Der Verfassungsgerichtshof NRW hat mit Beschluss vom 28.01.2020 zum Aktenzeichen VerfGH 63/19.VB-2 auf die durch Rechtsanwalt Dipl.-Jur. Jens Usebach, LL.M. der Kölner Rechtsanwaltskanzlei JURA.CC erhobene Verfassungsbeschwerde entschieden, dass dem Gegner vor der Bewilligung von Fristverlängerungsanträgen nach § 225 Abs. 2 ZPO die Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben ist und deren Abtun als Formalie verfassungswidrig ist.
Der Beschwerdeführer führt einen Arzthaftungsprozess beim Landgericht Köln. Nach Zustellung der Klage beantragte der Beklagtenvertreter am Tag des Fristablaufs die Verlängerung der Klageerwiderungsfrist etwa um einen Monat (erster Fristverlängerungsantrag), die von einem Mitglied der Kammer bewilligt wurde. Der Beschwerdeführer wurde hiervon in Kenntnis gesetzt. Mit Ablauf der Frist beantragte der Beklagtenvertreter eine zweite Fristverlängerung, die vom Vorsitzenden der Kammer bewilligt wurde. Eine Kopie der Bewilligung erhielt der Beschwerdeführer erneut zur Kenntnisnahme. Daraufhin verwies der Beschwerdeführer auf die sich aus § 225 Abs. 2 ZPO ergebende Notwendigkeit, ihm Fristverlängerungsanträge zur Stellungnahme zu übersenden, und erklärte, mit weiteren Fristverlängerungsanträgen des Beklagtenvertreters nicht einverstanden zu sein. Einen Tag vor Fristablauf beantragte der Beklagtenvertreter eine dritte Fristverlängerung bis zum 31.Juli 2019. Am 19.Juli 2019 erhielt der Beschwerdeführer diesen Antrag durch Verfügung eines anderen Kammermitglieds zur Stellungnahme binnen drei Tagen per Fax; am gleichen Tag nahm er Stellung und beantragte, das Fristverlängerungsgesuch zurückzuweisen. Am 24.Juli 2019 bewilligte der Vorsitzende der Kammer die beantragte dritte Fristverlängerung und setzte den Beschwerdeführer hiervon in Kenntnis. Wiederum kurz vor Fristablauf beantragte der Beklagtenvertreter eine vierte Fristverlängerung. Mit Schriftsatz vom 31.Juli 2019, noch bevor er Kenntnis vom vierten Fristverlängerungsantrag erhielt, lehnte der Beschwerdeführer den Vorsitzenden der Kammer nach § 42 Abs. 2 ZPO als befangen ab und begründete die Ablehnung im Wesentlichen mit dessen Verfahrensweise.
Das Landgericht Köln wies den Befangenheitsantrag zurück und das Oberlandesgericht Köln billigte dies und merkte überdies an, dass ein Verstoß gegen § 225Abs. 2 ZPO bei vernünftiger Betrachtung nicht die Besorgnis der Befangenheit begründe. Einfache Verfahrensverstöße seien grundsätzlich kein Befangenheitsgrund. Die Vorschrift des § 225 Abs. 2 ZPO nicht zu beachten habe regelmäßig schlicht praktische Gründe. Wenn ein auch wiederholtes Fristverlängerungsgesuch so plausibel begründet sei, wie es im Fall der Beklagten geschehen sei, und keine Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass der Antragsteller es auf eine bewusste Verzögerung anlege, stelle die Anhörung des Gegners eine Formalie dar, auf die ein erfahrener und vernünftig agierender Rechtsanwalt im Zweifel verzichte. Es entspreche im Übrigen sowohl der Beobachtung des Senates als auch – je nach Fall – der eigenen Praxis des Senates, dass sich Gerichte aus diesen Gründen häufig über die Vorschrift des § 225 Abs. 2 ZPO hinwegsetzten. Mit dem Anschein mangelnder Neutralität habe dies nichts zu tun.
Die Münsteraner Verfassungsrichter stellten dazu fest, dass die ergänzenden Anmerkungen des Oberlandesgerichts zur Handhabung des § 225 Abs. 2 ZPO in der Spruchpraxis des Senats und seine Meinung, dass ein erfahrener Anwalt auf die Bewilligung rechtlichen Gehörs verzichten würde, erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegen und rechtsstaatlichen Anforderungen an die Verfahrensgestaltung (Art. 4 Abs. 1 LV i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m.dem Rechtsstaatsprinzip) widersprechen.