Thüringer Corona-Verordnung: Verbot zum Ausschank und Konsum von Alkohol im öffentlichen Raum verfassungswidrig

21. Dezember 2021 -

Der Thüringer Verfassungsgericht in Weimar hat am 14.12.2021 zum Aktenzeichen VerfGH 117/20 über die Vereinbarkeit verschiedener Regelungen der Thüringer Corona-Verordnung vom 14.12.2020 entschieden.

Aus der Pressemitteilung des Thür. VerfGH Nr. 6/2021 vom 20.12.2021 ergibt sich:

Im Ergebnis erklärte er das Verbot zum Ausschank und Konsum von Alkohol im öffentlichen Raum für verfassungswidrig. Außerdem entschied er, dass das nächtliche Ausgangsverbot weitestgehend mit der Verfassung im Einklang stand und nur insoweit verfassungswidrig war, als es das Verlassen der Wohnung zum Zweck der durch eine Person im Freien allein ausgeübten körperlichen Bewegung untersagte. Im Übrigen hielt der Verfassungsgerichtshof die damaligen Regelungen für verfassungsgemäß.

Der Beschluss bescheidet einen Antrag der Fraktion der AfD im Thüringer Landtag vom 22. Dezember 2020. Den korrespondierenden Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hatte der Verfassungsgerichtshof bereits am 28. Dezember 2020 auf der Grundlage einer summarischen Prüfung zurückgewiesen.

In der heute veröffentlichten Entscheidung zur Hauptsache setzte sich der Verfassungsgerichtshof zunächst mit der bundesrechtlichen Grundlage für die Thüringer Verordnung in §§ 28, 28a des Infektionsschutzgesetzes in der Fassung vom 18. November 2020 auseinander. Die damalige Neuregelung des § 28a des Infektionsschutzgesetzes wahrte, so der Verfassungsgerichtshof, die Anforderungen an eine hinreichende parlamentarische Ermächtigung der Landesregierungen als Verordnungsgeber. Er hob hervor, dass im Bereich der Gefahrenabwehr, zu dem das Infektionsschutzgesetz gehört, der Gesetzgeber verpflichtet ist, realitätsgerechte Maßstäbe für die Beurteilung der Gefahrenlage aufzustellen. Diesen Anforderungen genügte zum damaligen Zeitpunkt, als Impfungen noch nicht allgemein zur Verfügung standen, der sog. Sieben-Tage-Inzidenzwert, der die Zahl der Neuinfektionen

in einem Landkreis oder einer Stadt während der vergangenen sieben Tage misst. Dieser Wert ermöglichte es den Behörden, mit zeitlichem Vorlauf die zu erwartenden Hospitalisierungen von an COVID-19 erkrankten Patienten realitätsnah einzuschätzen.

In der weiteren Prüfung stellte der Verfassungsgerichtshof gleichwohl fest, dass Einzelregelungen der Thüringer Verordnung entweder nicht den Vorgaben des § 28a des Infektionsschutzgesetzes entsprachen oder mit Grundrechten der Thüringer Verfassung nicht vereinbar waren. So verstieß das Verbot des Ausschanks und des Konsums von Alkohol in der Öffentlichkeit nach § 3a der Verordnung gegen die gesetzliche Vorgabe, dass solche Verbote nur an bestimmten, von den Gesundheitsbehörden bezeichneten Orten festgelegt werden durfte. Das flächendeckende Verbot war dagegen durch die Ermächtigung nicht gedeckt.

Im Hinblick auf die nächtlichen Ausgangsbeschränkungen in der Zeit zwischen 22 und 5 Uhr nach § 3b der Verordnung entschied der Verfassungsgerichtshof, dass sie sich nicht auf das befriedete Besitztum erstreckten, da dieses durch das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung geschützt war. Soweit die Verordnung darauf zielte, ein nächtliches Aufenthaltsverbot im Freien festzulegen, brachte der Wortlaut der Verordnung das nicht mit der gebotenen Deutlichkeit zum Ausdruck. Verboten wurde ausdrücklich nur das „Verlassen“ der Wohnung, so dass kein mit Bußgeld zu ahndender Rechtsverstoß begangen wurde, wenn eine Person vor 22 Uhr die Wohnung verlassen hatte und sich danach im Freien aufhielt. Der Verfassungsgerichtshof stellte ferner klar, dass die Beweislast für Verstöße gegen die Verordnung bei der zuständigen Verwaltungsbehörde und nicht beim Bürger lag. Im Hinblick auf das Grundrecht der körperlichen Bewegungsfreiheit betonte er, dass allgemeine Ausgangsbeschränkungen nur als ultima ratio in Betracht kommen, wenn andere Schutzmaßnahmen nicht mehr ausreichen, um die Verbreitung einer Ansteckungskrankheit wirksam einzudämmen. Zudem sah er es als zwingend geboten an, Ausnahmen für grundrechtlich geschützte Tätigkeiten und für die Funktionsfähigkeit staatlicher Einrichtungen vorzusehen. Als verfassungswidrig beurteilte er es mit einer Mehrheit von 7 zu 2, dass das Ausgangsverbot auch einzelnen Personen untersagte, nachts die Wohnung zu verlassen, um sich allein im Freien zu bewegen. Das damit verbundene, geringe Infektionsrisiko rechtfertigte eine Ausgangsbeschränkung insoweit nicht. Soweit im Übrigen das Ausgangsverbot galt, beurteilte der Verfassungsgerichtshof es als noch verhältnismäßig. Maßgeblich für diese Bewertung war, dass es nur während der regulären Schlafens- und Ruhezeiten zur Anwendung kam und dass es sich lediglich über einen Zeitraum von zwei Monaten erstreckte, als die Inzidenzwerte in Thüringen weit über dem Bundesdurchschnitt lagen.

Dagegen hielt der Verfassungsgerichtshof die anlässlich Silvester 2020 bestehenden Verbote zum Verkauf und Abbrennen von Feuerwerkskörpern nach § 6a der Verordnung für noch mit der Thüringer Verfassung vereinbar.