Der Europäische Gerichtshof hat am 24.06.2021 sein Urteil zum Aktenzeichen C-12/20 zu der Frage verkündet, welche Behörde befugt ist, das Verfahren für die Stellung von Anträgen auf Zuweisung von Infrastrukturkapazität bei der einzigen Anlaufstelle festzulegen.
Aus der Pressemitteilung des EuGH vom 24.06.2021 ergibt sich:
Die Bundesnetzagentur hatte sich als nationale Regulierungsbehörde der beabsichtigten Änderung der Schienennetz-Nutzungsbedingungen von DB Netz widersetzt. DB Netz gehört als 100%ige Tochtergesellschaft zum Konzern der Deutsche Bahn AG und betreibt als öffentliches Eisenbahninfrastrukturunternehmen das größte Schienenwegenetz in Deutschland. Durch die von DB Netz beabsichtigte Änderung sollte die für den Fall einer technischen Störung des elektronischen Buchungssystems vorgesehene Möglichkeit der Verwendung eines Anmeldeformulars für die Beantragung von Infrastrukturkapazität bei der einzigen Anlaufstelle ersatzlos gestrichen werden.
In diesem Zusammenhang möchte das vorlegende Gericht, das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, im Kern wissen, welche Behörde befugt ist, das Verfahren für die Stellung von Anträgen auf Zuweisung von Infrastrukturkapazität bei der einzigen Anlaufstelle festzulegen. Das Gericht wirft weiter die Frage auf, ob eine nationale Regulierungsstelle bei der Überprüfung der Schienennetz-Nutzungsbedingungen eines Betreibers von Eisenbahninfrastruktur eine Entscheidung in der Sache erlassen darf, ohne die übrigen betroffenen nationalen Regulierungsstellen zu konsultieren.
Mit seinem Urteil vom 24.06.2021 antwortet der EuGH dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen wie folgt:
- Art. 13 Abs. 1, Art. 14 Abs. 9 und Art. 18 Buchst. c der Verordnung (EU) Nr. 913/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. September 2010 zur Schaffung eines europäischen Schienennetzes für einen wettbewerbsfähigen Güterverkehr sowie Art. 27 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2012/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. November 2012 zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Eisenbahnraums in Verbindung mit deren Anhang IV Nr. 3 Buchst. a sind dahin auszulegen, dass der in Art. 3 Nr. 2 dieser Richtlinie definierte Infrastrukturbetreiber die Behörde ist, die dazu befugt ist, im Rahmen der nationalen Schienennetz-Nutzungsbedingungen die Regelungen über das Verfahren für die Stellung von Anträgen auf Zuweisung von Infrastrukturkapazität einschließlich der ausschließlichen Nutzung eines bestimmten elektronischen Buchungstools bei der in Art. 13 Abs. 1 dieser Verordnung vorgesehenen einzigen Anlaufstelle zu erlassen.
- Die Überprüfung der in den Schienennetz-Nutzungsbedingungen vorgesehenen Regelungen für das Verfahren für die Stellung von Anträgen auf Zuweisung von Infrastrukturkapazität bei der einzigen Anlaufstelle durch die nationale Regulierungsstelle richtet sich nach den Bestimmungen von Art. 20 der Verordnung Nr. 913/2010. Diese Bestimmungen sind dahin auszulegen, dass die Regulierungsstelle eines Mitgliedstaats diesen Regelungen nicht widersprechen kann, ohne den sich aus diesem Art. 20 ergebenden Pflichten zur Zusammenarbeit nachzukommen und insbesondere ohne die Regulierungsstellen der übrigen an dem Güterverkehrskorridor beteiligten Mitgliedstaaten zu konsultieren, um so weit wie möglich zu einem einheitlichen Vorgehen zu gelangen.
- Art. 14 Abs. 1 der Verordnung Nr. 913/2010 ist dahin auszulegen, dass die vom Exekutivrat nach dieser Bestimmung festgelegte Rahmenregelung für die Zuweisung von Fahrwegkapazität im Güterverkehrskorridor keinen Rechtsakt der Union darstellt.
Der Gerichtshof führt zur ersten Vorlagefrage aus, dass der Unionsgesetzgeber ausdrücklich die Maßnahmen präzisieren wollte, die den Aufgabenbereich des von dem jeweiligen Betreiber der Infrastruktur einzurichtenden Verwaltungsrats bilden und, dass dieser Rat eine Koordinierungsfunktion innehat. Der Verwaltungsrat könne hingegen nicht das Verfahren für die Einreichung von Anträgen zur Buchung von Infrastrukturkapazität bei der einzigen Anlaufstelle bestimmen.
Grundsätzlich ergebe sich eine Pflicht der Regulierungsstellen der Mitgliedstaaten zur Zusammenarbeit, die sie dazu verpflichtet, so weit wie möglich zu einem einheitlichen Vorgehen zu gelangen, weshalb die Bundesnetzagentur keine Entscheidung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende treffen könne, ohne die anderen betroffenen Regulierungsstellen vorab zu konsultieren.
Es bestehe jedoch keine Pflicht einer Regulierungsstelle eines Mitgliedstaats, die Zustimmung der Regulierungsstellen der anderen betroffenen Mitgliedstaaten einzuholen, bevor sie eine Entscheidung trifft, und auch keine Bindung an die Entscheidungen dieser anderen Regulierungsstellen.
Die Schaffung des Exekutivrats sei zwar durch das Unionsrecht vorgeschrieben, dieser Exekutivrat werde aber von den Mitgliedstaaten eingerichtet und stelle somit weder ein Organ noch eine Einrichtung oder eine sonstige Stelle der Union. Hieraus folge, dass die nationale Regulierungsstelle nicht daran gehindert sei, einzugreifen, um ein eventuelles Problem der Diskriminierung zu beheben.