Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 17. April 2020 zum Aktenzeichen 1 BvR 2326/19 entschieden, dass ein zivilgerichtliches Verfahren, in dem sich der Beschwerdeführer gegen Forderungen eines Energieversorgungsunternehmens wendet, verfassungswidrig ist.
Der Beschwerdeführer und Beklagte des Ausgangsverfahrens bezog ursprünglich Strom von der Klägerin des Ausgangsverfahrens, einem Energieversorgungsunternehmen. Nachdem ein anderes Energieversorgungsunternehmen dem Beschwerdeführer im Dezember 2016 einen Stromlieferungsauftrag bestätigt hatte, kündigte der Beschwerdeführer in Ausübung eines Sonderkündigungsrechts mit Wirkung zum 31. Dezember 2016 den Vertrag mit der Klägerin. Diese bearbeitete die Kündigung nach eigenem Bekunden nicht fristgerecht und belieferte den Beschwerdeführer weiter. Trotz Nachfrage des Beschwerdeführers bei der Klägerin mit der Bitte um Bestätigung der Kündigung und seines Widerspruchs gegen die von der Klägerin ab März 2017 übersandten Rechnungen und Mahnungen teilte diese ihm die verspätete Bearbeitung seiner Kündigung erst im Oktober 2017 mit. Da weder eine rückwirkende Korrektur noch eine Rückgabe des verbrauchten Stroms möglich sei, werde sie auf Grundlage des in §§ 812 ff. BGB geregelten Wertersatzes abrechnen. Der Beschwerdeführer lehnte jedwede Zahlung ab.
Gegen den auf Antrag der Klägerin erlassenen Mahnbescheid erhob der Beschwerdeführer Widerspruch. Er verwahrte sich gegen alle geltend gemachten Ansprüche. 2017 habe kein Vertrag zwischen der Klägerin und ihm bestanden. Die Klägerin sei auch nicht Grundversorgerin.
Das Amtsgericht gab der Klage bezüglich des geltend gemachten Entgelts für die Stromlieferung vollumfänglich statt. Der Klägerin stehe „als Grundversorger“ gegen den Beschwerdeführer ein vertraglicher Anspruch zu. Könne der Strombezugsvertrag mit einem Grundversorger auch über eine sogenannte Realofferte des Energieversorgungsunternehmens zustande kommen, so sei durch Auslegung zu ermitteln, an wen sich diese richte (unter Verweis auf BGH, Urteil vom 2. Juli 2014 – VIII ZR 316/13 -, BGHZ 202, 17 <22 f. Rn. 11 ff.>; Urteil vom 22. Juli 2014 – VIII ZR 313/13 -, BGHZ 202, 158 <162 f. Rn. 13>). Das sei hier der Beschwerdeführer als Inhaber der tatsächlichen Verfügungsgewalt über die streitgegenständliche Verbrauchsstelle. Indem er Strom verbraucht habe, habe er die Realofferte konkludent angenommen. Danach sei der Beschwerdeführer erneut Vertragspartner der Klägerin geworden. Unstreitig sei ein Lieferantenwechsel erst zum 1. Januar 2018 erfolgt.
In seiner Anhörungsrüge beanstandete der Beschwerdeführer, dass das Gericht angenommen habe, die Klägerin sei Grundversorgerin, obwohl dies keine der Parteien so vorgetragen habe, er in seiner Klageerwiderung vielmehr ausdrücklich vorgetragen habe, dass die Klägerin in seinem Wohnort nicht Grundversorgerin sei. Nur mit dem Grundversorger könne ein Strombezugsvertrag über eine Realofferte zustande kommen. Für Sonderverträge mit Drittanbietern ohne eigenes Stromnetz, wie der Klägerin, bedürfe es eines ausdrücklichen Vertragsschlusses. Den Vertrag mit der Klägerin habe er jedoch gekündigt.
Das Amtsgericht wies die Anhörungsrüge zurück. Dass es gegenteilige Positionen zu den Ansichten des Beschwerdeführers vertreten habe, sei keine Gehörsverletzung. Es sei gerade nicht entscheidungserheblich gewesen, ob die Klägerin oder ein sonstiges Unternehmen Grundversorger sei. Denn der Beschwerdeführer sei unstreitig Empfänger der Realofferte und Inhaber der tatsächlichen Verfügungsgewalt über die streitgegenständliche Verbrauchsstelle gewesen.
Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen das Urteil des Amtsgerichts und gegen die Zurückweisung der Anhörungs-rüge. Er rügt unter anderem eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG durch Übergehung wesentlicher Teile seines Vortrags. Das Gericht habe unter anderem seinen Vortrag ignoriert, dass die Klägerin nicht Grundversorgerin sei.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Das angegriffene Urteil verletzt den Beschwerdeführer in seinem verfassungsmäßigen Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG. Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen bereits geklärt (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
Das Urteil des Amtsgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG.
Art. 103 Abs.1 GG gibt den Verfahrensbeteiligten das Recht, sich zu dem für die jeweilige gerichtliche Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt sowie zur Rechtslage zu äußern, und verpflichtet das Gericht, den Vortrag der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerfGE 86, 133 <144>; 98, 218 <263>; stRspr). Zwar hat das Gericht bei der Abfassung seiner Entscheidungsgründe eine gewisse Freiheit und kann sich auf die für den Entscheidungsausgang wesentlichen Aspekte beschränken, ohne dass darin ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG liegt. Geht das Gericht jedoch auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (vgl. BVerfGE 47, 182 <188>; 86, 133 <146>).
Nach diesen Maßstäben verstößt das Urteil des Amtsgerichts gegen Art. 103 Abs. 1 GG. In seinem Urteil hat das Gericht insbesondere den Vortrag des Beschwerdeführers, die Klägerin sei nicht Grundversorgerin, weder zur Kenntnis genommen noch in Erwägung gezogen. Das Gericht geht in seinem Urteil davon aus, der Klägerin stehe „als Grundversorger in Schleswig-Holstein“ gegen den Beschwerdeführer ein Zahlungsanspruch zu. Ein Strombezugsvertrag „mit einem Grundversorger“ könne auch über eine Realofferte zustande kommen, die von demjenigen angenommen werde, der die tatsächliche Verfügungsgewalt über den Versorgungsanschluss innehabe. Hier sei der Energielieferungsvertrag auf diese Weise geschlossen worden. Dabei ist das Gericht nicht auf das Vorbringen des Beschwerdeführers in seiner Klageerwiderung eingegangen, die Klägerin sei in seinem Wohnort nicht Grundversorgerin.
Das angegriffene Urteil beruht auf dem Verfassungsverstoß.
Eine Heilung des Gehörsverstoßes im Anhörungsrügeverfahren ist nicht erfolgt. Eine Heilung von Gehörsverstößen ist im Rahmen des Anhörungsrügeverfahrens möglich, wenn das Gericht einem Gehörsverstoß durch bloße Rechtsausführungen im Anhörungsrügebeschluss zum Vorbringen des Betroffenen in der Anhörungsrüge abhelfen kann. Hier wäre es reine Förmelei, von Verfassungs wegen die Fortführung des Verfahrens zu verlangen, obwohl sich das Gericht schon unter Berücksichtigung des übergangenen Vortrags eine abschließende Meinung gebildet hat und klar ist, dass eine für den Beteiligten günstigere Lösung ausgeschlossen ist, also die Entscheidung nicht auf der Gehörsverletzung beruht (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. Februar 2009 – 1 BvR 188/09 -, Rn. 15).
Das Amtsgericht hat zwar in seinem Beschluss über die Anhörungsrüge den Vortrag des Beschwerdeführers, dass die Klägerin nicht Grundversorgerin sei, formal zur Kenntnis genommen. Insoweit beschränken sich die gerichtlichen Ausführungen aber darauf, es sei nach Auffassung des Gerichts gerade nicht entscheidungserheblich, ob die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum Grundversorgerin gewesen sei. Denn der Beschwerdeführer sei unstreitig Empfänger der Realofferte der Klägerin gewesen.
Dies reicht zur Gewährung rechtlichen Gehörs nicht aus. Der Beschluss über die Anhörungsrüge geht von einer anderen rechtlichen Prämisse aus als das angegriffene Urteil, ohne dass das Gericht es unternähme, diesen Widerspruch aufzulösen. Im Urteil wird zu Beginn der Darlegung der rechtlichen Maßstäbe mit der Formulierung „[k]ann der Strombezugsvertrag mit einem Grundversorger auch über eine sogenannte Realofferte des Energieversorgungsunternehmens zustande kommen“ der Grundversorgereigenschaft zur Begründung der Hauptforderung Bedeutung beigemessen. Entsprechend formulierte das Amtsgericht einleitend, der Klägerin stehe „als Grundversorger in Schleswig-Holstein“ gegen den Beschwerdeführer ein Zahlungsanspruch zu. In der Anhörungsrüge hatte der Beschwerdeführer erneut dargelegt, dass die Klägerin nicht Grundversorgerin sei. Darüber hinaus hatte er – mit dem rechtlichen Ansatz des amtsgerichtlichen Urteils übereinstimmend – unter Verweis auf eine durch das Amtsgericht nach eigenem Bekunden angewendete Entscheidung des Bundesgerichtshofs ausgeführt, weshalb die herangezogenen Grundsätze über den Vertragsschluss aufgrund sogenannter Realofferte für andere als Grundversorger nicht ohne Weiteres Geltung beanspruchen könnten. Beschränkt sich das Amtsgericht im Beschluss auf die Anhörungsrüge nun auf die Feststellung, nach der Auffassung des Gerichts sei es „gerade nicht entscheidungserheblich, ob die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum Grundversorgerin“ war, lässt das nicht erkennen, dass sich das Gericht mit der rechtlichen Bedeutung des Sachvortrags des Beschwerdeführers auseinandergesetzt hätte. Es ist weder erkennbar, dass sich das Gericht des Widerspruchs zu seinem eigenen Urteil bewusst ist, noch erläutert das Gericht nachvollziehbar, weshalb es für sein Urteil trotz des dort vermittelten gegenteiligen Eindrucks und der in andere Richtung weisenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die das Amtsgericht zudem ausdrücklich anwenden wollte, nicht auf die Grundversorgereigenschaft ankommen sollte. Dass die Grundversorgereigenschaft „gerade nicht entscheidungserheblich“ gewesen sei, bleibt so eine schlichte Behauptung.
Es ist nicht auszuschließen, dass das Amtsgericht auf Grundlage der von ihm im Urteil vertretenen Rechtsauffassung zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis gelangt wäre, wenn es den Vortrag des Beschwerdeführers zur fehlenden Grundversorgereigenschaft der Klägerin in Erwägung gezogen hätte.