Streit um EB: Rechtsanwalt muss im Einzelfall beA-Protokoll vorlegen

Das Oberlandesgericht München hat mit Beschluss v. 26.04.2024 zum Aktenzeichen 23 U 8369/21 entschieden, dass einem Rechtsanwalt gemäß § 142 Abs. 1 ZPO die Vorlage des beA-Nachrichtenjournal zu der elektronischen Übersendung eines Urteils in ausgedruckter Form aufgegeben werden kann

Die Anordnung beruht auf § 142 Abs. 1 ZPO.

Die Klagepartei hat sich auf das Nachrichtenjournal bezogen im Sinne des § 142 Abs. 1 ZPO (Schriftsatz vom 09.02.2024 S. 3).

Der Ausdruck aus dem beA-Nachrichtenjournal des Beklagtenvertreters ist als Ausdruck eines elektronischen Dokuments eine sonstige Unterlage im Sinne des § 142 Abs. 1 ZPO (Muslielak/Voit/Stadler, 2. Aufl. 2023, ZPO, § 142 Rn. 2). Sie befindet sich im Besitz der beklagten Partei. Hierzu genügt der mittelbare Besitz der Partei, der dadurch begründet wird, dass sich das Journal in den Händen des seinen Anweisungen unterliegenden Rechtsanwalts befindet (Musielak/Voit/Stadler, a.a.O., § 142 Rn. 3). Dass der Beklagtenvertreter den Ausdruck u.U. erst noch erstellen muss, hindert die zumindest analoge Anwendung des § 142 Abs. 1 ZPO nicht (BGH NJW 2013, 1003 Tz. 9 ff. für die Anfertigung einer Eigentümerliste; Anders/Gehle/Bünnigmann, 82. Aufl. 2024, ZPO, § 142 Rn. 11).

In vorliegendem Einzelfall entspricht es pflichtgemäßem Ermessen, die Vorlage anzuordnen.

Das beA-Nachrichtenjournal protokolliert im System des Rechtsanwalts, wann eine Nachricht eingegangen ist und wer sie wann zum ersten Mal geöffnet hat (Wagner/Ernst NJW 2021, 1564 Rn. 15; Ultsch WuB 2023, 298, 301). Dies kann ein gewichtiges Beweismittel für die Klagepartei sein, die vorliegend die Unrichtigkeit des im Empfangsbekenntnis des Beklagtenvertreters genannten Zustelldatums behauptet.

Ein das Klägerinteresse überwiegendes Geheimhaltungsinteresse der beklagten Partei oder ihres Prozessvertreters ist nicht ersichtlich. Hinsichtlich der Frage, wann das Urteil des Landgerichts erstmals seitens des Beklagtenvertreters geöffnet wurde, hat der Beklagte kein schützenswertes Interesse, die Information aus dem Verfahren herauszuhalten. Im Gegenteil: Die für die Zulässigkeit der Berufung wesentliche Vorfrage ist – wie die Zulässigkeit der Berufung – von Amts wegen zu klären. Anders als bei der Vorlage von Mandantenkorrespondenz geht es hierbei nicht um die interne Kommunikation eines Rechtsanwalts mit seinem Mandanten etwa über die Prozessstrategie.

Allerdings ist im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigen, dass nach § 174 Abs. 4 Satz 1 ZPO a.F. (§ 173 Abs. 3 Satz 1 ZPO n.F.) grundsätzlich allein das Empfangsbekenntnis als Nachweis der Zustellung genügt. Die gesetzliche Wertung darf nicht vorschnell dahin abgeändert werden, dass der Zustellempfänger zusätzlich auch noch das beA-Nachrichtenjournal vorlegen muss, um seiner Nachweispflicht zu genügen. Eine Anordnung der Vorlage des Journals ist daher nur dann gerechtfertigt und angemessen, wenn konkrete Umstände vorgetragen oder sonst verfahrensgegenständlich sind, die im Einzelfall einen besonderen, gegenüber dem Normalfall gesteigerten Überprüfungsbedarf indizieren (vgl. Anders/Gehle/Anders, a.a.O., § 130 a Rn. 7; Musielak/Voit/Stadler, a.a.O., § 142 Rn. 3, Wagner/Ernst NJW 2021, 1564 Rn. 23).

Nach diesen Grundsätzen war die Anordnung hier zu treffen: Zwischen der Absendung des Teilurteils am 07.10.2021 und der elektronischen Bestätigung des Eingangs der Nachricht im System des Beklagtenvertreters am gleichen Tag einerseits und dem 22.10.2021 als Zustelldatum gemäß dem Empfangsbekenntnis des Beklagtenvertreters andererseits lagen mehr als zwei Wochen. Diese erhebliche Dauer belegt zwar für sich nicht die Unrichtigkeit des Empfangsbekenntnisses (BGH NJW-RR 2021, 1584 Tz. 11; Wagner/Ernst NJW 2021, 1564 Rn. 13; hierzu bereits Hinweis vom 02.02.2024). Sie rechtfertigt – in Verbindung mit den übrigen Umständen des vorliegenden Einzelfalls – hier indes, die Vorlage des Nachrichtenjournals zur näheren Überprüfung anzuordnen. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass ein Rechtsanwalt gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 1 BRAO schon im Falle einer Verhinderung von mehr als einer Woche für seine Vertretung sorgen muss, die gemäß § 54 Abs. 2 Satz 2 BRAO auch zur Abgabe elektronischer Empfangsbekenntnisse befugt sein muss und also – gleich einem Zustellungsbevollmächtigten – für eine zeitnahe Entgegennahme und Bestätigung von Zustellungen Sorge zu tragen hat (vgl. BeckOK BRAO/Günther, 22. Ed. 1.2.24, BRAO § 54 Rn. 8 f.; BeckOK BORA/Günther, 42. Ed. 1.12.23, BORA § 14 Rn. 8; Wagner/Ernst NJW 2021, 1564 Tz. 8). Der Beklagtenvertreter hat bislang nicht erklärt, wie und warum es gleichwohl zu der deutlich über eine Woche hinausgehenden Zustellverzögerung kam. Hinzu kommt, dass der Beklagtenvertreter – gleichfalls bislang ohne Erläuterung – das Empfangsbekenntnis erst unter dem Datum 04.11.2021 gezeichnet und dann erst mit Fax vom 19.11.2021 (9:41 Uhr) an das Landgericht übersandt hat, nachdem er zuvor bereits dreimal (am 21.10.21, am 4.11.21, am 17.11.21) vom Landgericht dazu gemahnt worden war.

Insgesamt ergibt sich aus der gegebenen Situation ein weiterer, besonderer Aufklärungsbedarf, der das Beweisinteresse der Klägerin überwiegen und die Anordnung gemäß § 142 ZPO angemessen erscheinen lässt.