Der Europäische Gerichtshof hat am 10.06.2021 zu den Aktenzeichen C-609/19, C-776/19 und C-782/19 entschieden, dass einem Verbraucher, der ein Darlehen in Fremdwährung aufgenommen hat und dem die Missbräuchlichkeit einer Klausel des Darlehensvertrags nicht bewusst ist, für die Rückerstattung der aufgrund dieser Klausel gezahlten Beträge keine Verjährungsfrist entgegengehalten werden kann.
Aus der Pressemitteilung des EuGH Nr. 100/2021 vom 10.06.2021 ergibt sich:
Die Information, die der Darlehensgeber dem Darlehensnehmer hinsichtlich des Bestehens eines Wechselkursrisikos übermittelt, genügt nicht dem Transparenzerfordernis, wenn sie auf der Annahme beruht, dass der Wechselkurs zwischen der Kontowährung und der Zahlungswährung über die gesamte Laufzeit des Vertrags stabil bleiben werde
In den Jahren 2008 und 2009 nahmen Verbraucher zur Finanzierung des Kaufs von Immobilien oder von Anteilen an Immobiliengesellschaften bei der Bank BNP Paribas Personal Finance Hypothekendarlehen auf, die auf Schweizer Franken (CHF) lauteten und in Euro rückzahlbar waren. Aufgrund der Eigenschaften dieser Darlehen beinhaltete der Abschluss der Darlehensverträge ein Wechselkursrisiko im Zusammenhang mit den Schwankungen des Eurokurses gegenüber dem Kurs des CHF. Auch wenn die Darlehensverträge das Bestehen dieses Risikos nicht ausdrücklich erwähnten, war ihnen dennoch mittelbar zu entnehmen, dass ihnen dieses Risiko innewohnte und vom Verbraucher zu tragen war.
Nachdem die Verbraucher mit der Zahlung der monatlichen Raten in Schwierigkeiten geraten waren, wurden gerichtliche Verfahren vor dem Tribunal d’instance de Lagny-sur-Marne (erstinstanzliches Gericht Lagny-sur-Marne, Frankreich) bzw. dem Tribunal de grande instance de Paris (Regionalgericht Paris, Frankreich) eingeleitet. Diese Gerichte haben zu prüfen, ob die Klauseln der oben genannten Darlehensverträge, die die Verbraucher einem unbegrenzten Wechselkursrisiko ausgesetzt haben, im Licht der Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, ABl. 1993, L 95, S. 29) als missbräuchlich und die Verbraucher daher nicht bindend anzusehen sind. In diesem Kontext haben das Tribunal d’instance de Lagny-sur-Marne und das Tribunal de grande instance de Paris dem Gerichtshof eine Reihe von Fragen zur Auslegung der Richtlinie vorgelegt.
Mit seinen Urteilen vom heutigen Tag hat der Gerichtshof erstens darauf hingewiesen, dass missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen für den Verbraucher unverbindlich und als von Anfang an nicht existent anzusehen sind, so dass sie keine Wirkungen auf die Sach- und Rechtslage haben können. Folglich kann der Antrag eines Verbrauchers auf Feststellung der Missbräuchlichkeit einer in einem solchen Vertrag enthaltenen Klausel keiner Verjährungsfrist unterliegen.
Indessen hat der Gerichtshof hervorgehoben, dass die Richtlinie einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, nach der eine Klage, mit der die Restitutionswirkungen dieser Feststellung geltend gemacht werden, einer Verjährungsfrist unterliegt. Er hat jedoch darauf hingewiesen, dass eine Verjährungsfrist für die Rückerstattung von aufgrund einer missbräuchlichen Klausel gezahlten Beträgen, die bereits abgelaufen sein könnte, bevor der Verbraucher die Möglichkeit hatte, von der Missbräuchlichkeit dieser Klausel Kenntnis zu nehmen, keinesfalls mit der Richtlinie im Einklang stehen kann.
Zweitens hat der Gerichtshof festgestellt, dass es Aufgabe der vorlegenden Gerichte ist, zu beurteilen, ob die streitigen Klauseln einen die fraglichen Darlehensverträge kennzeichnenden Bestandteil festlegen, der Hauptgegenstand dieser Verträge ist. In diesem Fall erlaubt die Richtlinie die Prüfung der Missbräuchlichkeit dieser Klauseln nämlich nur, wenn diese nicht klar und verständlich abgefasst sind.
Drittens hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass es dem Transparenzerfordernis nicht genügt, wenn der Gewerbetreibende dem Verbraucher bei Vertragsschluss Informationen, selbst zahlreiche, übermittelt, wenn diese auf der Hypothese beruhen, dass der Wechselkurs zwischen der Kontowährung und der Zahlungswährung über die gesamte Laufzeit des Vertrags stabil bleiben wird. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Verbraucher vom Gewerbetreibenden nicht auf den wirtschaftlichen Kontext hingewiesen wurde, der Auswirkungen auf die Schwankungen der Wechselkurse haben könnte.
Viertens hat der Gerichtshof in Anbetracht der Kenntnisse des Gewerbetreibenden zu dem vorhersehbaren wirtschaftlichen Kontext, der Auswirkungen auf die Schwankungen der Wechselkurse haben kann, der besseren Mittel, über die der Gewerbetreibende verfügt, um das Wechselkursrisiko vorherzusehen, und des beträchtlichen Risikos in Bezug auf Schwankungen der Wechselkurse, das die streitigen Vertragsklauseln dem Verbraucher aufbürden, festgestellt, dass diese Klauseln zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches Missverhältnis zwischen den Rechten und Pflichten der Parteien aus dem Darlehensvertrag verursachen können. Soweit der Gewerbetreibende dem Verbraucher gegenüber das Transparenzerfordernis nicht beachtet hat, scheinen diese Klauseln dem Verbraucher nämlich ein zu den empfangenen Leistungen und dem Darlehensbetrag außer Verhältnis stehendes Risiko aufzubürden, da die Anwendung dieser Klauseln zur Folge hat, dass der Verbraucher die Kosten der langfristigen Entwicklung der Wechselkurse zu tragen hat.