Das Oberlandesgericht Celle hat am 19.02.2020 zum Aktenzeichen 14 U 69/19 ein achtjähriges Kind zur Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld verurteilt, das beim Fahrradfahren über einen längeren Zeitraum nach hinten zu den Eltern schaute und dabei auf eine Fußgängerin zusteuerte, die stürzte und sich verletzte.
Aus der Pressemitteilung des OLG Celle Nr. 12/2020 vom 20.02.2020 ergibt sich:
Während des Sommerurlaubs mit ihren Eltern fuhr ein achtjähriges Kind – welches bereits seit seinem fünften Lebensjahr mit dem Fahrrad am Straßenverkehr teilnimmt – auf einer Uferpromenade mit dem Fahrrad. Die Eltern gingen in Ruf- und Sichtweite einige Meter zu Fuß hinter dem Kind. Während das Kind vorwärts fuhr, sah es über einen längeren Zeitraum nach hinten zu den Eltern um und steuerte dabei auf eine Fußgängerin zu. Bei dem Versuch, einen Zusammenstoß mit dem sich nähernden Kind zu verhindern, stürzte und verletzte sich die Fußgängerin. Die Eltern hatten ihrerseits versucht, das Kind – welches noch eine Vollbremsung einleitete – durch Rufe zu warnen. Die Fußgängerin nahm das Kind und dessen Eltern vor dem LG Hannover auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld in Anspruch.
Das Landgericht hatte die Klage der Fußgängerin abgewiesen.
Das OLG Celle hat die Entscheidung des Landgerichts teilweise geändert und das Kind zur Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld verurteilt.
Nach Auffassung des Oberlandesgerichts besteht ein Anspruch gegenüber den Eltern des Kindes demgegenüber nicht, weil diese ihre Aufsichtspflicht nicht verletzt hätten. In der Entscheidung hat das Oberlandesgericht noch einmal die Voraussetzungen dafür dargelegt, unter denen Kinder für von ihnen verursachte Schäden haften. Nach § 828 BGB seien Minderjährige unter sieben Jahren für anderen zugefügte Schäden nicht verantwortlich. Solange sie keine zehn Jahre alt seien, haften Kinder auch nicht für Schäden durch einen Unfall mit einem Kraftfahrzeug oder im Schienenverkehr. Von sieben bis 17 Jahren haften Minderjährige aber für solche Schäden, die sie einem anderen zufügen, wenn sie bei der Begehung der schädigenden Handlung die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht besitzen. Dazu genüge die Fähigkeit des Kindes, zu erkennen, dass es in irgendeiner Weise für sein Verhalten zur Verantwortung gezogen werden könne.
Für den geschilderten Vorfall zwischen dem achtjährigen Kind und der Fußgängerin sei es darauf angekommen, ob einem altersgerecht entwickelten achtjährigen Kind, das bereits seit seinem fünften Lebensjahr regelmäßig und auch im Straßenverkehr Fahrrad fährt, bewusst sei, dass es während der Fahrt nach vorne schauen und nicht über einen längeren Zeitraum nach hinten blicken darf. Wenn das Kind hätte voraussehen können und müssen, dass die an den Tag gelegte Fahrweise auf der Promenade befindliche Fußgänger verletzen konnte, habe es auch die Gefährlichkeit seines Handelns in der konkreten Situation erkennen und sich dieser Erkenntnis gemäß verhalten müssen. Das Oberlandesgericht war auch aufgrund der persönlichen Anhörung des Kindes davon überzeugt, dass diesem zum Unfallzeitpunkt bewusst gewesen sei, dass es ein Fehler ist, während des Fahrradfahrens über einen längeren Zeitraum die Blickrichtung vom Fahrweg nach hinten abzuwenden. Das konkrete Verhalten des Kindes sei auch nicht aufgrund einer plötzlich auftretenden Situation reflexhaft ausgelöst gewesen (wie z.B. das Nachlaufen hinter einem Ball auf die Fahrbahn). Deshalb sei das Kind für die von der Fußgängerin erlittenen Verletzungen verantwortlich und habe den dadurch entstandenen Schaden zu ersetzen.