Der Europäische Gerichtshof hat am 14.01.2021 zum Aktenzeichen C-393/19 entschieden, dass eine nationale Regelung, nach der ein für die Begehung eines schweren Schmuggels verwendetes, aber im Eigentum eines gutgläubigen Dritten stehendes Tatwerkzeug eingezogen werden kann, gegen das Unionsrecht verstößt.
Aus der Pressemitteilung des EuGH Nr. 4/2021 vom 14.01.2021 ergibt sich:
Zudem müsse der Eigentümer des eingezogenen Vermögensgegenstands über einen wirksamen Rechtsbehelf gegen diese Maßnahme verfügen, so der EuGH.
OM war bei einer in der Türkei ansässigen Spedition als Fernfahrer im grenzüberschreitenden Güterverkehr zur Durchführung von Fahrten zwischen der Türkei und Deutschland beschäftigt. Am 11.06.2018 nahm er den an ihn herangetragenen Vorschlag an, in dem für seine Fahrten verwendeten Sattelschlepper fast 3 000 antike Geldmünzen illegal gegen Entgelt nach Deutschland mitzuführen. Nach Überschreiten der Grenze zwischen der Türkei und Bulgarien wurde OM einer Zollkontrolle unterzogen, bei der die in der Zugmaschine versteckten Geldmünzen entdeckt wurden. Im Lauf der Ermittlungen verlangte das türkische Unternehmen die Rückgewähr des Sattelschleppers und des Sattelanhängers, wobei es sich darauf berief, dass es in keinem Zusammenhang mit der Straftat stehe und die Rückgewähr der Gegenstände die Ermittlungen nicht beeinträchtige. Dieses Ersuchen wurde abgelehnt. Am 22.03.2019 wurde OM vom Okrazhen sad Haskovo (erstinstanzliches Gericht Haskovo) wegen schweren Zollschmuggels verurteilt. Nach dieser Verurteilung wurden die Geldmünzen und der Sattelschlepper zugunsten des bulgarischen Staates beschlagnahmt. Der Sattelanhänger, der in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der Begehung der Straftat stand, wurde dem türkischen Unternehmen zurückgewährt.
Der mit dem Rechtsmittel in diesem Rechtsstreit befasste Apelativen sad Plovdiv (Berufungsgericht Plovdiv) möchte vom EuGH wissen, ob die Art. 17 und 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) der auf die Rechtssache anwendbaren bulgarischen Regelung entgegenstehen, die die Einziehung von zur Begehung eines Schmuggels verwendeten Beförderungsmitteln vorsieht, auch wenn diese einem gutgläubigen Dritten gehören – im vorliegenden Fall dem Arbeitgeber des Fernfahrers, der die Straftat begangen hat –, und die diesem Dritten nicht ermöglicht, seinen Standpunkt darzulegen.
Der EuGH hat entschieden, dass sowohl eine nationale Regelung, nach der ein für die Begehung eines schweren Schmuggels verwendetes Tatwerkzeug eingezogen werden kann, auch wenn es im Eigentum eines gutgläubigen Dritten steht, als auch eine nationale Regelung, nach der im Rahmen eines Strafverfahrens ein Vermögensgegenstand, der einer anderen Person als derjenigen gehört, die die Straftat begangen hat, eingezogen werden kann, ohne dass die erstgenannte Person über einen wirksamen Rechtsbehelf verfügt, gegen das Unionsrecht verstoßen.
Nach Auffassung des EuGH unterliegt die Einziehung von Tatwerkzeugen, die zur Begehung einer mit einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr bedrohten Straftat verwendet wurden, dem Unionsrecht, im vorliegenden Fall dem Rahmenbeschluss 2005/212 (ABl. 2005, L 68, 49). Dieser gelte auch für die Einziehung von Vermögensgegenständen Dritter und verlange u.a., dass deren Rechte geschützt werden, wenn sie gutgläubig seien. In diesem Kontext sei, wie der EuGH betont, das durch Art. 17 der Charta garantierte Eigentumsrecht zu berücksichtigen. Dieses Recht könne Beschränkungen unterworfen werden, die tatsächlich dem Wohl der Allgemeinheit dienenden Zielen der Union entsprechen müssten und nicht einen unverhältnismäßigen und nicht tragbaren Eingriff darstellten, der das so gewährleistete Recht in seinem Wesensgehalt antasten würde.
Der EuGH weist darauf hin, dass das mit der bulgarischen Regelung verfolgte Ziel darin bestehe, die unerlaubte Einfuhr von Waren in das Land zu verhindern. Da die Einziehung jedoch einen gutgläubigen Dritten betreffe, der weder wusste noch wissen konnte, dass sein Vermögensgegenstand für die Begehung einer Straftat verwendet wurde, stelle eine solche Einziehung im Hinblick auf das verfolgte Ziel einen unverhältnismäßigen und untragbaren Eingriff dar, der das Eigentumsrecht des gutgläubigen Dritten in seinem Wesensgehalt antaste. Die Regelung wahre daher nicht das in Art. 17 der Charta garantierte Eigentumsrecht.
Was das Recht des Eigentümers beschlagnahmter Gegenstände betrifft, einen Rechtsbehelf einzulegen, sei darauf hinzuweisen, dass der Rahmenbeschluss 2005/212 eine Verpflichtung aller Mitgliedstaaten vorsehe, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass die Personen, die von der Einziehung der Tatwerkzeuge und Erträge aus Straftaten betroffen seien, über wirksame Rechtsbehelfe zur Wahrung ihrer Rechte verfügten. Darüber hinaus sehe Art. 47 der Charta vor, dass jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden seien, einen Anspruch darauf hat, bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen. Daraus folge, dass ein Dritter, zu dessen Vermögen ein Gegenstand gehöre, der Gegenstand einer Einziehungsmaßnahme sei, die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme anfechten können müsse, um diesen Vermögensgegenstand wiederzuerlangen, wenn die Einziehung nicht gerechtfertigt sei. Nach den Angaben des Apelativen sad – Plovdiv sei ein solches Recht auf einen Rechtsbehelf im bulgarischen Recht nicht vorgesehen. Daher verstoße diese Regelung gegen Unionsrecht.