrer Sicht eine Mittäterschaft nicht gegeben sei. Eine Auseinandersetzung mit diesem Umstand wäre aber notwendig gewesen, weil der 3. Strafsenat in seiner Entscheidung über die Anhörungsrüge bekräftigt hat, er habe das umfangreiche Revisionsvorbringen der Beschwerdeführerin zur Frage der Mittäterschaft bei seinen Beratungen gewürdigt, das Vorbringen aber nicht für überzeugend erachtet. Der Substantiierungspflicht genügt ein Beschwerdeführer bei der Rüge eines Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 GG nur, wenn der Begründung der Verfassungsbeschwerde entnommen werden kann, was er bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen hätte. Rügt er einen Gehörsverstoß durch das Absehen von einer mündlichen Verhandlung in der Revisionsinstanz, muss er darlegen, dass er sein Gehörsrecht nur bei Durchführung einer Hauptverhandlung habe ausüben und er sein Revisionsvorbringen nicht ausreichend schriftlich habe deutlich machen können.Die Beschwerdeführerin zeigt in der Sache einen Gehörsverstoß ebenfalls nicht auf. Ihre Argumentation steht unter der Prämisse, dass der Bundesgerichtshof – für sie überraschend – von seiner ständigen Rechtsprechung zur Mittäterschaft abgewichen sei. Diese Prämisse trifft indes nicht zu, denn der Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 12. August 2021 entspricht der bisherigen Rechtsprechung zur Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme.
Der 3. Strafsenat hat klargestellt, dass er an seiner bisherigen Rechtsprechung festhalte, wonach bei vereinigungsbezogenen Taten Mittäterschaft an diesen Taten nicht schon mit der bloßen Mitgliedschaft in der Vereinigung begründet werden könne. Außerdem hat er die Annahme, die Beschwerdeführerin sei Mittäterin gewesen – unter Verweis auf seine ständige Senatsrechtsprechung – auf nach seiner Ansicht vom Oberlandesgericht revisionsrechtlich rechtsfehlerfrei getroffene Feststellungen zu den objektiven Tatbeiträgen der Beschwerdeführerin und zu ihrem Tatinteresse gestützt. Auf der objektiven Ebene des § 25 Abs. 2 StGB darauf abzustellen, dass die Beschwerdeführerin maßgeblichen Einfluss auf die Planung der Taten sowie auf den gemeinsamen Tatentschluss und den weiteren Willen ihrer beiden Komplizen zur Tatbegehung genommen habe, erscheint jedenfalls plausibel; davon auszugehen, dass der Zusicherung der Aufrechterhaltung der Legendierung eine bestimmende Bedeutung für die Herbeiführung der Taterfolge zugekommen sei, ist daher verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Soweit der Bundesgerichtshof betont hat, es sei vor diesem Hintergrund unerheblich, dass die Beschwerdeführerin einen tatherrschaftsbegründenden Beitrag im Ausführungsstadium der Taten nicht geleistet habe, weil sie durch die sinnstiftende und handlungsleitende Zusicherung, die bürgerliche Fassade der Gruppe aufrechtzuerhalten und zu gegebener Zeit das Bekennervideo zu versenden, die serienmäßige Tatbegehung durch die anderen Mitglieder der Terrorgruppe erst ermöglicht habe, begegnet diese Argumentation keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Dass auch eine andere einfachrechtliche Bewertung dieser Tatbeiträge möglich gewesen wäre, begründet keinen Gehörsverstoß, denn die Kritik an der angegriffenen Entscheidung zeigt nicht auf, dass die Beschwerdeführerin unter Berücksichtigung der Breite vertretbarer Rechtsauffassungen nicht mit der Qualifikation ihrer Tatbeiträge als mittäterschaftliches Handeln zu rechnen brauchte.
Eine Verletzung des Willkürverbotes aus Art. 3 Abs. 1 GG durch die Anwendung des § 349 Abs. 2 StPO ist ebenfalls nicht dargetan.
Ein Gericht verwirft die Revision nach § 349 Abs. 2 StPO, wenn das Rechtsmittel ohne Anführung neuer Gesichtspunkte Rechtsfragen aufwirft, die bereits durch die höchstrichterliche Rechtsprechung hinreichend geklärt sind und eine Revisionshauptverhandlung zur Wahrung rechtsstaatlicher Garantien nicht geboten ist. In diese ständige Rechtsanwendungspraxis fügt sich der angegriffene Verwerfungsbeschluss ein. Der 3. Strafsenat hat seiner Entscheidung die vom Oberlandesgericht aus seiner Sicht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zugrunde gelegt und seine ständige Senatsrechtsprechung zur Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme auf diese Feststellungen angewandt. In verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise hat er ausgeführt, weshalb er die Beschwerdeführerin nach dieser Rechtsprechung als Mittäterin einordnet. Er hat dabei die Argumentation der Beschwerdeführerin nicht aus dem Blick verloren und – verfassungsrechtlich tragfähig – sowohl im Verwerfungsbeschluss als auch im Beschluss über die Anhörungsrüge klargestellt, dass die von der Beschwerdeführerin angeführten Entscheidungen seinem Ergebnis nicht entgegenstünden. Es ist damit nicht ersichtlich, dass die Annahme des 3. Strafsenats, die Revision der Beschwerdeführerin sei „offensichtlich unbegründet“ im Sinne der Rechtsprechung zu § 349 Abs. 2 StPO, bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht.
Der Vortrag der Beschwerdeführerin ist jedenfalls nicht geeignet, eine willkürliche Anwendung des § 349 Abs. 2 StPO aufzuzeigen. Er erschöpft sich im Ergebnis in einer eigenen Auslegung des § 349 Abs. 2 StPO, wonach das Kriterium der offensichtlichen Unbegründetheit nur dann eigenständige Bedeutung erlangen könne, wenn es nicht nur auf die Einstimmigkeit der Senatsmitglieder ankomme. Die Beschwerdeführerin legt allerdings nicht dar, dass das Verständnis von einer offensichtlichen Unbegründetheit der Revision, wie es der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zugrunde liegt, nicht mehr nachzuvollziehen wäre und es von Verfassungs wegen – etwa zur Wahrung des Fairnessgebots – zwingend geboten wäre, ihrer Rechtsauffassung zu folgen.
Der Beschwerdeführerin wurde der gesetzliche Richter nicht im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG entzogen.
Soweit die Beschwerdeführerin die unterlassene Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union rügt, zeigt sie nicht auf, dass der Bundesgerichtshof eine solche Vorlage in einer Weise unterlassen hat, die nach den Maßstäben des Bundesverfassungsgerichtes einen Verfassungsverstoß begründet. Es begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn der Bundesgerichtshof in dem angegriffenen Beschluss über die Anhörungsrüge nachvollziehbar darauf abstellt, es erschließe sich nicht, wie die von der Beschwerdeführerin begehrte Auslegung des unionsrechtlichen Begriffs der „kriminellen Vereinigung“ durch den Gerichtshof der Europäischen Union zur Bewertung der Stärke des Tatinteresses hätte beitragen können.
Der Rüge, der Bundesgerichtshof habe die Aufgabenverteilung zwischen Revisions- und Instanzgericht missachtet, bleibt ebenfalls der Erfolg versagt. Zwar kann Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG auch verletzt sein, wenn ein an die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz gebundenes Revisionsgericht eine nach dem Stand des Verfahrens gebotene Zurückverweisung unterlässt. Dem angegriffenen Beschluss vom 12. August 2021 lässt sich jedoch nicht entnehmen, dass der Bundesgerichtshof eigene Feststellungen in der Sache getroffen hat.
Die Verfassungsbeschwerde wird auch im Übrigen nicht zur Entscheidung angenommen.
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich formal auch gegen das Strafurteil des Oberlandesgerichts. Inhaltlich setzt sich die Beschwerdeführerin jedoch nur mit den Entscheidungen des Bundesgerichtshofs auseinander. Eine Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten legt sie nicht in nachvollziehbarer Weise dar.
Soweit die Beschwerdeführerin ihre Verfassungsbeschwerde auf den die Anhörungsrüge betreffenden Zurückweisungsbeschluss erweitert hat, ist sie ebenfalls nicht zur Entscheidung anzunehmen. Da der angegriffene Verwerfungsbeschluss die Beschwerdeführerin nicht in ihrem Recht auf die Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, begegnet der angegriffene Zurückweisungsbeschluss gleichfalls keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.