Das Landgericht Karlsruhe hat mit Urteil vom 22.05.2020 zum Aktenzeichen 6 O 85/19 entschieden, dass die geänderte Startgutschriftenregelung der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) für rentenferne Versicherte wirksam ist.
Aus der Pressemitteilung des LG Karlsruhe vom 22.05.2020 ergibt sich:
Die beklagte VBL hat die Aufgabe, Angestellten und Arbeitern der an ihr beteiligten Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes im Wege privatrechtlicher Versicherung eine zusätzliche Alters-, Erwerbsminderungs- und Hinterbliebenenversorgung zu gewähren. Mit Neufassung ihrer Satzung (VBLS) vom 22.11.2002 stellte die Beklagte ihr Zusatzversorgungssystem rückwirkend zum 31.12.2001 (Umstellungsstichtag) von einem an der Beamtenversorgung orientierten Gesamtversorgungssystem auf ein auf dem Punktemodell beruhendes, beitragsorientiertes Betriebsrentensystem um. Die neugefasste Satzung enthält Übergangsregelungen zum Erhalt von bis zur Systemumstellung erworbenen Rentenanwartschaften. Diese werden als sog. Startgutschriften den Versorgungskonten der Versicherten gutgeschrieben. Dabei werden Versicherte, deren Versorgungsfall noch nicht eingetreten war, in rentennahe und rentenferne Versicherte unterschieden. Grundsätzlich ist rentenfern, wer am 01.01.2002 das 55. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, das betraf bei der Systemumstellung ca. 1,7 Millionen Versicherte.
Mit Urteil vom 14.11.2007 (IV ZR 74/06) hatte der BGH die früheren Startgutschriften für rentenferne Versicherte wegen Verstoßes der zugrundeliegenden Übergangsregelung gegen Art. 3 Abs. 1 GG für unverbindlich erklärt und insbesondere eine gleichheitswidrige Benachteiligung von Beschäftigten mit langen Ausbildungszeiten beanstandet. Daraufhin einigten sich die Tarifvertragsparteien in einem Änderungstarifvertrag vom 30.05.2011 darauf, die bisherige Regelung zur Ermittlung der Startgutschriften im Grundsatz beizubehalten, jedoch durch eine Vergleichsberechnung zu ergänzen, welche unter näher geregelten Voraussetzungen zu einer Erhöhung der Startgutschrift rentenferner Versicherter führen kann. Die Beklagte übernahm diese tarifvertraglichen Vorgaben in § 79 Abs. 1a ihrer Satzung. Auch zu dieser Regelung hatte der BGH mit Urteil vom 09.03.2016 (IV ZR 9/15) entschieden, dass die den Klägern erteilten Startgutschriften deren Rentenanwartschaften weiterhin nicht verbindlich festlegten, weil auch die geänderte Satzungsregelung zur Ermittlung der Startgutschriften rentenferner Versicherter gegen den Gleichheitssatz verstoße. Auf diese erneute Beanstandung durch den BGH reagierten die Tarifvertragsparteien durch Bestimmungen im Änderungstarifvertrag Nr. 10 zum Tarifvertrag Altersversorgung vom 08.06.2017. Die Beklagte fasste mit der 23. Satzungsänderung vom 08.11.2017, inhaltlich mit den genannten tarifvertraglichen Regelungen übereinstimmend, ihre Satzung neu.
- 79 Abs. 1 VBLS in der Fassung seit 08.11.2017 lautet:
1Die Anwartschaften der am 31. Dezember 2001 schon und am 1. Januar 2002 noch Pflichtversicherten berechnen sich nach § 18 Abs. 2 BetrAVG, soweit sich aus Absatz 2 nichts anderes ergibt.
2Satz 1 gilt entsprechend für Beschäftigte, die nach den am 31. Dezember 2000 geltenden Vorschriften der VBL als pflichtversichert gelten.
3Bei Anwendung von Satz 1 ist an Stelle des Faktors von 2,25 v. H. nach § 18 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 BetrAVG der Faktor zu berücksichtigen, der sich ergibt, indem 100 v. H. durch die Zeit in Jahren vom erstmaligen Beginn der Pflichtversicherung bis zum Ende des Monats, in dem das 65. Lebensjahr vollendet wird, geteilt werden.
4Die Zeit in Jahren wird aus der Summe der (Teil-)Monate berechnet.
5Ein Teilmonat wird ermittelt, indem die Pflichtversicherungszeit unabhängig von der tatsächlichen Anzahl der Tage des betreffenden Monats durch 30 dividiert wird.
6Die sich nach Satz 4 und 5 ergebenden Werte werden jeweils auf zwei Nachkommastellen gemeinüblich gerundet.
7Der sich nach Satz 3 durch die Division mit der Zeit in Jahren ergebende Faktor wird auf vier Nachkommastellen gemeinüblich gerundet.
8Der Faktor beträgt jedoch mindestens 2,25 v. H. und höchstens 2,5 v. H.
Das LG Karlsruhe hat nun in den vorliegenden Verfahren die geänderten Startgutschriftenregelungen für wirksam erklärt und sämtliche Klagen abgewiesen, mit denen die klagenden Parteien sich gegen die Neuregelungen in der Satzung der VBL für sog. rentenferne Versicherte gewandt haben.
Ein Verstoß gegen höherrangiges Recht liegt nach Auffassung des Landgerichts am Prüfungsmaßstab des Art. 3 Abs. 1 GG (Gleichheitsgrundsatz), des Art. 9 Abs. 3 GG (Tarifautonomie) und des Art. 19 Abs. 4 GG (effektiver Rechtsschutz) nicht vor. Dies gelte zur Berechnung der Rentenanwartschaften sowohl im Hinblick auf die im Jahr 2017 neu eingeführten Regelungen zum sog. Unverfallbarkeitsfaktor (Altersfaktor/jährlicher Anteilswert) als auch für die seit der Satzungsumstellung im Jahr 2001 unverändert ausschließliche Anwendung des sog. Näherungsverfahrens.
Soweit nach der Rechtsprechung des BGH (Urt. v. 14.11.2007 – IV ZR 74/06 – BGHZ 174, 127 und Urt. v. 09.03.2016 – IV ZR 9/15 – BGHZ 209, 201) von einer gegen Art. 3 GG verstoßenden Benachteiligung innerhalb der Gruppe der rentenfernen Versicherten auszugehen war, werde diese Ungleichbehandlung durch die neu eingeführten Regelungen beseitigt und die Vorgabe des BGH umgesetzt.
Personen, die bei Eintritt in den öffentlichen Dienst zwischen 20 Jahre und sieben Monate und 25 Jahre alt waren, erhielten einen individuell errechneten Altersfaktor („linearer Altersfaktor“). Für die übrigen rentenfernen Versicherten betrage der pauschalisierte Altersfaktor 2,25 v.H. bzw. 2,5 v.H.. Der Faktor von 2,25 v.H. stelle ebenso wenig einen Gleichheitsverstoß dar, wie der lineare Anstieg bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres, da die unterschiedliche Begrenzung sachgerecht sei.
Insbesondere sei dem von der Rechtsprechung des BAG als zentrale Aufgabe der Tarifvertragsparteien geforderten Prinzip der Verteilungsgerechtigkeit, auf die der BGH Bezug genommen habe, in den Übergangsregelungen der VBL für die Gruppe der rentenfernen Versicherten Rechnung getragen worden.
Die Übergangsregelungen, deren Befolgung im konkreten Einzelfall zu unbefriedigenden Ergebnissen führen könnten, können durch eine Härtefall- bzw. Billigkeitsprüfung korrigiert werden. In sämtlichen 36 am 22.05.2020 entschiedenen Verfahren hat das Landgericht eine solche Härtefallprüfung durchgeführt, die jedoch in keinem Verfahren zu einer Abänderung der Entscheidungen der VBL geführt hat.
Die Urteile sind nicht rechtskräftig.