Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 25. Mai 2022 zum Aktenzeichen 2 BvR 167/22 entschieden, dass die Untätigkeit einer Strafvollstreckungskammer in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes verfassungswidrig ist.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Untätigkeit der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes.
In der Justizvollzugsanstalt Straubing, in der der Beschwerdeführer inhaftiert ist, bestehen Probleme mit der Notrufanlage in den Hafträumen des Strafvollzugs. Am 9. Juli 2021 beantragte der Beschwerdeführer bei der Justizvollzugsanstalt, eine einwandfreie Kommunikation über die Notrufanlage sicherzustellen. Die Anlage sei bei ihm und vielen anderen Mitgefangenen gestört.
Mit Schreiben vom 23. September 2021 beantragte der Beschwerdeführer einstweiligen Rechtsschutz. Die hausinterne Notrufanlage sei seit vielen Monaten defekt. An diesem Tag habe er die Notrufanlage erneut erfolglos betätigt. Wegen der Nichtbescheidung seines Antrags durch die Justizvollzugsanstalt befürchte er deren Untätigkeit.
Die Justizvollzugsanstalt trug mit Schreiben vom 28. September 2021 vor, dass sich die Gefangenen durch „Knopfdrücken“ im Notfall melden könnten. Diese Meldung werde grundsätzlich in der Zentrale des jeweiligen Unterkunftsgebäudes sowohl akustisch über einen Signalton als auch optisch durch eine Meldung am PC angezeigt. Zusätzlich leuchte ein über dem Haftraum angebrachtes Licht rot auf. „Seit einiger Zeit“ komme es bei der Sprechanlage zu Störungen. Bei einer Störung ertöne auf das „Knopfdrücken“ zwar ein akustisches Signal, jedoch erscheine keine Meldung, durch die ersichtlich wäre, in welchem Haftraum der Knopf gedrückt worden sei. Grundsätzlich sei dies noch durch das über dem Haftraum rot aufleuchtende Licht ausgleichbar. „Nur gelegentlich“ falle auch diese Funktion „bei einzelnen Hafträumen“ aus. An der Behebung der Störung werde bereits gearbeitet und es befinde sich eine neue Ruf- und Kommunikationsanlage im Aufbau. Der Anstaltsleitung sei das Störungsproblem bewusst. Dies gestalte sich jedoch als langwierig. Die sich im Aufbau befindende neue Ruf- und Kommunikationsanlage solle abschnittsweise in Betrieb genommen werden. Dies werde jedoch „noch eine längere Zeit“ in Anspruch nehmen. Um bei einem Notfall schnellstmöglich tätig werden zu können, sei die Vorgehensweise bei einem Ausfall der Anlage „organisatorisch-administrativ“ geregelt. Bei einem nur einzelne Hafträume betreffenden Ausfall würden die betroffenen Gefangenen, sofern dies möglich sei, verlegt. Seien mehrere Gänge oder zum Beispiel der gesamte Flügel betroffen, würden regelmäßige und häufige Kontrollgänge erfolgen, damit anderweitige Meldungen (etwa auffällige Geräusche aus den Hafträumen, Hilferufe oder Klopfen gegen die Haftraumtür) wahrgenommen werden könnten. Bei den betroffenen Hafträumen müssten die Kostklappen geöffnet bleiben, damit es den Bediensteten möglich sei, auffällige Geräusche schnellstmöglich wahrzunehmen und einem Haftraum zuzuordnen. Durch einen Blick durch die Kostklappe könne festgestellt werden, ob ein Notfall vorliege. Könne die Betätigung der Notrufanlage in der Zentrale keinem Haftraum zugeordnet werden, werde alles Erforderliche veranlasst, um die Meldung lokalisieren zu können. Es würden umgehend Bedienstete in sämtliche Stockwerke und Flügel geschickt, um zu prüfen, ob beziehungsweise wo ein Notfall vorliege. Könne die Betätigung der Anlage anderweitig nicht festgestellt werden, würden sämtliche Kostklappen geöffnet. Die Kontaktaufnahme mit den Bediensteten sei damit auch im Notfall geregelt, möglich und gewährleistet.
Mit Verfügung vom 28. September 2021 wies das Landgericht den Beschwerdeführer darauf hin, dass ein Rechtsschutzbedürfnis nicht erkennbar sei, weil die Justizvollzugsanstalt bereits an der Behebung der Störung arbeite. Zudem bestünden Bedenken gegen die Eilbedürftigkeit.
Der Beschwerdeführer erwiderte mit Schreiben vom 1. Oktober 2021, dass ein störungsfreies Funktionieren der Notrufanlage wichtig und dringlich sei. Die Störungen bestünden bereits seit spätestens Mitte Juni 2021. Die Justizvollzugsanstalt wisse nicht, wo die Störung konkret auftrete. Nachts sei viel zu wenig Personal zugegen, um einen Notruf schnell lokalisieren zu können, zumal von der Zentrale aus die roten Haftraumleuchten nur auf derselben Ebene einsehbar seien. Es gebe vier Flügel und jeder habe vier Ebenen, so dass die Absuche umfangreich sei. Die maßgeblichen Störungen der Notrufanlage müssten binnen kürzester Zeit behoben werden. Es sei nicht verständlich, weshalb die neue Anlage nur „abschnittsweise“ in Betrieb genommen werden solle. Er sei Bandscheibenpatient und auf schnelle Hilfe angewiesen. Nach der Schilderung der Justizvollzugsanstalt sei nicht klar, wie eine Störung festgestellt werden solle. Die behaupteten Kontrollgänge der Bediensteten seien in zeitlicher Hinsicht ungenügend. Es müsse festgestellt werden, wie häufig tatsächlich „patrouilliert“ werde. Jedoch gebe es nicht ausreichend Personal. Selbst bei regelmäßigen Kontrollgängen bedeute dies nicht, dass sich ein Gefangener aufgrund eines Notfalls im Haftraum bemerkbar machen könne, insbesondere wenn die körperliche Konstitution oder der gesundheitliche Zustand hierzu nicht mehr ausreichend sei. Durch die geöffnete Kostklappe könne nicht in das gesamte Haftrauminnere gesehen werden.
Mit Schreiben vom 20. Oktober 2021 berichtete der Beschwerdeführer, dass er am 19. Oktober 2021 erneut den Notruf in seinem Haftraum betätigt habe, dies aber zu keiner Kontrolle oder Reaktion geführt habe. Am 22. November 2021 teilte er mit, dass sein unmittelbarer „Zellennachbar“ während des Einschlusses verstorben sei. Es sei davon auszugehen, dass dieser aufgrund der immer noch defekten Notrufanlage keinen Notruf mehr habe absetzen können.
Der Beschwerdeführer erhob mit Schreiben vom 2. Dezember 2021 eine Verzögerungsrüge. Die Notrufanlage sei immer noch defekt und eine „Reparatur nicht in Sicht“. Eine Entscheidung im bereits vor über zwei Monaten eingeleiteten fachgerichtlichen Eilrechtsschutzverfahren sei „dringendst und eiligst vonnöten“.
Mit weiteren Schreiben vom 5. und 7. Januar 2022 teilte der Beschwerdeführer mit, dass auch sein neuer unmittelbarer „Zellennachbar“ wiederholt erfolglos die Notrufanlage betätigt habe. So habe dieser am 3. Januar 2022 durch lautes Klopfen, wozu er körperlich noch in der Lage gewesen sei, auf sich aufmerksam machen müssen, da auf seinen Notruf knapp 30 Minuten lang nicht reagiert worden sei. Am 5. Januar sei erst nach über 20 Minuten auf dessen Notruf eine Reaktion erfolgt.
Das Unterlassen des Landgerichts, den Antrag des Beschwerdeführers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung seiner Dringlichkeit als Eilantrag entsprechend zu behandeln, verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG.
Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet nicht nur das formelle Recht und die theoretische Möglichkeit, die Gerichte anzurufen, sondern gibt dem Rechtsschutzsuchenden Anspruch auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle. Wirksam ist nur ein Rechtsschutz, der innerhalb angemessener Zeit gewährt wird. Aus der verfassungsrechtlichen Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes ergeben sich auch Anforderungen an die Auslegung und Anwendung der jeweiligen gesetzlichen Bestimmungen über den Eilrechtsschutz. Dieser muss darauf ausgerichtet sein, dass der Rechtsschutz sich auch im Eilverfahren nicht in der bloßen Möglichkeit der Anrufung eines Gerichts erschöpft, sondern zu einer wirksamen Kontrolle in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht führt. Insbesondere der vorläufige Rechtsschutz im Eilverfahren hat so weit wie möglich der Schaffung vollendeter Tatsachen zuvorzukommen, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können, wenn sich eine Maßnahme bei endgültiger richterlicher Prüfung als rechtswidrig erweist. Wo die Dringlichkeit eines Eilantrages es erfordert, muss das angerufene Gericht, wenn es eine Stellungnahme der Gegenseite einholt, die für eine rechtzeitige Entscheidung erforderliche Zügigkeit der Kommunikation sicherstellen. Je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist, desto intensiver hat die tatsächliche und rechtliche Durchdringung der Sache bereits im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu erfolgen.
Diesen Anforderungen ist das Landgericht mit der bereits seit über sieben Monaten ausbleibenden Entscheidung im fachgerichtlichen Eilrechtsschutzverfahren nicht gerecht geworden. Zwar hat das Gericht die Justizvollzugsanstalt bereits am 24. September 2021 innerhalb eines Werktages nach Antragstellung zu einer Stellungnahme binnen eines Werktags aufgefordert und mit Verfügung vom 28. September 2021 einen gerichtlichen Hinweis erteilt. Dass daraufhin – auch nach Erhebung der Verzögerungsrüge am 2. Dezember 2021 und erneuter Rügen der Verzögerung am 28. und 31. März 2022 sowie am 12. April 2022 – keine Entscheidung über den bereits am 23. September 2021 gestellten Eilrechtsschutzantrag erfolgte, wird allerdings einer effektiven und den Anforderungen von Art. 19 Abs. 4 GG genügenden Ausgestaltung des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens nicht mehr gerecht. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass ein Notrufsystem auf den Hafträumen für Gefangene in Notfällen und Gefahrsituationen eine wichtige Möglichkeit der Kommunikation darstellt, so dass eine zügige Bearbeitung des Eilrechtsschutzantrages geboten gewesen wäre.