Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 16. Juli 2020 zum Aktenzeichen 2 BvR 2211/18 entschieden, dass eine Verfassungswidrigkeit der Beschwerdeführer nicht ausreichend begründet wurde, dass es die Bundesregierung in der Katalonienkrise seit Oktober 2017 unterlassen habe, auf eine Beschlussfassung im Europäischen Rat nach Art. 7 Abs. 2 EUV hinzuwirken. Die Beschwerdeführer sahen darin eine Verletzung der Integrationsverantwortung der Bundesregierung und ihres grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG.
Verschiedene Maßnahmen spanischer Hoheitsträger im Kontext der Katalonienkrise 2017 verletzten die Werte von Art. 7 Abs. 2 EUV. Das gelte für die Polizeieinsätze zur Verhinderung des Referendums am 1. Oktober 2017, die Entmachtung der Generalitat de Catalunya am 27. Oktober 2017, das Strafverfahren gegen verschiedene Mitglieder der katalanischen Regierung sowie die Entscheidung des spanischen Verfassungsgerichts vom 27. Januar 2018.
Rechtsstaatliche Mindeststandards seien hier in mehrfacher Hinsicht evident und nicht lediglich punktuell verletzt worden. Die Vorschlagsberechtigten nach Art. 7 Abs. 2 EUV seien daher zum Tätigwerden verpflichtet gewesen; Raum für Ermessenserwägungen habe nicht bestanden. Zur Integrationsverantwortung der Bundesregierung gehöre vielmehr auch, dass sie ihrem durch Art. 7 EUV anvertrauten Wächteramt gerecht werde. Lägen die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 und Abs. 2 EUV vor, könne sie ihrer Integrationsverantwortung daher allein dadurch gerecht werden, dass sie von ihrem dort vorgesehenen Vorschlagsrecht Gebrauch mache.
Die Verfassungsbeschwerde hat nicht dargelegt, dass die Beschwerdeführer durch das gerügte Unterlassen in ihrem Recht aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt sein könnten.
So kommt eine Verletzung des Rechts auf demokratische Selbstbestimmung aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG und der sich hieraus ergebenden Integrationsverantwortung der Bundesregierung unter dem Gesichtspunkt der Ultra-vires-Kontrolle nur bei hinreichend qualifizierten Kompetenzüberschreitungen von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union in Betracht. Diese müssen offensichtlich und für die Kompetenzverteilung zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten von struktureller Bedeutung sein (vgl. BVerfGE 142, 123 <172 ff. Rn. 75 ff.>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 13. Februar 2020 – 2 BvR 739/17 -, Rn. 96; Urteil des Zweiten Senats vom 30. Juli 2019 – 2 BvR 1685/14 u.a. -, Rn. 150 ff.; Urteil des Zweiten Senats vom 5. Mai 2020 – 2 BvR 859/15 u.a. -, Rn. 107, 110 ff.).
Soweit die Beschwerdeführer in der unterlassenen Beschlussfassung des Europäischen Rates nach Art. 7 Abs. 2 EUV einen Ultra-vires-Akt sehen wollen, legen sie nicht dar, inwiefern ein Unterlassen, selbst im Falle einer Handlungspflicht, das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 Abs. 1 EUV) verletzen kann. Wenn Organe, Einrichtungen und sonstige Stellen der Europäischen Union untätig bleiben, nehmen sie typischerweise auch keine Kompetenzen in Anspruch, die nach den Verträgen den Mitgliedstaaten zustünden, und handeln deshalb von vornherein nicht ultra vires.
Soweit die Beschwerdeführer im Unterlassen der Bundesregierung, nach Art. 7 Abs. 2 EUV tätig zu werden, gleichwohl einen Verstoß gegen ihre Integrationsverantwortung sehen, genügen ihre Darlegungen zu einer möglichen Verletzung von Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG den gesetzlichen Anforderungen ebenfalls nicht.
Die Integrationsverantwortung verpflichtet die Verfassungsorgane, Mitwirkungs- und Umsetzungshandlungen an Ultra-vires-Akten von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union zu unterlassen und aktiv auf die Einhaltung des Integrationsprogramms hinzuwirken (vgl. BVerfGE 134, 366 <395 Rn. 49>; 142, 123 <209 f. Rn. 167>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 13. Februar 2020 – 2 BvR 739/17 -, Rn. 136; Urteil des Zweiten Senats vom 30. Juli 2019 – 2 BvR 1685/14 u.a. -, Rn. 94, 141; Urteil des Zweiten Senats vom 5. Mai 2020 – 2 BvR 859/15 u.a. -, Rn. 106). Nur unter diesen Voraussetzungen haben Bürgerinnen und Bürger auch einen aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG folgenden Anspruch auf Wahrnehmung der Integrationsverantwortung durch die Bundesregierung.
Ein Verstoß der Bundesregierung gegen unionsrechtliche Pflichten – deren Existenz einmal unterstellt – kann aber von vornherein keinen Ultra-vires-Akt darstellen, weil es sich bei der Bundesregierung um ein deutsches Verfassungsorgan handelt, dessen Kompetenzen sich nicht aus dem in den Verträgen niedergelegten Integrationsprogramm ergeben.
Auch soweit die Beschwerdeführer die Verfassungsidentität des Grundgesetzes durch das Unterlassen der Bundesregierung nach Art. 7 Abs. 2 EUV vorzugehen, behaupten, genügt ihr Vortrag nicht den (erhöhten) Anforderungen an eine Identitätskontrolle (vgl. BVerfGE 140, 317 <341 f. Rn. 50>).
Der Vortrag erschöpft sich in bloßen Behauptungen und legt nicht dar, ob und inwieweit sich aus Art. 7 Abs. 2 EUV eine Pflicht der Bundesregierung zum Tätigwerden ergeben kann. Ebenso offen bleibt, wie die Bundesregierung, eine solche Pflicht unterstellt, die Unterstützung von mindestens einem Drittel der Mitgliedstaaten für einen solchen Antrag erlangen kann und welches Schutzgut von Art. 79 Abs. 3 GG insoweit berührt wäre. Dass selbst eine unterstellte Verletzung des Unionsrechts nicht notwendigerweise auch einen Verstoß gegen das Grundgesetz bedeuten würde (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 13. Februar 2020 – 2 BvR 739/17 -, Rn. 114 f.), wird nicht einmal ansatzweise thematisiert.
Im Übrigen ergibt sich aus dem Vorbringen der Beschwerdeführer auch nicht, weshalb der politische Gestaltungsspielraum der Bundesregierung bei der Wahrnehmung ihrer Integrationsverantwortung (vgl. BVerfGE 142, 123 <210 ff. Rn. 168 ff.>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 30. Juli 2019 – 2 BvR 1685/14 u.a. -, Rn. 148; Urteil des Zweiten Senats vom 5. Mai 2020 – 2 BvR 859/15 u.a. -, Rn. 109) auf einen Verstoß nach Art. 7 Abs. 2 EUV reduziert sein sollte.
Soweit die Beschwerdeführer schließlich die Verletzung des Rechtsstaatsprinzips rügen, stellen sie einen Zusammenhang mit dem Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG nicht her. Das wäre für die Zulässigkeit einer Identitätsrüge jedoch erforderlich gewesen (vgl. BVerfGE 123, 267 <332 f.>; 129, 124 <169, 177>; 132, 195 <238 Rn. 104>; 134, 366 <397 Rn. 53>; 135, 317 <386 Rn. 125>; 142, 123 <190 Rn. 126>; 146, 216 <249 f. Rn. 44 ff.>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 13. Februar 2020 – 2 BvR 739/17 -, Rn. 107).