Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 12.11.2020 zum Aktenzeichen BVerwG 2 C 6.19 entschieden, dass wenn der Dienstherr nach Maßgabe von § 96 Abs. 1 Satz 2 BBG rechtmäßig anordnet, dass sich der Beamte bei Geltendmachung einer seine Dienstfähigkeit ausschließenden Erkrankung bereits am ersten Tag beim Polizeiarzt (Amtsarzt) melden muss, damit dieser die Dienstunfähigkeit prüft und ggf. bestätigt, ist der Beamte von der Dienstleistungspflicht nur befreit, wenn er dieses Verfahren einhält. Andernfalls bleibt der Beamte dem Dienst bedingt vorsätzlich fern.
Der Beklagte – ein Polizeiobermeister – wendet sich gegen seine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis.
Der 1965 geborene Beklagte trat 1981 in den Polizeivollzugsdienst des klagenden Landes ein. Für den Zeitraum Januar 1993 bis Mai 2007 bewilligte der Kläger dem Beklagten mit einer Unterbrechung zwischen Oktober 1995 und Mai 1996 Erziehungsurlaub ohne Dienstbezüge. Den weiteren auf Verlängerung des Erziehungsurlaubs gerichteten Antrag des Beklagten lehnte der Kläger ab. Am 1. Juni 2007 nahm der Beklagte den Dienst wieder auf.
Für die Zeit ab dem 17. Juni 2007 legte der Beklagte fortlaufend privatärztliche Bescheinigungen über seine Arbeitsunfähigkeit vor. Gleichzeitig stellte er sich – zumeist auf Aufforderung des Klägers – zwischen dem 11. Juni 2007 und dem 16. August 2007 fünfmal dem Polizeiarzt vor. Dieser hielt den Beklagten jeweils für vollschichtig innendienstfähig. Unter dem 19. Juli 2007 forderte der Kläger den Beklagten auf, den Innendienst auf dem Verkehrskommissariat aufzunehmen, Dienstunfähigkeit ab dem ersten Krankheitstag nachzuweisen und sich zusätzlich ab dem ersten Tag des Fernbleibens bei der Polizeiärztin zu melden. Nachdem der Beklagte dem nicht nachkam und seinen Dienst nicht mehr antrat, hörte der Kläger den Beklagten am 23. August 2007 zur Einstellung der Dienstbezüge an und teilte ihm unter dem 27. August 2007 mit, dass er nach den Feststellungen des polizeiärztlichen Dienstes innendienstfähig sei und zur Vermeidung weiterer Nachteile den Dienst aufnehmen oder sich dem Polizeiarzt vorstellen solle. Mit Bescheid vom 24. September 2007 verfügte der Kläger sodann den Verlust der Bezüge des Beklagten wegen ungenehmigten schuldhaften Fernbleibens vom Dienst. Das dagegen vom Beklagten geführte Vorverfahren blieb ohne Erfolg; anschließend wies das Verwaltungsgericht die gegen den Verlustfeststellungsbescheid erhobene Klage mit rechtskräftig gewordenem Urteil vom 28. September 2010 als unbegründet ab.
Im August 2008 enthob der Kläger den Beklagten vorläufig des Dienstes. Im September 2015 hat der Kläger Disziplinarklage mit dem Ziel der Dienstentfernung erhoben. Dem Beklagten ist dabei u.a. zur Last gelegt worden, seit dem 17. August 2007 unerlaubt und unentschuldigt dem Dienst ferngeblieben zu sein.
Beim Beklagten liegt ein Fall des vorsätzlichen unerlaubten Fernbleibens vom Dienst vor. Die Verletzung der Dienstleistungspflicht durch das unentschuldigte oder schuldhafte Fernbleiben vom Dienstort ist dem Beamten fahrlässig oder vorsätzlich möglich. Ein Irrtum des Beamten über seine Pflicht zur Dienstleistung entlastet ihn nur, wenn dieser Irrtum unvermeidbar war.
Für den Senat bindend sind nach § 137 Abs. 2 VwGO die in dem angefochtenen Urteil des Berufungsgerichts getroffenen tatsächlichen Feststellungen, soweit sie entscheidungstragend sind. Im Hinblick auf das schuldhafte Fernbleiben vom Dienst im Sinn von § 9 BBesG betreffen solche Feststellungen nur Tatsachen über äußere (objektive) und innere (subjektive) Tatbestandsmerkmale, über die sich Beweis erheben lässt. Demgegenüber sind „rechtliche“ Feststellungen das Ergebnis eines Beurteilungsvorgangs (Subsumtion, rechtliche Würdigung), das als solches keine Tatsache darstellt. Auf tatsächlichen Feststellungen aufbauende Beurteilungen oder Würdigungen sind danach selbst keine Feststellungen mehr, die eine Bindungswirkung auslösen können.
So ist etwa die Frage, ob die Minderung der Schuldfähigkeit aufgrund einer krankhaften seelischen Störung eine „erhebliche“ ist, eine Rechtsfrage, die die Verwaltungsgerichte in eigener Verantwortung zu beantworten haben. Dies gilt ebenso für tatrichterliche Feststellungen zu Abstufungen der Grade von Fahrlässigkeit und Vorsatz in Urteilen mit Bindungswirkung i.S.v. § 57 Abs. 1 BDG, § 56 Abs. 1 LDG NRW.
Fahrlässig handelt ein Beamter in Bezug auf seine Anwesenheitspflicht im Dienst, wenn er darauf vertraut dienstunfähig zu sein, bei zumutbarer Selbsteinschätzung seines gesundheitlichen Zustands aber hätte erkennen müssen, zur – wenn auch eingeschränkten – Dienstausübung in der Lage zu sein. Ein Beamter, der ungenehmigt keinen Dienst leistet, handelt hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals „Dienstfähigkeit“ dagegen bedingt vorsätzlich, wenn er ernsthaft für möglich hält, dienstfähig zu sein, und im Hinblick darauf billigend in Kauf nimmt, die Dienstleistungspflicht zu verletzen. Dies ist nicht nur dann der Fall, wenn der Beamte mit dem von ihm für möglich gehaltenen Erfolg ausdrücklich oder konkludent einverstanden ist, sondern auch dann, wenn er sich mit einem an sich unerwünschten, aber notwendigerweise eintretenden Erfolg um seines erstrebten Zieles willen abfindet.
An diesem Maßstab orientiert, hat der Beklagte bei seinem unerlaubten Fernbleiben vom Dienst in der Zeit vom 17. August 2007 bis zum 10. Juli 2008 nicht nur – wie vom Berufungsgericht angenommen – grob fahrlässig, sondern bedingt vorsätzlich gehandelt.