Das Oberlandesgericht Hamm hat im Verfahren 10 U 58/21 über die Wirksamkeit einer testamentarischen Bedingung zu entscheiden, die ein Hausverbot für den Lebensgefährten der Erbin vorsah.
Aus der Pressemitteilung des OLG Hamm vom 19.07.2023 ergibt sich:
Die Klägerin erbte als einzige Tochter ihrer verstorbenen Mutter im Wesentlichen ein Hausgrundstück mit einem freistehenden Einfamilienhaus in Bochum, das sich seit Jahrzehnten im Eigentum der Familie befand und in dem die Mutter in einer und die Tochter mit der Enkelin (bis zu deren Auszug 2016) in einer weiteren Wohnung lebten. Die Enkelin wurde als Miterbin eingesetzt. Der langjährige Lebensgefährte der Tochter hatte eine eigene Wohnung in der Nachbarschaft, ging aber in dem Haus ein und aus, war der Ziehvater der Enkelin und nahm im Haus auch Reparaturen vor. Es gab zu keiner Zeit Streit oder ein Zerwürfnis und man lebte wie eine Familie zusammen. In dem notariellen Testament, in dem die Tochter und die Enkelin als Erbinnen eingesetzt wurden, waren hierfür allerdings zwei Bedingungen formuliert. Zum einen war es den Erbinnen untersagt, das Grundstück an den Lebensgefährten der Tochter zu übertragen. Zum anderen sollten die Erbinnen dem Lebensgefährten auf Dauer untersagen das Grundstück zu betreten. Zur Überwachung des Betretungsverbots wurde der Beklagte als Testamentsvollstrecker eingesetzt. Er sollte die Immobilie bei einem Verstoß gegen die Bedingung veräußern, wobei der Erlös zu ¼ der Tochter, einem ¼ der Enkelin und im Übrigen gemeinnützigen Zwecken zukommen sollte.
Die beiden Erbinnen verlangten vor dem Landgericht Bochum die Feststellung, dass die Bedingung des Betretungsverbots nichtig sei, weil sie dieses für sittenwidrig hielten. Das Verbot, das Grundstück an den Lebensgefährten zu übertragen, akzeptierten sie. Das Landgericht Bochum gab der Klage statt und erklärte das Betretungsverbot wegen Sittenwidrigkeit für ungültig. Hiergegen wandte sich der Beklagte mit seiner Berufung an das Oberlandesgericht Hamm.
In der mündlichen Verhandlung hat der 10. Zivilsenat die Rechtslage mit den Parteien eingehend erörtert. Bei der Frage, ob eine testamentarische Bedingung wegen Sittenwidrigkeit nichtig ist, ist zu beachten, dass die vom Grundgesetz geschützte Testierfreiheit es einer Erblasserin grundsätzlich ermöglicht, die Erbfolge nach ihren eigenen Vorstellungen zu gestalten und sie dabei einen sehr großen Gestaltungsspielraum hat. Sittenwidrigkeit kann daher nur in sehr engen Ausnahmefällen angenommen werden. Dies gilt auch für Bedingungen. Ein schwerwiegender Ausnahmefall, der zur Sittenwidrigkeit einer Bedingung führen kann, ist immer nur dann anzunehmen, wenn in der Abwägung zwischen der Testierfreiheit der Erblasserin und den Freiheitsrechten der Betroffenen anzunehmen ist, dass die nur bedingte Zuwendung einen unzumutbaren Druck auf die Bedachten ausübt, sich in einem höchstpersönlichen Bereich in einer bestimmten Art und Weise zu verhalten. Bedingungen, die dagegen lediglich die Nutzung des vererbten Vermögensgegenstandes betreffen, sind dagegen regelmäßig zulässig. Hier weist zwar die angefochtene Bedingung einen Bezug zur Nutzung des vererbten Hausgrundstücks auf. Unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles steht hier jedoch im Vordergrund, dass dem langjährigen Lebensgefährten der Tochter, zugleich Ziehvater der Enkelin, der Zugang zu der schon vor dem Erbfall genutzten Wohnung auf einmal verwehrt sein soll. Das bis zum Tod der Erblasserin unstreitig praktizierte familiäre Zusammenleben könnte aufgrund der Bedingung nicht mehr in dieser Form fortgeführt werden. Damit ist aber der höchstpersönliche Bereich der Lebensführung der Tochter betroffen und die Bedingung sittenwidrig und nichtig. Für die Rechtsfolge ist weiter davon auszugehen, dass die Erblasserin ihre Tochter und ihre Enkelin auch ohne die unwirksame Bedingung zur Erbinnen eingesetzt hätte, so dass die Sittenwidrigkeit nur dazu führt, dass die Bedingung entfällt.
Da der Senat damit die rechtliche Einschätzung der Vorinstanz zur Sittenwidrigkeit teilte, nahm der Beklagte seine Berufung zurück, so dass das Urteil des Landgerichts Bochum rechtskräftig wurde.