Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 03. Februar 2021 zum Aktenzeichen 2 BvR 2128/20 entschieden, dass die die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft verfassungswidrig ist, wenn die Eröffnung der Hauptverhandlung wegen Überlastung des Gerichts zu lang dauert.
Das Oberlandesgericht hat nicht schlüssig begründet, weshalb vorliegend weder die (ursprünglich zuständige) 2. Strafkammer noch die (nunmehr zuständige) 1. Strafkammer bis zum angegriffenen Beschluss über vier Monate nach Erhebung der Anklage noch keine Entscheidung über die Zulassung der Anklage und die Eröffnung des Hauptverfahrens getroffen haben.
Das Oberlandesgericht hat nicht hinreichend dargelegt, dass das Verfahren angemessen gefördert worden ist. Die Entscheidungen des Landgerichts, die das Oberlandesgericht zur Begründung anführt, sind zum Nachweis einer Verfahrensförderung erkennbar nicht geeignet. Es ist jedenfalls ohne nähere Erläuterung nicht ersichtlich, wie den Entscheidungen über den Antrag auf Haftprüfung, über die Anhaltung und Beschlagnahme von Briefen des Beschwerdeführers sowie über die Pflichtverteidigung Auswirkungen auf die Eröffnungsreife zukommen konnten und sie damit zur Verfahrensförderung beigetragen haben können.
Darüber hinaus ist unerheblich, ob die vom Oberlandesgericht angeführten Nachermittlungen und das Abwarten des Eingangs des toxikologischen Gutachtens vom 6. Juli 2020 das Verfahren angemessen gefördert haben. Denn die Ergebnisse gingen bereits am 9. Juli 2020 beim Landgericht ein. Die Stellungnahmefrist gemäß § 201 Abs. 1 Satz 1 StPO war seit dem 15. Juli 2020 abgelaufen. Dass die Strafkammer ab diesem Zeitpunkt weitere Nachermittlungen in Auftrag gab, führt das Oberlandesgericht weder an noch ist ein solcher Auftrag sonst ersichtlich. Das Oberlandesgericht führt überdies nicht aus, dass nach Eingang der Nachermittlungen noch keine Eröffnungsreife vorgelegen habe. Weshalb das Landgericht dennoch mehr als drei Monate nach Kenntnis der Nachermittlungsergebnisse keine Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens getroffen hatte, begründet der Senat nicht tragfähig und lässt somit die notwendige Begründungstiefe vermissen. Rechtliche Schwierigkeiten, die einer Eröffnungsentscheidung entgegenstanden haben könnten, sind weder dem angegriffenen Beschluss des Oberlandesgerichts zu entnehmen noch sind sie sonst ersichtlich.
Die verspätete Entscheidung hat das Verfahren auch verzögert, obwohl die Vorsitzende der 2. Strafkammer vor der Eröffnungsentscheidung bereits Termine für die Durchführung der Hauptverhandlung mit den Verteidigern des Beschwerdeführers abgesprochen hat, denn auch die von der Kammervorsitzenden avisierten Termine ab dem Februar 2021 führen zu einer deutlichen Überschreitung des vom Bundesverfassungsgericht für die Dauer des Zwischenverfahrens für den Regelfall als geboten erachteten Zeitraums (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 1. August 2018 – 2 BvR 1258/18 -, Rn. 25; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. Februar 2020 – 2 BvR 2090/19 -, Rn. 49). Damit setzt sich das Oberlandesgericht nicht in der erforderlichen Begründungstiefe auseinander. Es musste bei seiner Entscheidung vom 28. Oktober 2020 berücksichtigen, dass sich der Beschwerdeführer im Februar 2021 schon mehr als ein Jahr und einen Monat in Untersuchungshaft befinden würde und der Eingang der Akten beim Landgericht über acht Monate zurücklag. Eine solche späte Terminierung hätte unter Berücksichtigung des Beschleunigungsgebots nur mit gewichtigen Gründen gerechtfertigt werden können, die ausweislich des angegriffenen Beschlusses nicht ersichtlich sind.
Das Oberlandesgericht legt auch nicht in der gebotenen Begründungstiefe dar, dass sich die Verzögerung aus einer einmaligen und vorübergehenden Belastung der 2. Strafkammer mit einem ab dem 16. September 2020 und im gesamten vierten Quartal 2020 verhandelten Großverfahren ergebe. Die Ausführungen des Senats lassen nicht erkennen, ob die Belastungssituation der Strafkammer tatsächlich unvorhersehbar und unvermeidbar war, oder ob die Strafkammer nicht bereits vorher dauerhaft, nicht nur vorübergehend überlastet war und damit letztlich eine unzureichende Personalausstattung oder -verwaltung die wesentliche Ursache für die Verfahrensverzögerungen war (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2019 – 2 BvR 2429/18 -, Rn. 72), denn der angegriffene Beschluss verhält sich nicht dazu, ob die vom Oberlandesgericht angenommene Überlastung durch das anhängige Großverfahren nicht bereits deutlich vor dem Anbringen der Überlastungsanzeige erkennbar gewesen ist. Das Oberlandesgericht hätte berücksichtigen müssen, dass die Staatsanwaltschaft in dem angeführten Großverfahren schon Mitte Dezember 2019 Anklage erhob und die Hauptverhandlung erst – wie es der Tagespresse zu entnehmen ist – für die Zeit ab dem 16. September 2020 bis zum 21. Dezember 2020, mithin ebenfalls neun Monate nach Akteneingang, angesetzt war. Das Oberlandesgericht lässt auch Ausführungen dazu vermissen, dass die Vorsitzende der 2. Strafkammer schon am 11. Februar 2020 in einem anderen Verfahren bereits von „Überlastung und massiver Belastung mit vorrangig zu bearbeitenden Haftsachen“ berichtete. Tragfähig rechtfertigende Gründe dafür, weshalb die Überlastung beim Präsidium des Landgerichts erst am 28. September 2020, also deutlich über drei Monate nach Anklageerhebung und deutlich über zwei Monate nach Abschluss der Nachermittlungen angezeigt wurde, sind nicht in der erforderlichen Begründungstiefe dargetan.
Die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts setzt sich schließlich nicht in der gebotenen Begründungstiefe mit den vom Präsidium des Landgerichts aus Anlass der Überlastungsanzeige getroffenen Abhilfemaßnahmen auseinander. Der Senat wäre insoweit gehalten gewesen, ausgehend von der tatsächlichen Belastungssituation der Strafkammer darzulegen, inwieweit die Umverteilung des Verfahrens rechtzeitig, geeignet und hinreichend wirksam war, um die Voraussetzungen für eine dem Beschleunigungsgebot genügende Verfahrensgestaltung (wieder) herzustellen, oder ob das Präsidium die angezeigte Maßnahme erst zu einem Zeitpunkt getroffen hat, zu dem eine den rechtsstaatlichen Anforderungen genügende Verfahrensführung nicht mehr zu gewährleisten war. Es fehlen insbesondere Erörterungen dazu, weshalb das Verfahren erst durch Beschluss des Präsidiums vom 20. Oktober 2020, also gut drei Wochen nach Anzeige der Überlastung am 28. September 2020 umverteilt wurde.