Das Landgericht Berlin hat mit Beschluss vom 21.01.2020 zum Aktenzeichen 27 AR 17/19 seine Entscheidung zu beleidigenden Facebook-Kommentaren in Bezug auf Renate Künast abgeändert und entschieden, dass die Social Media Plattform in sechs Fällen Auskunft über Name des Nutzers, E-Mail-Adresse des Nutzers und IP-Adresse, die von dem Nutzer für das Hochladen verwendet worden ist, sowie über den Uploadzeitpunkt erteilen muss.
Aus der Pressemitteilung des LG Berlin Nr. 4/2020 vom 21.01.2020 ergibt sich:
Die Grünen-Politikerin Renate Künast begehrte die Gestattung einer Auskunft über Daten mehrerer Nutzer der Beteiligten. Die Beteiligte betreibt eine Internetplattform, bei der die Nutzer die Möglichkeit haben, Textbeiträge, Fotos und Videos zu veröffentlichen. Hintergrund des Antrages war ein Post, der eine Abbildung der Politikerin nebst der (vermeintlichen) Äußerung derselben: „Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist, ist Sex mit Kindern doch ganz ok. Ist mal gut jetzt.“ enthielt. Diese (vermeintliche) Äußerung der Betroffenen steht im Kontext einer Debatte des Berliner Abgeordnetenhauses im Jahr 1986. Hier soll ein Abgeordneter während der Rede einer weiteren Abgeordneten der Grünen die Zwischenfrage gestellt haben, wie die Rednerin zu einem Antrag ihrer Partei in NRW stehe, die Strafandrohung wegen sexueller Handlungen an Kindern aufzuheben. Die Rednerin soll auf diese Zwischenfrage nicht reagiert haben, während Künast per Zwischenruf bekundet haben soll „Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist!“. Aus Sicht der Betroffenen habe sie sich durch diesen Zwischenruf nicht inhaltlich zustimmend zum Antrag ihrer Partei in NRW geäußert, sondern lediglich korrigierend zum Ausdruck gebracht, dass dieser sich auf gewaltfreies Verhalten beziehe, während Inhalt der aktuellen Debatte häusliche Gewalt sei. Hieraus ist in dem, dem Auskunftsanspruch zugrunde liegenden Post die zitierte vermeintliche Äußerung der Politikerin gemacht worden, die diese in ihrer Gesamtheit so nicht abgegeben haben will und laut Protokoll der Debatte auch nicht abgegeben hat. Dieser Post ist Ausgangspunkt eines „Shitstorms“ gegen die Betroffene gewesen, in dessen Verlauf sie in weiteren Postings u.a. als „Stück Scheiße“, „krank im Kopf“, „altes Dreckschwein“, „gehirnamputiert“, „Schlampe“, „Drecks Fotze“ und „Sondermüll“ bezeichnet worden ist.
Die Betroffene beantragte vor diesem Hintergrund, den Betreibern der Seite zu gestatten, ihr Auskunft über die Bestandsdaten zu den Nutzernamen, welche die genannten Posts abgesetzt hatten, zu geben. Die Betreiberin der Seite selbst beantragte die Zurückweisung des Antrages, da es sich bei den Inhalten aller Posts lediglich um zulässige Meinungsäußerungen gehandelt habe.
Das LG Berlin hatte den Anspruch gegen den Anbieter eines sozialen Netzwerkes aus § 14 Abs. 3 TMG i.V.m. § 1 Abs. 3 NetzDG verneint. Gemäß § 14 Abs. 3 TMG dürfe der Diensteanbieter Auskunft über bei ihm vorhandene Bestandsdaten erteilen, soweit dies zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche wegen der Verletzung absolut geschützter Rechte aufgrund rechtwidriger Inhalte, die von § 1 Abs. 3 NetzDG erfasst werden, erforderlich sei. Die von Künast angeführten Äußerungen stellten sich sämtlich als Meinungsäußerungen dar.
Gegen die Entscheidung legte Künast Beschwerde ein und ergänzte im Beschwerdeverfahren ihren Sachvortrag.
Das LG Berlin hat die Entscheidung vom 09.09.2019 teilweise abgeändert.
Nach Auffassung des Landgerichts ist die Beschwerde teilweise erfolgreich. Durch den im Beschwerdeverfahren erstmals vollständig vorgelegten Ausgangspost habe das Landgericht die 22 betroffenen Nutzerkommentare im Lichte der höchstrichterlichen und verfassungsrechtlichen Rechtsprechung zur Meinungsfreiheit nochmals geprüft und der Antragstellerin im Ergebnis in sechs Fällen Recht gegeben. So sei wegen des nunmehr dargelegten Kontextes des Ausgangsposts und der inzwischen zusätzlich erlangten gerichtlichen Erkenntnisse zu dessen Urheber nicht mehr davon auszugehen, dass die Verfasser der 22 streitgegenständlichen Kommentare annehmen durften, dass die im Ausgangspost wiedergegebene Äußerung so wie zitiert vollständig von Künast stamme. Vielmehr handele es sich teilweise um ein Falschzitat, sodass sich angesichts der für die 22 Nutzer auch erkennbaren Hintergründe des Posts für sie Zweifel in Bezug auf die Authentizität des Zitats aufdrängen mussten, was bei der Bewertung der einzelnen Kommentare zu berücksichtigen sei.
Vor diesem Hintergrund enthielten die Kommentare von sechs Nutzern jeweils einen rechtswidrigen Inhalt im Sinne einer Beleidigung gemäß § 185 StGB, für den auch im Hinblick auf die Meinungsfreiheit ein Rechtfertigungsgrund nicht ersichtlich sei. Diese Kommentare hätten vielmehr einen ehrherabsetzenden Inhalt, der aus der Sicht des unbefangenen Durchschnittslesers als gezielter Angriff auf die Ehre der Politikerin erscheine und sich auch in der persönlichen Herabsetzung der Politikerin erschöpfe. Die Social Media Plattform dürfe daher in diesen sechs Fällen über Name des Nutzers, E-Mail-Adresse des Nutzers und IP-Adresse, die von dem Nutzer für das Hochladen verwendet worden sei, sowie über den Uploadzeitpunkt Auskunft erteilen.
Die übrigen 16 Kommentare verwirklichten dagegen auch unter Berücksichtigung des weiteren Sachvortrages der Antragstellerin und der sonstigen gerichtlichen Erkenntnisse im Beschwerdeverfahren keinen der in § 1 Abs. 3 Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) aufgeführten Straftatbestände, weil diese Kommentare – wie bereits in dem ursprünglichen Beschluss vom 09.09.2019 ausgeführt – einen Sachbezug zu einer Äußerung der Politikerin im Berliner Abgeordnetenhaus im Jahre 1986 im Zusammenhang mit dem Thema Strafandrohung wegen sexueller Handlungen an Kindern hätten. Es handele sich deshalb bei diesen 16 Kommentaren um Äußerungen, die das Verhalten der Politikerin oder den Aussagegehalt des von ihr im Jahre 1986 getätigten Einwurfs im Berliner Abgeordnetenhaus kritisierten und sich nicht in der persönlichen Herabsetzung von Künast erschöpften, sodass sie nach Auffassung des LG Berlin im Ergebnis noch keine Straftaten der Beleidigung darstellten.
Soweit sie auf einen Verstoß gegen die Richtlinien der Social Media Plattform abstelle, komme es darauf ebenso wenig wie auf einen – nach anderen rechtlichen Vorschriften zu bewertenden – zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch gemäß den §§ 823, 1004 BGB analog i.V.m. Art. 1 und Art. 2 GG an. Der von ihr im hiesigen Verfahren geltend gemachte Auskunftsanspruch sei vom Gesetzgeber abschließend in § 14 Telemediengesetzes (TMG) geregelt und auf die Fälle beschränkt worden, in denen die in § 1 Abs. 3 NetzDG genannten Straftatbestände verwirklicht seien.
Diese Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Soweit das Landgericht der Beschwerde der Antragstellerin nicht abgeholfen hat, hat sie die Sache dem Kammergericht vorgelegt, das nun in zweiter Instanz den Fall prüfen und entscheiden muss.