Unzulässiges Normenkontrollverfahren zum Solidaritätszuschlag auf Körperschaftsteuerguthaben

Das Bundesverfassungsgericht hat am 27.10.2021 zum Aktenzeichen 2 BvL 12/11 eine Vorlage des BFH zu § 3 des Solidaritätszuschlaggesetzes 1995 in der Neufassung vom 15.10.2002 (SolzG 1995 nF) für unzulässig erklärt.

Aus der Pressemitteilung des BVerfG Nr. 99/2021 vom 26.11.2021 ergibt sich:

Der Bundesfinanzhof ist der Auffassung, dass § 3 SolzG 1995 n. F. insoweit verfassungswidrig ist, als er weder die Festsetzung eines Anspruchs auf Auszahlung eines Solidaritätszuschlagguthabens auf das Körperschaftsteuerguthaben gemäß § 37 Abs. 5 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) in der Fassung vom 7. Dezember 2006 vorsieht noch das ratierlich zu erstattende Körperschaftsteuerguthaben die Bemessungsgrundlage für den Solidaritätszuschlag mindert. Die Vorlage genügt nicht den Begründungsanforderungen von § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG. Sowohl die Ausführungen zur Entscheidungserheblichkeit von § 3 SolzG 1995 n. F. in der Auslegung durch den Bundesfinanzhof als auch die Erwägungen zur Verfassungswidrigkeit der zur Prüfung vorgelegten Norm unter Darstellung der Möglichkeiten und Grenzen ihrer verfassungskonformen Auslegung lassen auf der Hand liegende Fragen unbeantwortet.

Sachverhalt:

Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 SolzG 1995 n. F. bemisst sich der Solidaritätszuschlag – soweit eine Veranlagung zur Körperschaftsteuer vorzunehmen ist – nach der festgesetzten Körperschaftsteuer, wenn ein positiver Betrag verbleibt. Die Vorlage steht im Zusammenhang mit dem im Jahr 2001 vollzogenen Wechsel im System der Ertragsbesteuerung der Körperschaften vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren.

Bis Ende 2000 wurde der von einer Körperschaft einbehaltene und nicht ausgeschüttete Gewinn zunächst mit dem Thesaurierungssatz von (zuletzt) 40 % besteuert und hierauf der Solidaritätszuschlag erhoben. Wurde der Gewinn später ausgeschüttet, reduzierte sich die Körperschaftsteuer auf (zuletzt) 30 %. Die Differenz zwischen dem Thesaurierungssteuersatz von (zuletzt) 40 % und der reduzierten Ausschüttungssteuerbelastung von (zuletzt) 30 % wurde an die Gesellschaft erstattet, wenn es zur Ausschüttung kam. Es entstand also bis zum Zeitpunkt der Ausschüttung auf der Ebene der Gesellschaft ein Körperschaftsteuerminderungspotential, das sich nach der Höhe dieser Steuersatzdifferenz bestimmte. Auf der Ebene der Anteilseigner erfolgte die Besteuerung der Ausschüttung mit dem individuellen Einkommensteuersatz des Steuerpflichtigen. Hierbei wurde die von der Kapitalgesellschaft entrichtete Körperschaftsteuer auf die Einkommensteuer des Anteilseigners angerechnet.

Seit 2001 wird auf der Ebene der Gesellschaft für thesaurierte und ausgeschüttete Gewinne nur noch eine einheitliche und endgültige Körperschaftsteuer in Höhe von 25 % (seit 2008 in Höhe von 15 %) erhoben. Auf der Ebene des Anteilseigners wird der ausgeschüttete Kapitalertrag nur zur Hälfte (seit 2009 zu 60 %) versteuert.

Den Übergang vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren gestaltete der Gesetzgeber derart, dass auf der Grundlage des Körperschaftsteuerminderungspotentials ein Körperschaftsteuerguthaben ermittelt wurde. Das festgestellte Körperschaftsteuerguthaben sollte sich in einem 15-jährigen (später 18-jährigen) Übergangszeitraum jeweils um 1/6 der in den folgenden Jahren getätigten offenen Gewinnausschüttungen bis zum Verbrauch des Körperschaftsteuerguthabens mindern. Der jeweilige Minderungsbetrag wurde an die Gesellschaft – im Wege der Verrechnung mit zu zahlender Körperschaftsteuer oder durch Erstattung – ausgekehrt. Bei einer Verrechnung mit zu zahlender Körperschaftsteuer verringerte sich gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 SolzG 1995 n. F. zugleich die Bemessungsgrundlage für den Solidaritätszuschlag. Im Erstattungsfall, das heißt, soweit das auszukehrende Körperschaftsteuerguthaben die jeweils festgesetzte Körperschaftsteuer überstieg, wirkte sich die Körperschaftsteuererstattung wegen des Begrenzungsvorbehalts des § 3 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 SolzG 1995 („wenn ein positiver Betrag verbleibt“) nicht auch auf den Solidaritätszuschlag aus.

Durch das Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften (SEStEG) vom 7. Dezember 2006 wurde das System des Körperschaftsteuerguthabens umgestellt. An die Stelle der ausschüttungsabhängigen Auskehrung des Körperschaftsteuerguthabens trat eine von Gewinnausschüttungen unabhängige ratierliche Auszahlung des restlichen Guthabens. Gemäß § 37 Abs. 5 Satz 1 KStG in der Fassung des SEStEG hatte die Körperschaft in dem Zeitraum von 2008 bis 2017 einen Anspruch auf Auszahlung des letztmalig auf den 31. Dezember 2006 ermittelten Körperschaftsteuerguthabens in zehn gleichen, jeweils am 30. September auszuzahlenden Jahresbeträgen.

Die Klägerin des Ausgangsverfahrens beantragte beim Finanzamt zusätzlich zu der Festsetzung des Anspruchs auf Auszahlung des Körperschaftsteuerguthabens erfolglos die gesonderte Festsetzung eines Anspruchs auf Auszahlung eines entsprechenden Solidaritätszuschlagguthabens. Die dagegen gerichtete Sprungklage vor dem Finanzgericht Köln hatte keinen Erfolg. Der Bundesfinanzhof hat das Revisionsverfahren, in dem die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt, ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob § 3 SolzG 1995 n. F. insoweit mit dem Grundgesetz vereinbar ist, als Auszahlungen des Körperschaftsteuerguthabens gemäß § 37 Abs. 5 KStG in der Fassung des SEStEG die Bemessungsgrundlage zum Solidaritätszuschlag nicht mindern und § 3 SolzG 1995 n. F. oder eine andere Vorschrift auch nicht die Festsetzung eines Anspruchs auf ein Solidaritätszuschlagguthaben anordnet. Dies verletze Art. 3 Abs. 1 GG und die Grundsätze rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG). Während die Rückzahlung des Körperschaftsteuerguthabens unter Geltung der ursprünglichen Übergangsregelung die Körperschaftsteuerfestsetzungen und damit auch den Solidaritätszuschlag gemindert hätten, sei dies nach dem SEStEG nicht mehr der Fall. Es würden diejenigen Steuerpflichtigen benachteiligt, die im Vertrauen auf die ursprüngliche Regelung davon abgesehen hätten, durch Gewinnausschüttungen ihr Körperschaftsteuerguthaben mit mindernder Wirkung für den Solidaritätszuschlag anzufordern. Ein sachlicher Grund für diese Benachteiligung sei nicht ersichtlich.

Wesentliche Erwägungen des Senats:

Die Vorlage ist unzulässig. Sie genügt nicht den Begründungsanforderungen von § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG.

  1. Die Ausführungen zur Entscheidungserheblichkeit von § 3 SolzG 1995 n. F. in der Auslegung durch den Bundesfinanzhof lassen naheliegende Fragen unbeantwortet.
  2. Der Bundesfinanzhof hat § 3 Abs. 1 Nr. 1 SolzG 1995 n. F. dahin ausgelegt, dass die Vorschrift die gesonderte Festsetzung eines Solidaritätszuschlagguthabens auf das zur Auszahlung gelangende Körperschaftsteuerguthaben im Verfahren nach § 37 Abs. 5 KStG in der Fassung des

SEStEG ausschließt, weil nach dem Wortlaut der Norm die festgesetzte Körperschaftsteuer nur dann Bemessungsgrundlage für den Solidaritätszuschlag ist, „wenn ein positiver Betrag verbleibt“, also nicht, wenn es zu einer Erstattung kommt, die Körperschaftsteuerschuld mithin negativ ist. Nach dieser jedenfalls vertretbaren Auslegung hätte die Revision keinen Erfolg, wenn die Regelung verfassungsgemäß wäre. Dagegen wäre die Revision erfolgreich, wenn der Gesetzgeber eine etwaige Verfassungswidrigkeit von § 3 SolzG 1995 n. F. dergestalt beheben würde, dass er zusätzlich zu dem Anspruch auf Auszahlung eines Körperschaftsteuerguthabens gemäß § 37 Abs. 5 Satz 1 KStG in der Fassung des SEStEG einen gesonderten Anspruch auf Auszahlung eines Solidaritätszuschlags in Höhe von 5,5 % des Körperschaftsteuerguthabens schafft (Guthabenlösung).

  1. Die Entscheidungserheblichkeit einer zur Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht gestellten Norm scheitert bei einem möglichen Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht daran, dass der Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten hat, eine festgestellte Verfassungswidrigkeit zu beseitigen. Der Zulässigkeit der Vorlage steht deshalb nicht entgegen, dass der Gesetzgeber stattdessen auch die Möglichkeit hätte, das ratierlich auszuzahlende Körperschaftsteuerguthaben – wie nach der ursprünglichen Regelung – durch Verrechnung mit der zu zahlenden Körperschaftsteuer im Veranlagungsverfahren zu berücksichtigen, so dass das Guthaben die Bemessungsgrundlage für den Solidaritätszuschlag mindern würde (Minderungslösung). Es genügt, wenn die Feststellung der Verfassungswidrigkeit dem Kläger des Ausgangsverfahrens die Chance offenhält, eine für ihn günstige Regelung durch den Gesetzgeber zu erreichen.
  2. Eine für den Steuerpflichtigen günstige Regelung ist allerdings ausgeschlossen, wenn der Gesetzgeber aus Rechtsgründen oder aus offenkundigen tatsächlichen Gründen gehindert ist, eine solche Regelung zu schaffen. Der Bundesfinanzhof hätte sich deshalb mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob die von der Klägerin des Ausgangsverfahrens begehrte Guthabenlösung verfassungsrechtlich zulässig oder ob sie ihrerseits verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf den Gleichheitssatz ausgesetzt wäre.

Eine Definitivbelastung von Körperschaften mit Solidaritätszuschlag konnte bereits sowohl unter Geltung des Anrechnungsverfahrens als auch während der Übergangsphase zum Halbeinkünfteverfahren unter der Geltung des Steuersenkungsgesetzes und des Steuervergünstigungsabbaugesetzes, also vor dem Inkrafttreten des im Streitfall maßgeblichen SEStEG, eintreten. Deshalb liegt die Frage auf der Hand, ob mit der von der Klägerin des Ausgangsverfahrens favorisierten Guthabenlösung, die jegliche Definitivbelastung mit Solidaritätszuschlag im Zusammenhang mit dem ratierlich auszuzahlenden Körperschaftsteuerguthaben ausschließt, nicht (erneut) eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung der verschiedenen Gruppen von Steuerpflichtigen eintreten würde, die aufgrund des früheren Anrechnungsverfahrens über Körperschaftsteuerminderungspotential beziehungsweise während der Übergangsphase über ein Körperschaftsteuerguthaben verfügen oder verfügten. Damit setzt sich der Bundesfinanzhof in keiner Weise auseinander.

  1. Auch die Ausführungen zur Verfassungswidrigkeit von § 3 SolzG 1995 n. F. genügen den Anforderungen von § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG nicht. Dabei kann offenbleiben, ob der Bundesfinanzhof bei Zugrundelegung seiner einfachrechtlichen Auslegung die Unvereinbarkeit der Norm mit Art. 3 Abs. 1 GG oder mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG) ausreichend dargelegt hat. Denn jedenfalls fehlt es an einer genügenden Begründung für die Unmöglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung von § 3 Abs. 1 Nr. 1 SolzG 1995 n. F. (in Verbindung mit § 37 Abs. 5 KStG in der Fassung des SEStEG).
  2. Die vom Bundesfinanzhof gegen eine verfassungskonforme Auslegung angeführten Gründe greifen zu kurz. Er führt insbesondere an, der Gesetzgeber habe bei der Systemumstellung durch das SEStEG bewusst entschieden, dass die Auszahlung des Körperschaftsteuerguthabens die Bemessungsgrundlage zum Solidaritätszuschlag nicht mehr mindern solle. Dabei räumt der Bundesfinanzhof ein, dass in der Gesetzesbegründung der Solidaritätszuschlag nicht erwähnt wird. Er geht jedoch davon aus, dass dem Gesetzgeber nicht verborgen geblieben sein könne, dass die Festsetzung und ratierliche Auszahlung eines Körperschaftsteuerguthabens keine Auswirkungen auf den Solidaritätszuschlag mehr habe. Daraus folgt indes noch nicht, dass die gesonderte Festsetzung eines Solidaritätszuschlagguthabens auf das Körperschaftsteuerguthaben oder eine Berücksichtigung des ratierlich auszuzahlenden Körperschaftsteuerguthabens im Rahmen des Veranlagungsverfahrens zur Körperschaftsteuer und damit für die Bemessungsgrundlage des Solidaritätszuschlags dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers bei Erlass des SEStEG widerspräche. Mit dem SEStEG wollte der Gesetzgeber zum einen das bisherige System der ausschüttungsabhängigen Gutschrift des Körperschaftsteuerguthabens vereinfachen und die Administrierbarkeit erleichtern. Zum anderen wollte er die Kalkulierbarkeit der Einnahmen für die öffentlichen Haushalte verbessern. Dass das eine oder das andere Ziel durch die gesonderte Festsetzung eines Solidaritätszuschlagguthabens auf das Körperschaftsteuerguthaben oder durch eine Berücksichtigung der jährlichen Auszahlungsrate bei der Bemessungsgrundlage für den Solidaritätszuschlag im Veranlagungsverfahren konterkariert worden wäre, legt der Bundesfinanzhof nicht dar.
  3. Mit der Frage, ob – wenn nicht die gesetzgeberische Intention bei Erlass des SEStEG – der Wortlaut, die Entstehungsgeschichte, der Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelungen und deren Sinn und Zweck eine verfassungskonforme Auslegung von § 3 Abs. 1 Nr. 1 SolzG 1995 n. F. ausschließen, befasst sich der Bundesfinanzhof nicht näher. Insbesondere fehlt es an einer Aufarbeitung des einfachen Rechts in einer Weise, die Rückschlüsse auf die Unzulässigkeit einer verfassungskonformen Auslegung von § 3 Abs. 1 Nr. 1 SolzG 1995 n. F. im Sinne der Minderungslösung zulässt. Der Bundesfinanzhof schließt diese aus, weil der Anspruch auf Auszahlung des Körperschaftsteuerguthabens vom Veranlagungsverfahren getrennt worden sei und es sich dabei um einen Steuererstattungsanspruch handele. Welche Konsequenzen die Einordnung als Steuererstattungsanspruch für die Frage einer etwaigen Berücksichtigung dieses Anspruchs bei der Bemessungsgrundlage für den Solidaritätszuschlag hat, bleibt dabei unklar. Insbesondere die Frage, ob nach der steuerrechtlichen Systematik und dem Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelungen eine Berücksichtigung der einmaligen Festsetzung und jährlichen Auszahlung des Körperschaftsteuerguthabens für die Bemessungsgrundlage des Solidaritätszuschlags im jeweiligen Veranlagungsverfahren zur Körperschaftsteuer ausgeschlossen ist, etwa weil andernfalls der normative Gehalt von § 3 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 SolzG 1995 n. F. grundlegend neu bestimmt würde, wird nicht beantwortet. Damit wird die Begründung der Vorlage ihrer Entlastungsfunktion für das Bundesverfassungsgericht nicht gerecht, die gerade auch dadurch erreicht werden soll, dass der einfachrechtliche Streitstoff von der zuständigen Fachgerichtsbarkeit im Gesamtzusammenhang aufgearbeitet wird.