Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 15. Februar 2023 zum Aktenzeichen 2 BvR 2009/22 entschieden, dass die Überstellung des Beschwerdeführers zur Strafverfolgung nach Belgien verfassungswidrig ist.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Überstellung des Beschwerdeführers, eines irakischen Staatsangehörigen, zur Strafverfolgung nach Belgien.
Gegen den Beschwerdeführer besteht ein Europäischer Haftbefehl des Gerichts Erster Instanz Westflandern, Abteilung Brügge, vom 27. Juni 2022 zur Strafverfolgung. In dem Europäischen Haftbefehl ist in der deutschen Übersetzung unter „Angabe zur Dauer der Strafe“ aufgeführt: „Menschenschmuggel: Freiheitsstrafe von 10 bis 15 Jahren“ und „Kriminelle Vereinigung: Freiheitsstrafe von 15 bis 20 Jahren“. Weiter ist angegeben: [sic] „…, haben die Ermittlungen ergeben, dass diese Straftaten, bei denen zunächst nur zwei Personen festgenommen wurden, im Rahmen einer kriminellen Vereinigung begangen wurden“. Als Listenstraftaten sind sodann „Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung“ und „Menschenhandel“ angekreuzt. In den Zusatzinformationen zu Artikel 26 Ratsbeschluss SIS II – A-Formular – zum Europäischen Haftbefehl ist ebenfalls angegeben, dass dem Beschwerdeführer die „Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung“ sowie „Menschenhandel“ vorgeworfen werde. Als erläuternde Erklärung ist dort unter „Rechtliche Beurteilung der Tatsachen“ aufgeführt: „People smuggling in the context of a criminal organisation“. Bei „Art der Täterschaft oder Teilnahme“ ist „Täter (0001)“ eingetragen. Im Europäischen Haftbefehl ist unter der „Beschreibung der Umstände, unter denen die Straftat(en) begangen wurde(n)“ angegeben:
„Dieser Haftbefehl bezieht sich auf insgesamt 2 Straftaten.
Am 21. Dezember 2021 wurde in De Panne ein verdächtiges Fahrzeug vom Typ Opel Signum mit deutschem Kennzeichen gesichtet. Bei der Überprüfung des Fahrzeugs wurden Schwimmwesten, ein Kanister, eine Pumpe, ein Motor und ein Schlauchboot gefunden. Die Fakten deuten eindeutig auf die Lieferung eines Schlauchbootes an Menschenschmuggler hin. Die beiden anwesenden Verdächtigen leugneten die Tat und gaben an, dass sie die Waren zu touristischen Zwecken zum Bruder eines Freundes bringen wollten. Sie erklärten, sie hätten nicht gewusst, dass diese Waren für den Menschenschmuggel bestimmt waren.
Die zurückgelegte Strecke und die mitgeführten Waren deuten eindeutig darauf hin, dass die beiden Verdächtigen mit hochriskanten Menschenschmuggelstraftaten in Verbindung gebracht werden können, insbesondere mit der Überführung von Migranten in kleinen Schlauchbooten in das Vereinigte Königreich, möglicherweise von Frankreich aus.
Weitere Ermittlungen ergaben, dass der Verdächtige X1 nicht nur mit dem Verdächtigen X2, sondern auch mit anderen Personen schmuggelbezogene Nachrichten ausgetauscht hatte. Der Verdächtige X2 hatte nur mit dem Verdächtigen X1 schmuggelbezogene Nachrichten ausgetauscht.
Der zweite Verdächtige X1 hatte Kontakte zu dem jetzigen Beteiligten X3, was darauf hindeutet, dass der Beteiligte der Auftraggeber war und dass das Material von ihm stammte. Die Lieferung sollte an eine andere Kontaktperson erfolgen, bei der es sich um den Bruder von X3 handelt. Der zweite Verdächtige hatte Kontakt zum Beteiligten X4 [Beschwerdeführer] angesichts der weiteren Ausführung der Aufträge.“
Unter „Art und rechtliche Würdigung der Straftat(en) und anwendbare gesetzliche Bestimmungen“ heißt es:
[sic] „sich entgegen den Artikeln 1, 77 bis und 77 quater 2° und 4° des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 über die Einreise in das Hoheitsgebiet, den Aufenthalt, die Niederlassung und die Abschiebung von Ausländern der Schleusung schuldig gemacht zu haben, indem er in irgendeiner Weise, sei es unmittelbar oder über einen Mittelsmann, zur unmittelbaren oder mittelbaren Erlangung eines finanziellen Vorteils dazu beigetragen hat, dass eine Person, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats der Europäischen Union besitzt, in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats der Europäischen Union oder eines Staates, der Vertragspartei eines internationalen Abkommens über das Überschreiten der Außengrenzen ist, das Belgien verpflichtet, unter Verstoß gegen die Rechtsvorschriften dieses Staates einreist, durch dieses Gebiet reist oder sich dort aufhält, wobei die schutzbedürftige Lage dieser Person im Sinne von Artikel 77 quater 2° missbraucht wurde, wobei das Leben des Opfers vorsätzlich oder grob fahrlässig gefährdet wurde, in De Panne und in Zusammenhang damit anderswo im Königreich sowie in Frankreich und Deutschland (Art. 10ter und 12 V.T. der Strafprozessordnung), am 20. und 21. Dezember 2021 (Verstoß gegen Art. 1, 77 bis und 77 quater 2° und 4° des Gesetzes vom 15. Dezember 1980, Art. 66 des Strafgesetzbuches).“
Auf der Grundlage des Europäischen Haftbefehls wurde der Beschwerdeführer am 16. August 2022 festgenommen. Bei seiner Anhörung vor dem Ermittlungsrichter am 17. August 2022 rügte er, dass bei dem im Europäischen Haftbefehl vorgetragenen Sachverhalt seine „Beteiligung aus den Unterlagen nicht zu erkennen“ sei. Er erklärte sich mit einer Auslieferung nicht einverstanden und verzichtete nicht auf die Einhaltung des Grundsatzes der Spezialität.
Mit Beschluss vom 30. August 2022 ordnete das Oberlandesgericht Auslieferungshaft an. Zur Begründung führte das Gericht aus, dass dem Beschwerdeführer zur Last gelegt werde, in De Panne und anderenorts jedenfalls im Dezember des Jahres 2021 als Mitglied einer kriminellen Vereinigung zur Erlangung eines finanziellen Vorteils Migranten, die nicht Angehörige eines Mitgliedstaats der Europäischen Union sind, illegal in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats der Europäischen Union geschleust und dabei deren Leben vorsätzlich oder grob fahrlässig gefährdet zu haben. In diesem Rahmen seien am 21. Dezember 2021 ein Schlauchboot mit Rettungswesten, ein Benzinkanister, eine Pumpe und ein Motor zum Zwecke der Einschleusung transportiert worden. Der Europäische Haftbefehl genüge den formellen Voraussetzungen. Dies gelte insbesondere hinsichtlich der Darstellung der Umstände, einschließlich Ort und Zeit, unter denen der Beschwerdeführer die ihm zur Last gelegten Taten, Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung sowie Menschenhandel, begangen haben solle. Es handele sich dabei um sogenannte Listendelikte im Sinne von § 81 Nr. 4 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG). Vor diesem Hintergrund müsse die Konkretisierung des Tatvorwurfs im Auslieferungsersuchen lediglich einen zureichenden Rückschluss auf das dem Beschwerdeführer vorgeworfene Geschehen ermöglichen (unter Bezugnahme auf Zimmermann, in: Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 6. Aufl. 2020, § 81 IRG Rn. 22). Dies sei aufgrund der Angaben, die dem Europäischen Haftbefehl und dem A-Formular zu entnehmen sind, der Fall.
Mit Schriftsatz vom 25. September 2022 trug der Prozessbevollmächtigte des Beschwerdeführers vor, dass der Europäische Haftbefehl keine konkrete Beschreibung der Umstände enthalte, unter welchen die dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Straftaten begangen worden sein sollten, insbesondere keine Beschreibung seiner Tatbeteiligung. Die Schilderung sei derart allgemein gehalten, dass sie keinen zureichenden Rückschluss auf die dem Beschwerdeführer vorgeworfene Tathandlung ermögliche.
Mit angegriffenem Beschluss vom 28. Oktober 2022 erklärte das Oberlandesgericht die Auslieferung für zulässig und ordnete die Fortdauer der Auslieferungshaft an. Zur Begründung wiederholte das Gericht die Gründe aus dem Beschluss vom 30. August 2022 und führte weiter aus, dass die Straftaten, hinsichtlich derer die Auslieferung zur Strafverfolgung erfolgen solle, auslieferungsfähig seien. Es handele sich um Listendelikte, die nach dem Recht des ersuchenden Staats mit einer freiheitsentziehenden Sanktion im Höchstmaß von mindestens drei Jahren bedroht seien (§ 81 Nr. 4 IRG). Abgesehen davon seien die Taten auch nach deutschem Recht strafbar (§ 129 StGB, § 96, § 97 Abs. 2 AufenthG) und nach belgischem Recht mit einer Freiheitsstrafe von mindestens zwölf Monaten bedroht. Sonstige Umstände, die einer Auslieferung entgegenstehen könnten, seien nicht ersichtlich. Die Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf vom 19. August 2022, keine Bewilligungshindernisse geltend zu machen, weise keine Rechtsfehler auf.
Die Voraussetzungen, unter denen die Auslieferungshaft angeordnet und vollzogen werden könne, lägen weiterhin vor. Der Einwand des Beschwerdeführers, dass der Europäische Haftbefehl von vornherein keine konkrete Beschreibung der Umstände enthalte, unter welchen die Straftaten begangen worden sein sollen, und es insbesondere an der Beschreibung seiner Tatbeteiligung fehle, greife nicht durch und könne eine Aufhebung des Haftbefehls nicht rechtfertigen. Unter Beachtung des Umstands, dass es sich bei den in Rede stehenden Taten um Listendelikte im Sinne des § 81 Nr. 4 IRG handele, lasse sich dem Europäischen Haftbefehl ein zureichender Rückschluss auf das dem Beschwerdeführer vorgeworfene Geschehen entnehmen. Die Sachverhaltsdarstellung müsse vor diesem Hintergrund nicht dieselbe Detailliertheit wie ein inländischer Haftbefehl aufweisen. Es müsse lediglich eine Schlüssigkeitsprüfung dahingehend vorgenommen werden, ob die Beschreibung der Taten als Katalogtaten aufgrund der Sachverhaltsdarstellung nachvollziehbar sei, mithin die Konkretisierung des Tatvorwurfs des Listendelikts nach belgischem Recht ermöglicht werde. Sei dies, wie vorliegend, der Fall, seien grundsätzlich keine weiteren Anforderungen zu stellen (unter Bezugnahme auf Zimmermann, in: Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 6. Aufl. 2020, § 81 IRG Rn. 22 f.).
Das Verfahren der Überstellung im Anwendungsbereich des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl (RbEuHb) ist vollständig unionsrechtlich determiniert (vgl. BVerfGE 156, 182 <197 Rn. 35 m.w.N.> – Rumänien II). Das gilt auch für fakultative Bewilligungshindernisse, die in Art. 4 RbEuHb abschließend geregelt sind. Bei der Anwendung unionsrechtlich vollständig vereinheitlichter Regelungen sind grundsätzlich nicht die deutschen Grundrechte, sondern die Unionsgrundrechte maßgeblich (vgl. BVerfGE 152, 216 <233 ff. Rn. 42 ff.> – Recht auf Vergessen II; 156, 182 <197 Rn. 36>). Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist die Kontrolle der Entscheidung eines Fachgerichts daraufhin, ob es bei der ihm obliegenden Anwendung des Unionsrechts den hierbei zu beachtenden Anforderungen der Grundrechtecharta der Europäischen Union Genüge getan hat (vgl. BVerfGE 152, 216 <236 Rn. 50 und 237 Rn. 52>; 156, 182 <197 Rn. 36>).
Das Bundesverfassungsgericht gewährleistet den Grundrechtsschutz in enger Kooperation mit dem Gerichtshof der Europäischen Union (vgl. BVerfGE 152, 216 <243 f. Rn. 68>), dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und den Verfassungs- und Höchstgerichten der anderen Mitgliedstaaten (vgl. BVerfGE 156, 182 <198 Rn. 38>). Die Überprüfung fachgerichtlicher Entscheidungen am Maßstab der in der Charta gewährleisteten Grundrechte durch das Bundesverfassungsgericht kommt insbesondere dann in Betracht, wenn der Gerichtshof der Europäischen Union deren Auslegung bereits geklärt hat oder die anzuwendenden Auslegungsgrundsätze aus sich heraus offenkundig sind – etwa auf der Grundlage der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die im Einzelfall auch den Inhalt der Charta bestimmt (vgl. Art. 52 Abs. 3 GRCh), oder unter Heranziehung der Rechtsprechung mitgliedstaatlicher Verfassungs- und Höchstgerichte zu Grundrechten, die sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen ergeben und den in der Charta gewährleisteten Grundrechten entsprechen (vgl. Art. 52 Abs. 4 GRCh). Andernfalls müssen Fragen zur Auslegung der Rechte der Charta dem Gerichtshof gemäß Art. 267 Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) vorgelegt werden (vgl. BVerfGE 152, 216 <244 Rn. 70>; 156, 182 <199 Rn. 39>).
Im europäischen Rechtshilfeverkehr gelten die Grundsätze des gegenseitigen Vertrauens und – darauf beruhend – der gegenseitigen Anerkennung. Bei einem Überstellungsersuchen ist jedem ersuchenden Mitgliedstaat deshalb im Hinblick auf die Einhaltung des Unionsrechts (vgl. EuGH, Urteil vom 25. Juli 2018, Minister for Justice and Equality <Mängel des Justizsystems>, C-216/18 PPU, ECLI:EU:C:2018:586, Rn. 36; Urteil vom 15. Oktober 2019, Dorobantu, C-128/18, ECLI:EU:C:2019:857, Rn. 46) sowie auf die Einhaltung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und des Menschenrechtsschutzes (vgl. BVerfGE 109, 13 <35 f.>; 109, 38 <61>; 140, 317 <349 Rn. 68>) grundsätzlich Vertrauen entgegenzubringen.
Nach Art. 47 Abs. 1 GRCh hat jede Person, deren durch das Unionsrecht garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, das Recht, bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen. Um die Wahrung dieses Grundrechts in der Union zu gewährleisten, verpflichtet Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) die Mitgliedstaaten, die erforderlichen Rechtsbehelfe zu schaffen, damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist (vgl. EuGH, Urteil vom 8. Mai 2019, Martin Leitner gegen Landespolizeidirektion Tirol, C-396/17, ECLI:EU:C:2019:375, Rn. 59 f.).
Dieses Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf wird bezogen auf das europäische Überstellungsverfahren im Rahmenbeschluss zum Europäischen Haftbefehl bekräftigt, indem der gesuchten Person nach Art. 11 Abs. 2 RbEuHb für das Verfahren ein Anspruch auf einen Rechtsbeistand zugestanden wird und gemäß Art. 15 Abs. 1 RbEuHb die den Europäischen Haftbefehl vollstreckende Justizbehörde nach Vernehmung der gesuchten Person über die Überstellung nach Maßgabe des Rahmenbeschlusses zu entscheiden hat. Sind die übermittelten Informationen für diese Zulässigkeitsentscheidung nicht ausreichend, hat die vollstreckende Justizbehörde nach Art. 15 Abs. 2 RbEuHb die notwendigen zusätzlichen Informationen anzufordern.
Die Grundsätze der gegenseitigen Anerkennung und des gegenseitigen Vertrauens, die auch dem System des Europäischen Haftbefehls zugrunde liegen, beruhen auf der Prämisse, dass der betreffende Europäische Haftbefehl im Einklang mit den Mindesterfordernissen ausgestellt wurde, von denen seine Gültigkeit abhängt (vgl. EuGH, Urteil vom 1. Juni 2016, Bob Dogi, C-241/15, ECLI:EU:C:2016:385, Rn. 53). Wird der gesuchten Person eine in Art. 2 Abs. 2 RbEuHb abschließend aufgelistete Straftat vorgeworfen, entfällt bei der Zulässigkeitsentscheidung der vollstreckenden Justizbehörde die Überprüfung des Vorliegens der beiderseitigen Strafbarkeit.
Die zur Verfügung zu stellenden Angaben, die als formale Mindestangaben notwendig sind, damit die vollstreckenden Justizbehörden dem Europäischen Haftbefehl durch den Erlass ihrer Übergabeentscheidung als Eilmaßnahme rasch Folge leisten können, sind in Art. 8 RbEuHb geregelt (vgl. EuGH, Urteil vom 23. Januar 2018, Piotrowski, C-367/16, EU:C:2018:27, Rn. 59; Urteil vom 3. März 2020, X, C-717/18, ECLI:EU:C:2020:142, Rn. 28). Nach Art. 8 Abs. 1 Buchstabe d und Buchstabe e RbEuHb muss der Europäische Haftbefehl deshalb unter anderem mindestens die Art und rechtliche Würdigung der Straftat sowie die Beschreibung der Umstände, unter denen die Straftat begangen wurde, einschließlich der Tatzeit, des Tatorts und der Art der Tatbeteiligung der gesuchten Person enthalten.
Bei der Auslegung von Art. 8 RbEuHb ist das A-Formular, welches im Anhang des Rahmenbeschlusses beigefügt ist, zu berücksichtigen (vgl. EuGH, Urteil vom 1. Juni 2016, Bob Dogi, C-241/15, ECLI:EU:C:2016:385, Rn. 44; Urteil vom 3. März 2020, X, C-717/18, ECLI:EU:C:2020:142, Rn. 29). Das A-Formular sieht ferner in der Rubrik e („Straftat[en]“) die Übermittlung von Informationen über die Straftaten vor, auf die sich der Europäische Haftbefehl „bezieht“; dazu gehört insbesondere eine „Beschreibung der Umstände, unter denen die Straftat(en) begangen wurde(n), einschließlich Tatzeit (Datum und Uhrzeit), Tatort und Art der Beteiligung der gesuchten Person an der(n) Straftat(en)“ (vgl. EuGH, Urteil vom 3. März 2020, X, C-717/18, ECLI:EU:C:2020:142, Rn. 8).
Die Bundesrepublik Deutschland hat diese Bestimmungen des Rahmenbeschlusses einfach-rechtlich im Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen umgesetzt. Nach § 32 IRG hat das zuständige Oberlandesgericht über die Zulässigkeit einer Auslieferung zu entscheiden. Reichen die Auslieferungsunterlagen zur Beurteilung der Zulässigkeit der Auslieferung nicht aus, so entscheidet das Gericht erst, wenn dem ersuchenden Staat Gelegenheit gegeben worden ist, ergänzende Unterlagen vorzulegen (§ 30 Abs. 1 IRG). Für Überstellungen im Anwendungsbereich des Europäischen Haftbefehls bestimmt § 83a Abs. 1 Nr. 4 und Nr. 5 IRG, dass eine Auslieferung nur zulässig ist, wenn der Europäische Haftbefehl mindestens auch Angaben zur Art und rechtlichen Würdigung der Straftat, einschließlich der gesetzlichen Bestimmungen, enthält sowie zur Beschreibung der Umstände, unter denen die Straftat begangen wurde, einschließlich der Tatzeit, des Tatorts und der Tatbeteiligung der gesuchten Person. Bei in Art. 2 Abs. 2 RbEuHb genannten Straftaten ist nach § 81 Nr. 4 IRG die beidseitige Strafbarkeit nicht zu prüfen. Die ursprüngliche Fassung des § 83a IRG war nicht als zwingendes Recht, sondern lediglich als Soll-Bestimmung ausgestaltet. Mit Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2005 wurde unter anderem auch § 83a IRG a.F. für nichtig erklärt, da zur gebotenen Effektivität des Rechtsschutzes auch gehöre, dass die Auslieferungsunterlagen oder ein ihnen gleichstehender Europäischer Haftbefehl eine den betroffenen Grundrechten angemessene gerichtliche Überprüfung erlaubten (vgl. BVerfGE 113, 273 <315>). Damit sei es unvereinbar, wenn das vollständige Vorliegen der für den Europäischen Haftbefehl bestimmten Mindestangaben nicht zu einer zwingenden Voraussetzung der Zulässigkeitsentscheidung gemacht werde (vgl. BVerfGE 113, 273 <315>).
Ohne eine hinreichend konkrete Angabe der Art und rechtlichen Würdigung der der gesuchten Person vorgeworfenen Straftat sowie die Beschreibung der dieser Straftat zugrundeliegenden tatsächlichen Umstände kann auch die Wahrung des Grundsatzes der Spezialität nicht effektiv überprüft werden. Dieser im Auslieferungsrecht geltende Grundsatz gehört zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts im Sinne des Art. 25 GG (vgl. BVerfGE 57, 9 <27 f.>), der im europäischen Rechtshilfeverkehr in Art. 27 Abs. 2 RbEuHb und einfach-rechtlich in der Bundesrepublik Deutschland in § 11 IRG geregelt wurde. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union verleiht dieser Grundsatz der gesuchten Person das Recht, nur wegen der Handlung, die der Übergabe zugrunde liegt, verfolgt, verurteilt oder einer freiheitsentziehenden Maßnahme unterworfen zu werden (vgl. EuGH, Urteil vom 1. Dezember 2008, Strafverfahren gegen Artur Leymann und Aleksei Pustovarov, C-388/08 PPU, EU:C:2008:669, Rn. 43 f.; Urteil vom 24. September 2020, Strafverfahren gegen XC, C-195/20 PPU, ECLI:EU:C:2020:749, Rn. 39). Im Rahmen der Zulässigkeitsentscheidung ist das mit einem Überstellungsersuchen befasste Gericht deshalb verpflichtet, auch unter diesem Aspekt zu prüfen, welche strafbare Handlung der Übergabe zugrunde liegt. Da es beim Europäischen Haftbefehl um die Übergabe der betreffenden Person an den Ausstellungsmitgliedstaat eines solchen Haftbefehls wegen der darin genannten spezifischen Straftat(en) unter zwangsweiser Verbringung in das Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats geht, ist der Grundsatz der Spezialität untrennbar mit der Vollstreckung eines bestimmten Europäischen Haftbefehls verbunden, dessen Tragweite klar festgelegt ist (vgl. EuGH, Urteil vom 24. September 2020, Strafverfahren gegen XC, C-195/20 PPU, ECLI:EU:C:2020:749, Rn. 40). Folglich setzt der Grundsatz der Spezialität eine hinreichend präzise Bezeichnung der Tat voraus, weil er andernfalls ins Leere greift (vgl. BVerfGK 16, 283 <291>). Möchte der Ausstellungsmitgliedstaat die übergebene Person wegen einer anderen Handlung verfolgen als derjenigen, die der Übergabe zugrunde liegt, so verlangt der Grundsatz der Spezialität, dass der Ausstellungsmitgliedstaat die Zustimmung des Vollstreckungsmitgliedstaats einholt (vgl. EuGH, Urteil vom 24. September 2020, Strafverfahren gegen XC, C-195/20 PPU, ECLI:EU:C:2020:749, Rn. 40).
Nach diesen Maßstäben hält der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 28. Oktober 2022 einer grundrechtlichen Prüfung nicht stand. Durch die unzureichende Überprüfung der Einhaltung der zwingenden Mindestangaben im Europäischen Haftbefehl hinsichtlich der vorgeworfenen Straftaten, der Beschreibung der diesen Straftaten zugrundeliegenden Umstände und insbesondere der Beteiligung des Beschwerdeführers hat das Oberlandesgericht dessen Recht auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 47 Abs. 1 GRCh verletzt.
Das Oberlandesgericht hat sich bereits nicht damit auseinandergesetzt, dass dem Europäischen Haftbefehl nicht klar entnommen werden kann, welche konkrete(n) Straftat(en) dem Beschwerdeführer nach belgischem Recht von den belgischen Behörden vorgeworfen wird beziehungsweise werden. So wird einerseits unter „Angabe zur Dauer der Strafe“ „Menschenschmuggel“ und „Kriminelle Vereinigung“ mit den entsprechenden Freiheitsstrafen genannt. Bei den Listendelikten ist andererseits neben „Kriminelle Vereinigung“ auch „Menschenhandel“ angekreuzt. Unter „Art und rechtliche Würdigung der Straftat(en)“ werden als gesetzliche Straftatbestimmung hingegen allein Art. 77 des belgischen Gesetzes vom 15. Dezember 1980 – diese Straftatbestimmung stellt Schleusung unter Strafe – und die Regelung zur Mittäterschaft in Art. 66 des belgischen Strafgesetzbuches angegeben. Die belgischen Strafnormen für die Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung sowie für Menschenhandel werden dagegen im Abschnitt „Art und rechtliche Würdigung der Straftaten“ weder aufgeführt noch ansatzweise rechtlich gewürdigt. Dabei hat das Oberlandesgericht auch übersehen, dass Menschenschmuggel beziehungsweise Schleusung – auch wenn diese durch eine organisierte Bande begangen worden sein sollten – als solche nicht von der Auflistung der Listenstraftaten in Art. 2 Abs. 2 RbEuHb umfasst sind.
Weiter hat sich das Oberlandesgericht nicht damit befasst, dass sich entgegen den zwingenden Mindestvorgaben in Art. 8 Abs. 1 Buchstabe e RbEuHb beziehungsweise § 83a Abs. 1 Nr. 5 IRG der Beschreibung der Umstände, unter denen die Straftaten begangen worden sein sollen, keine konkrete Tathandlung des Beschwerdeführers entnehmen lässt.
Die Überprüfung im Rahmen der Zulässigkeitsentscheidung, ob der Europäische Haftbefehl die nach Art. 8 Abs. 1 Buchstabe e RbEuHb beziehungsweise § 83a Abs. 1 Nr. 5 IRG notwendigen Angaben zu den Umständen, unter denen die Straftat begangen worden sein soll, enthält, erfordert zwar keine Tatprüfung durch das mit einem Überstellungsersuchen befasste Gericht. So unterbleibt im Auslieferungsverfahren grundsätzlich eine Tatverdachtsprüfung, es sei denn, besondere Umstände des Falles geben Anlass zur Prüfung, ob der Verfolgte der ihm zur Last gelegten Taten hinreichend verdächtig ist (vgl. zu § 10 Abs. 2 IRG BVerfGK 2, 82 <85>). Danach ist eine Tatverdachtsprüfung nur zulässig und geboten, wenn beispielsweise im Auslieferungsersuchen Manipulationen des Tatvorwurfs erkennbar sind oder aufgrund besonderer Umstände die Täterschaft des Verfolgten unmöglich oder in höchstem Maße zweifelhaft ist (vgl. statt vieler Hackner, in: Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 6. Auflage 2020, § 10 IRG Rn. 36 ff. m.w.N.). Für die Definition der Straftaten und die für sie angedrohten Strafen bleibt vielmehr weiterhin das Recht des Ausstellungsmitgliedstaats maßgeblich, der die Grundrechte und die allgemeinen Rechtsgrundsätze, wie sie in Art. 6 EUV niedergelegt sind, und damit den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen zu achten hat (vgl. EuGH, Urteil vom 3. Mai 2007, Advocaten voor de Wereld VZW, C-303/05, ECLI:EU:C:2007:261, Rn. 53; Urteil vom 3. März 2020, X, C-717/18, ECLI:EU:C:2020:142, Rn. 18).
Dies kann das Gericht nach den oben genannten Maßstäben aber nicht von der Verpflichtung entbinden, im Rahmen der Zulässigkeitsentscheidung die Einhaltung der zwingenden Mindestangaben im Europäischen Haftbefehl zu überprüfen. Bei der Entscheidung über die Übergabe der betreffenden Person prüft die Justizbehörde des Vollstreckungsmitgliedstaats, gestützt auf Art. 2 RbEuHb, vielmehr die mit dem Europäischen Haftbefehl vorgelegte Beschreibung der Straftat (vgl. EuGH, Urteil vom 1. Dezember 2008, Strafverfahren gegen Artur Leymann und Aleksei Pustovarov, C-388/08 PPU, EU:C:2008:669, Rn. 52). Diese Beschreibung muss dem A-Formular entsprechend die in Art. 8 RbEuHb genannten Informationen enthalten, insbesondere die Art und rechtliche Würdigung der Straftat, die Beschreibung der Umstände, unter denen die Straftat begangen wurde, einschließlich der Tatzeit, des Tatorts und der Art der Tatbeteiligung der gesuchten Person, sowie den für die Tat vorgesehenen Strafrahmen (vgl. EuGH, Urteil vom 1. Dezember 2008, Strafverfahren gegen Artur Leymann und Aleksei Pustovarov, C-388/08 PPU, ECLI:EU:C:2008:669, Rn. 52).
Dieser Verpflichtung ist das Oberlandesgericht in Bezug auf die nach Art. 8 Abs. 1 Buchstabe e RbEuHb beziehungsweise § 83a Abs. 1 Nr. 5 IRG zwingenden Angaben nicht nachgekommen. Denn der Beschreibung der Umstände im Europäischen Haftbefehl, unter denen die Straftaten begangen worden sein sollen, lässt sich keine konkrete Tathandlung des Beschwerdeführers entnehmen. So ist in dem A-Formular unter „Art der Täterschaft oder Teilnahme“ das Wort „Täter“ eingetragen. Hingegen wird der Beschwerdeführer bei der „Beschreibung der Umstände“ im Europäischen Haftbefehl im Unterschied zu den beiden als „Verdächtigen“ bezeichneten Personen ausdrücklich als „Beteiligter“ bezeichnet. Zu welchem Zeitpunkt und in welcher Weise der „zweite Verdächtige Kontakt“ zum Beschwerdeführer gehabt haben soll, über welche „weitere Ausführung“ welcher „Aufträge“ in welchem zeitlichen Rahmen gesprochen worden sein soll beziehungsweise welche konkrete Handlung ihm als „Täter“ beziehungsweise als „Beteiligter“ im Rahmen dieses „Kontakts“ vorgeworfen wird, lässt sich der Beschreibung der Umstände nicht ansatzweise entnehmen.
Dabei kann dahinstehen, ob die vom Oberlandesgericht unter Bezugnahme auf Kommentarliteratur angenommene – nicht im Wortlaut des Art. 8 Abs. 1 Buchstabe e RbEuHb und § 83a Abs. 1 Nr. 5 IRG vorgesehene – Absenkung der Anforderungen betreffend die Beschreibung der Umstände, unter denen die Straftat begangen worden sei soll, bei Organisations- und Seriendelikten mit dem vom Gericht des vollstreckenden Mitgliedstaats bei der Zulässigkeitsentscheidung nach Art. 47 Abs. 1 GRCh zu gewährenden effektiven Rechtsschutz noch vereinbar ist.
Denn das Oberlandesgericht hat im angegriffenen Beschluss bereits nicht berücksichtigt, dass auch nach diesem für Organisations- und Seriendelikte abgesenkten Prüfungsumfang selbst in der vom Gericht in Bezug genommenen Kommentarliteratur und der dort zitierten fachgerichtlichen Rechtsprechung verlangt wird, dass eine Schilderung der Strukturen der Organisation und der Einbindung des Verfolgten sowie der Art der serienmäßig begangenen Straftaten zu erfolgen hat. Die Auslieferungsunterlagen müssten dabei so konkretisiert sein, dass sie überhaupt einen zureichenden Rückschluss auf das dem Verfolgten vorgeworfene Geschehen ermöglichten, sodass dieses von anderen Tatvorwürfen abgrenzbar sei und sich der Verfolgte dagegen verteidigen könne (vgl. Zimmermann, in: Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 6. Aufl. 2020, § 81 Rn. 23 m.w.N.; ebenso Meyer, in: Ambos/König/Rackow, Rechtshilferecht in Strafsachen, 2. Aufl. 2020, § 83a IRG Rn. 948 m.w.N.). Die Umschreibung der Tatumstände im hier zugrundeliegenden Europäischen Haftbefehl wird auch diesen abgesenkten Anforderungen hinsichtlich einer dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Tathandlung wie dargestellt nicht gerecht.