Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 10. Januar 2022 zum Aktenzeichen 2 BvR 537/21 entschieden, dass die Anordnung der Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus verfassungswidrig ist, da diese gegen das Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 104 Absatz 1 Satz 1 und Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes verstößt.
Die Begründungstiefe des landgerichtlichen Beschlusses, der vom Oberlandesgericht nicht beanstandet wurde, genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen angesichts der bereits über zwölf Jahre andauernden Unterbringung des ansonsten nicht einschlägig vorbestraften Beschwerdeführers nicht.
Mit Blick auf die Gefahrenprognose genügen die angegriffenen Beschlüsse weder dem Konkretisierungsgebot hinsichtlich der zu erwartenden Straftaten, noch enthalten sie zureichende Ausführungen über das Maß der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefährdung.
Liegt der Ausgangsverurteilung – wie hier – lediglich eine einzelne Straftat zugrunde und sind seitdem fast zwei Jahrzehnte vergangen, in denen der Betroffene weder im Maßregelvollzug noch während Bewährungszeiten durch Gewalttaten oder sexuell motivierte Übergriffe aufgefallen ist, kommt dem Konkretisierungsgebot besondere Bedeutung zu, um zu verhindern, dass Gerichte die bloß entfernte Möglichkeit weiterer Straftaten für den weiteren Freiheitsentzug ausreichen lassen.
Dem angegriffenen Beschluss lässt sich jedoch keine ausreichende Straftatkonkretisierung entnehmen. Das Landgericht beschränkt sich auf die Feststellung, dass der Untergebrachte im Falle einer unvorbereiteten Entlassung „mit hoher Wahrscheinlichkeit störungsbedingt erneut Delikte im Sinne der Einweisungsdelinquenz, mithin Sexualdelikte begehen würde“. Bereits angesichts der Unterschiede hinsichtlich der Schwere und des Strafrahmens, der bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 ff. StGB) anzuwenden ist, genügt dies den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die konkrete Darlegung der künftig vom Beschwerdeführer zu erwartenden Straftaten nicht. Darüber hinaus setzt sich das Landgericht nicht damit auseinander, dass sich den eingeholten Stellungnahmen nicht zweifelsfrei entnehmen lässt, ob vom Beschwerdeführer überhaupt die Gefahr künftiger Sexualdelikte ausgeht oder ob Gewaltdelikte ohne Sexualbezug zu erwarten sind. Es beschränkt sich stattdessen darauf, darzulegen, dass die Maßregelvollzugsklinik in ihrer Stellungnahme vom 30. August 2020 festgestellt habe, dass unter bestimmten Bedingungen mit „gewalttätigen Ausbrüchen im Sinne der Einweisungsdelinquenz“ zu rechnen sei. Dies ersetzt die notwendige Konkretisierung der künftig zu erwartenden Straftaten ebenso wenig wie der Verweis auf das Gutachten vom 19. August 2019, in dem der Sachverständige festgestellt hat, eine „klare prospektive Vorhersage der Art und Schwere zukünftiger Straftaten“ sei aus dem Anlassdelikt nicht ableitbar. Bei Wiederaufnahme eines regelmäßigen Substanzkonsums seien mit dem Beschwerdeführer zufällig zusammentreffende Personen bedroht, (als Männer) Opfer eines aggressiven Angriffs und (als Frauen) eines sexuellen Übergriffs zu werden.
Auch die Befassung des Landgerichts mit dem Grad der Wahrscheinlichkeit künftiger Taten ist unzureichend. Seine Überzeugung, diese sei als hoch einzuschätzen, entbehrt einer nachvollziehbaren Begründung. Die Ausführung, dass mit gewalttätigen Ausbrüchen „zu rechnen“ sei, lässt sowohl den ungefähren Zeitraum, der zwischen der Entlassung, dem „schrittweisen Ausstieg“ des Beschwerdeführers aus den Absprachen und dem Entstehen einer vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr vergehen werde, als auch den Gefahrengrad am Ende dieses Ausstiegsprozesses offen. Darüber hinaus setzt das Landgericht sich nicht damit auseinander, dass der Beschwerdeführer weder vor noch nach der Anlasstat mit Gewalt- oder Sexualdelikten in Erscheinung getreten ist und dies auch während der Unterbrechung der Unterbringung durch Bewährungsaussetzungen zwischen dem Juni 2016 und dem November 2018 nicht der Fall gewesen zu sein scheint.
Die angegriffenen Entscheidungen genügen außerdem offensichtlich nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Verhältnismäßigkeitsprüfung.
Die knappen Ausführungen der Strafvollstreckungskammer, die weitere Vollstreckung der Unterbringung erweise sich – trotz eines zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits mehr als zwölf Jahre andauernden Freiheitsentzugs – unter Berücksichtigung der Bedeutung der künftig vom Beschwerdeführer zu befürchtenden Straftaten und des Gefahrengrades als „ohne weiteres verhältnismäßig“, werden in ihrer Formelhaftigkeit den verfassungsrechtlichen Begründungsanforderungen nicht gerecht. Gerade aufgrund des von der Kammer erkannten, ganz erheblichen bisherigen Unterbringungszeitraums hätte sie sich zu einer eingehenderen Auseinandersetzung mit der Frage der Verhältnismäßigkeit der weiteren Vollstreckung veranlasst sehen müssen, die alle insoweit relevanten Aspekte in die Würdigung einbezieht. Dass die vom Beschwerdeführer ausgehende Gefahr das aufgrund der Dauer der Unterbringung gestiegene Gewicht des Freiheitsanspruchs des Beschwerdeführers überwiegt, lässt sich den Ausführungen des Landgerichts nicht entnehmen.
Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat die Grundrechtsverletzung durch das Landgericht Marburg durch seinen Beschluss vom 11. Februar 2021 vertieft, indem es lediglich auf die zutreffenden Gründe der angegriffenen Entscheidung Bezug nimmt. Eigenständige Erwägungen zur Gefahrenprognose oder zur Verhältnismäßigkeit der Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers fehlen.