Das Oberlandesgericht Frankfurt hat am 30.11.2021 zum Aktenzeichen 5-3 StE 1/20 – 4 -1/20 den 29-jährigen Taha Al-J. des Völkermordes in Tateinheit mit einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit mit Todesfolge, einem Kriegsverbrechen gegen Personen mit Todesfolge, Beihilfe zu einem Kriegsverbrechen gegen Personen in zwei tateinheitlichen Fällen sowie mit Körperverletzung mit Todesfolge schuldig gesprochen und ihn deswegen zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.
Aus der Pressemitteilung des OLG Frankfurt Nr. 78/2021 vom 30.11.2021 ergibt sich:
Außerdem muss der Angeklagte an die Nebenklägerin Nora B. als Ersatz für den ihr entstandenen immateriellen Schaden 50.000,00 € zahlen.
Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Angeklagte als Mitglied der terroristischen Vereinigung „Islamischer Staat“ (IS) die der religiösen Minderheit der Jesiden angehörige Nebenklägerin und ihr fünfjähriges Kind in Syrien als Sklavinnen kaufte, sie anschließend in seinem Haushalt in Falludscha (Irak) hielt und dort misshandelte, wodurch das Kind verstarb.
In der seit dem 24. April 2020 an insgesamt 58 Tagen durchgeführten Hauptverhandlung hat der Senat folgenden Sachverhalt festgestellt: In seinem Streben, ein weltumspannendes islamisches Kalifat zu errichten, verfolgte der „IS“ die überwiegend im Sindjar-Gebiet im Norden Iraks ansässige religiöse Minderheit der Jesiden, auf deren Vernichtung er hinzielte. Zu diesem Zweck führte der „IS“ in der Nacht vom 2. auf den 3.8.2014 – kurz nach der Einnahme Raqqas (Syrien) und Mosuls (Irak) – auf das Siedlungsgebiet der Jesiden im Umkreis des Sindjar-Gebietes einen zentral geplanten, organisierten und koordinierten militärischen Angriff unter Beteiligung von hunderten Kämpfern mit Waffengewalt durch. Tausende Jesiden gerieten dabei in die Gewalt des „IS“. Männliche Jesiden wurden zum Übertritt zum Islam aufgefordert.
Waren sie nicht konversionsbereit, wurden sie sofort hingerichtet, anderenfalls wurden sie verschleppt und als Zwangsarbeiter eingesetzt. Jungen ab etwa sieben Jahren wurden zum Zwecke religiöser Umerziehung in Koranschulen geschult. Spätestens ab dem Alter von 14 Jahren mussten sie an militärischen Ausbildungslagern teilnehmen und in der Folgezeit für den „IS“ kämpfen. Sie wurden an Exekutionen beteiligt und gezielt für Selbstmordanschläge eingesetzt, bei denen sie teilweise ihr Leben verloren. Ältere Mädchen und jüngere Frauen wurden von „IS“-Mitgliedern als Sexsklavinnen, ältere Frauen als Haushaltssklavinnen gehandelt und gehalten. Insbesondere in Raqqa entwickelte sich bereits kurz nach dem Überfall auf die Sindjar-Region ein florierender Handel mit jesidischen Mädchen und Frauen.
Der Angeklagte hielt sich seit mindestens März 2015 in Raqqa (Syrien) auf und schloss sich dem „IS“ als Mitglied an. Eingegliedert in die Strukturen der Organisation betätigte er sich dort als Leiter des „IS“-Büros für „Ruqia“. Dies ist eine religiöse Praxis zur Geisteraustreibung zum Zwecke der Heilung von verschiedenen Leiden u. a. mittels Rezitationen von Koransuren. Im Juni 2015 heiratete der Angeklagte die gesondert verfolgte Zeugin Jennifer W. nach islamischem Ritus vor einem „IS“-Gericht und kaufte die der Gruppe der Jesiden zugehörige Nebenklägerin Nora B. und ihre fünfjährige Tochter Reda als Sklavinnen, die im Rahmen des Angriffs auf das Sindjar-Gebiet im Sommer 2014 gefangen genommen worden waren.
Anschließend verbrachte er sie nach Falludscha im Irak, einer weiteren „IS“-Hochburg. Die Nebenklägerin und ihr Kind hielten sich mehrere Wochen im gemeinsamen Haushalt des Angeklagten und der Zeugin Jennifer W. in Falludscha auf, wo sie den Anweisungen des Angeklagten unterstanden, der nun über ihr Leben bestimmte. Sie durften das Anwesen ohne Zustimmung des Angeklagten nicht verlassen. Auch „verlieh“ der Angeklagte Reda gegen den Willen der Nebenklägerin über Nacht an einen männlichen Bekannten. Die Nebenklägerin musste unentgeltlich die gesamte Hausarbeit verrichten.
Der Angeklagte zwang sie und das Kind zum Gebet nach muslimischen Regeln und benannte den jesidischen Namen des Kindes in „Rania“ um. Um die Nebenklägerin und Reda zu disziplinieren und gefügig zu halten, „bestrafte“ der Angeklagte sie zu verschiedenen Gelegenheiten und auch teilweise ohne einen bestimmten Anlass insbesondere in Form von körperlichen Züchtigungen. Das Kind schlug er auch während des Gebets.
An einem nicht näher bestimmbaren Tag forderte der Angeklagte die Nebenklägerin etwa um die Mittagszeit auf, sich barfuß auf den Steinboden des hausumgebenden Hofes in die Sonne zu stellen, um sie erneut zu bestrafen und zu disziplinieren. In Falludscha herrschten in jenem Zeitraum Tageshöchsttemperaturen von zwischen 38,1 bis 51 Grad im Schatten, wobei im Hof des Hauses bei direkter Sonneneinstrahlung eine noch höhere Wärmebelastung bestand. Der Boden des Hofes war aufgrund der großen Hitze stark aufgeheizt. Infolge der Berührung ihrer nackten Fußsohlen mit dem heißen Boden erlitt die Nebenklägerin Schmerzen an den nackten Füßen. Auf Geheiß des Angeklagten begab sich die Nebenklägerin nach einer Weile zurück ins Haus und wandte sich wieder den Putzarbeiten im Erdgeschoss des Hauses zu.
Der Angeklagte war indes wütend, weil das Kind krankheitsbedingt auf eine Matratze uriniert hatte. Um nun auch Reda zu bestrafen und zu disziplinieren, fesselte der Angeklagte das fünfjährige Kind mittels eines Kabels an das im Hof befindliche Außengitter des Wohnzimmerfensters. Das Kind war dabei direkter Sonneneinstrahlung ausgesetzt.
Nach der Fixierung des Mädchens begab sich der Angeklagte zurück ins Haus. Er setzte sich auf das Wohnzimmersofa, während Reda am Außengitter des Wohnzimmerfensters ohne Zufuhr von Flüssigkeit oder Nahrung gefesselt blieb. Nach einiger Zeit begab sich der Angeklagte wieder in den Hof. Als er erkannte, dass sich das Kind nicht mehr bewegte, band er Reda los, deren Körper zu diesem Zeitpunkt bereits hart geworden war. Das Kind hatte aufgrund der Fesselung unter direkter Sonneneinstrahlung einen Hitzeschlag erlitten, an dessen Folgen Reda in der unmittelbaren Folgezeit ohne weiteres Hinzutreten anderer ursächlicher Umstände verstarb oder sie war bereits zu diesem Zeitpunkt an den Folgen des Hitzeschlages verstorben.
In subjektiver Hinsicht war für die Entscheidung des Senats zentral, dass der Angeklagte zum Nachteil der Nebenklägerin und ihrer Tochter mit der für den Straftatbestand des Völkermordes vorausgesetzten Zerstörungsabsicht bezogen auf die religiöse Minderheit der Jesiden handelte.
Der Angeklagte verließ spätestens im September 2015 den Irak und nahm in Samsun, (Türkei) Aufenthalt. In der Folgezeit praktizierte er eingegliedert in den „IS“ unter anderem wiederum Ruqia und unterstützte Flüchtlinge, die aus dem „IS“-Gebiet in die Türkei flohen. Im Rahmen seiner fortbestehenden Eingliederung in die Strukturen des „IS“ erklärte er sich im Juli 2018 gegenüber einem unbekannten Chatpartner bereit, für den „IS“ Sprengvorrichtungen verschiedener Art anzufertigen und ein „IS“-Mitglied in seinem Haus in der Türkei im Umgang mit Sprengstoff zu unterweisen.
Zwischen Ende Oktober 2018 und Anfang November 2018 flüchtete der Angeklagte aus der Türkei nach Griechenland und hielt sich fortan in Athen (Griechenland) auf. Dort ist er am 16.5.2019 festgenommen worden.
Der Angeklagte befand sich von Mai bis Oktober 2019 zunächst in Auslieferungshaft in Griechenland. Seit er im Oktober 2019 in die Bundesrepublik Deutschland überstellt worden ist, befindet er sich ununterbrochen in Untersuchungshaft. Der Senat hat mit der Verurteilung die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet.
Soweit es die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland betrifft, hat der Senat das Verfahren vorläufig eingestellt bzw. die Strafverfolgung auf Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch (u. a.) beschränkt. Das Verfahren war sehr aufwändig. Der Senat hat eine Vielzahl an Zeugen und Sachverständigen vernommen, darunter die Nebenklägerin, deren Befragung allein sieben Hauptverhandlungstage gedauert hat. Zwei Zeuginnen mussten unter den erschwerten Bedingungen der Corona-Pandemie aus dem Irak nach Frankfurt am Main einreisen.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der Angeklagte sowie der Generalbundesanwalt bei dem Bundesgerichtshof können das Rechtsmittel der Revision einlegen, über das der Bundesgerichtshof zu entscheiden hat.