Das Landgericht Heilbronn hat mit Urteil vom 22.03.2023 zum Aktenzeichen Ko 8 O 85/22 entschieden, dass die Bezeichnung einer Politikerin als „dämliches Stück Hirn-Vakuum“ im konkreten Kontext von der Meinungsfreiheit gedeckt war und von der Politikerin gerade auch im Zusammenhang mit von ihr selbst zuvor getätigten Äußerungen zu dulden ist.
Die Klägerin begehrt Unterlassung wegen Beleidigung und übler Nachrede auf der Internetplattform Facebook.
Von dem Facebook Konto des Beklagten wurde am 15.11.2020 ein Beitrag des Mitglieds des Brandenburger Landtags Jan Redmann über die Klägerin wie folgt kommentiert:
„Selten so ein dämliches Stück Hirn-Vakuum in der Politik gesehen wie Sawsan Chebli. Soll einfach abtauchen und die Sozialschulden Ihrer Familie begleichen.“
Jan Redmann bezog sich in seinem Beitrag vom 15.11.2020, auf einen Twitter – Beitrag von der Klägerin vom 13.11.2002, den er auch verlinkte. Der Beitrag von Jan Redmann lautete:
„Hat die politische Linke nun endlich einen Vorwand gefunden, einen der wenigen Kabarettisten, der nicht klar links der Mitte steht, vom Sender nehmen zu wollen? Dieter Nuhr hat einen Fehler gemacht, ok. Er ist dennoch ein meist kluger und oft lustiger Beitrag zur Vielfalt in der Medienlandschaft.“
Der verlinkte Beitrag der Klägerin vom 13.11.2002 lautete:
„Immer wieder Dieter#Nuhr: so ignorant, dumm und uninformiert. Er nur Witze auf Kosten von Minderheiten machen. Wie lange will @ARDde das mitmachen? Unabhängig davon: Kauf das Buch von @alicehasters und bildet euch antirassistisch. Ich verschenke ein paar davon zu Weihnachten.“
Die Klägerin ist deutsche Politikerin, die von Dezember 2016 bis Dezember 2021 Bevollmächtigte des Landes Berlin beim Bund und Staatssekretärin für Bürgerliches Engagement und Internationales in der Berliner Senatskanzlei war. Die Klägerin engagiert sich für junge Muslime. Sie initiierte 2010 die Gründung des Vereins JUMA (steht für Jung, Muslimisch, Aktiv und das arabische Wort für Freitagsgebet). Außerdem wurde auf ihre Initiative hin im November 2017 der Berliner Arbeitskreis gegen Antisemitismus gegründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Unterlassung der getätigten Behauptung
Ein Anspruch der Klägerin folgt insbesondere nicht aus § 823 Abs. 1 BGB iVm Art. 1, 2 GG und § 1004 Abs. 1 S.2 analog, § 823 Abs. 2 BGB iVm §§ 185 f. StGB, sowie §§ 823, 253 Abs. 2 BGB.
Auf die Frage der Urheberschaft des Beklagten kommt es dabei nicht entscheidend an. Darüber hinaus ist die Kommentierung vom Facebook-Konto des Beklagten erfolgt, was seine Urheberschaft vermuten lässt. Allein die theoretische Möglichkeit eines Hackangriffs, oder der theoretisch mögliche Zugriff durch Dritte – welcher durch den Beklagten selbst ermöglicht wurde – kann Zweifel an der Urheberschaft ohne Darlegung greifbarer Anhaltspunkte nicht ernstlich erwecken. Weiter trägt der Beklagte vor, dass ihm eine Aufklärung nicht mehr möglich ist. Da eine Urheberschaft bei der Kommentierung von seinem Facebook-Konto aus zu vermuten ist, geht die Beweislast für das Gegenteil zu seinen Lasten.
Der Anspruch scheitert unabhängig von der Frage der Urheberschaft jedenfalls an der Rechtswidrigkeit, da die Äußerung noch von der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG umfasst ist.
Die Beurteilung, ob der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers rechtswidrig iSd § 823 Abs. 1 BGB ist, erfordert wegen der Eigenart des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als Rahmenrecht eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalls sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretationsleitend zu berücksichtigen sind.
Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt.
Im Rahmen der Abwägung ist auf Seiten des Beklagten insbesondere die Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG zu berücksichtigen. Vom Schutzbereich umfasst sind sowohl Tatsachenbehauptungen, als auch Werturteile. Während Tatsachenbehauptungen dem Beweis zugänglich und damit wahr oder unwahr sein können, sind Meinungsäußerungen von Elementen des Wertens und Meinens geprägt. Sie sind weder wahr noch unwahr.
Die Äußerungen des Beklagten sind als Werturteile zu qualifizieren. Dies gilt auch für die Äußerung, sie solle die Sozialschulden ihrer Familie abarbeiten. Es handelt sich hierbei um eine sog. Mischäußerung, welche nicht vollständig als Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung zu qualifizieren ist, sondern welcher sowohl Elemente des Meinens, als auch Tatsachenbehauptungen innewohnen. Derartige Mischäußerungen sind dann, wenn sich in der Mischäußerung Tatsachen und Meinungsäußerungen untrennbar miteinander vermengen, nach dem Schwerpunkt der Äußerung zu beurteilen. Überwiegen nach dem Schwerpunkt der Äußerung die wertenden Elemente, ist die Äußerung insgesamt als Meinungsäußerung zu qualifizieren.
Dies ist hier der Fall. Die Behauptung erfolgte vor dem Hintergrund, dass die Familie der Klägerin nach Deutschland eingewandert ist. Sie wurde indes nicht deshalb geäußert, weil der Beklagte davon ausging, die Familie hätte tatsächlich „Sozialschulden“, sondern sie beinhaltet ein Element der Wertung hinsichtlich der Praxis sozialer Unterstützung von Einwandererfamilien in Deutschland an sich.
Nicht vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit umfasst sind im Falle von Werturteilen die Schmähkritik, Formalbeleidigung sowie Angriffe auf die Menschenwürde selbst. Eine Schmähung im verfassungsrechtlichen Sinn ist gegeben, wenn eine Äußerung keinen irgendwie nachvollziehbaren Bezug mehr zu einer sachlichen Auseinandersetzung hat und es bei ihr im Grunde nur um das grundlose Verächtlichmachen der betroffenen Person als solcher geht. Entgegen der Ansicht des Klägers stellen die hier streitgegenständlichen Äußerungen keine Schmähkritik dar. Ein nachvollziehbarer Bezug zu einer Auseinandersetzung in der Sache ist nach wie vor anzunehmen. So sind die Äußerungen aufgrund des politischen Hintergrundes und in dessen Kontext als Reaktion auf die Stellungnahme des Landtags Jan Redmann gefallen.
Auf Seiten des Klägers ist ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht zu berücksichtigen, Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK.
Im Rahmen der durchzuführenden Abwägung überwiegt indes das Grundrecht des Beklagten auf Meinungsfreiheit. Die Abwägung hängt von den Umständen des konkreten Einzelfalls, insbesondere dem Zusammenhang, in dem die Äußerung fällt, ab. Rechtswidrig ist der Eingriff nur, wenn das Schutzinteresse des Geschädigten die schutzwürdigen Belange des Schädigers überwiegen. Die Anwendung des Art. 5 I GG verlangt eine der Meinungsfreiheit gerecht werdende Ermittlung des Sinns der infrage stehenden Äußerung. Unter Zugrundelegung der Sphärentheorie ist der Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin hier als nicht besonders schwerwiegend einzustufen, da lediglich der Bereich der Sozialsphäre betroffen ist. Weiter trägt sie selbst vor, eine bekannte in der Öffentlichkeit stehende Persönlichkeit zu sein, sodass sie naturgemäß im Rahmen von Meinungsstreitigkeiten auch heftigerer Kritik ausgesetzt ist und hiermit aufgrund ihrer Entscheidung, eine öffentliche Position zu bekleiden, leben muss. Sie hat vor diesem Hintergrund auch polemische, überspitzte Kritik hinzunehmen. Zudem ist bei der Einordnung des Kommentars des Beklagten auch die von den anderen Beteiligten geführte Kommunikation und das genutzte Vokabular zu berücksichtigen. So hat die Klägerin diese öffentlich geführt Diskussion selbst mit einem vergleichbaren Vokabular gestartet, weshalb sie mit entsprechenden Erwiderungen zu rechnen und diese auch auszuhalten hat. Hierdurch hat sie ihren Ehrschutz durch die Art und Weise der von ihr öffentlich geführten Diskussion in gewissem Maße Preis gegeben. Während sie die Worte „ignorant und dumm“ nutzte, änderte dies der Beklagte in „dämliches Stück Hirn-Vakuum“, was eine vergleichbare Bedeutung zu den Worten der Klägerin hat.
Im Rahmen der strafgesetzlichen Vorschriften nach § 185 f StGB findet die Meinungsfreiheit über die Vorschrift des § 193 StGB Berücksichtigung. Damit die Vorschrift die Äußerung des Täters rechtfertigt, müssen seine Interessen nach hM die Belange des Betroffenen überwiegen. Bei der vorzunehmenden Güter- und Interessenabwägung ist nicht zuletzt die Meinungsäußerungsfreiheit zu beachten, deren Spannungsverhältnis zur Ehre und deren Grenzen. Hinsichtlich dieser Abwägung wird auf obige Ausführungen verwiesen.