Staatliche Beihilfen in Covid-19-Krise: Spanischer Solvenzhilfefonds mit EU-Recht vereinbar

19. Mai 2021 -

Das Gericht der Europäischen Union hat am 19.05.2021 zum Aktenzeichen T-628/20 entschieden, dass der Fonds zur Stützung der Zahlungsfähigkeit der strategisch bedeutenden spanischen Unternehmen, die sich aufgrund der Covid-19-Pandemie vorübergehend in Schwierigkeiten befinden, mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Die fragliche Maßnahme, die auf den Erlass von Rekapitalisierungsmaßnahmen abzielt und mit einem Budget von 10 Mrd. Euro versehen ist, stellt eine Beihilferegelung dar, ist aber verhältnismäßig und nicht diskriminierend.

Aus der Pressemitteilung des EuGH Nr. 83/2021 vom 19.05.2021 ergibt sich:

Im Juli 2020 meldete Spanien bei der Europäischen Kommission eine Beihilferegelung an, die darauf abzielt, einen Fonds zur Stützung der Zahlungsfähigkeit der strategisch bedeutenden spanischen Unternehmen einzurichten, die sich aufgrund der Covid-19-Pandemie vorübergehend in Schwierigkeiten befinden. Dieser Fonds ist befugt, verschiedene Rekapitalisierungsmaßnahmen zugunsten nichtfinanzieller Unternehmen zu erlassen, die in Spanien niedergelassen sind, dort ihre wichtigsten Arbeitsstätten haben und als für die spanische Wirtschaft systemrelevant oder strategisch bedeutend angesehen werden1. Das Budget dieser Beihilferegelung, die aus dem staatlichen Haushalt finanziert wird, wurde auf 10 Mrd. Euro bis zum 30. Juni 2021 festgesetzt.

Da die Kommission der Auffassung war, dass die angemeldete Regelung eine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellte, prüfte sie sie anhand ihrer Mitteilung vom 19. März 2020 mit dem Titel „Befristeter Rahmen für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft angesichts des derzeitigen Ausbruchs von Covid-19“2. Mit Beschluss vom 31. Juli 2020 stellte die Kommission fest, die angemeldete Regelung sei gemäß Art. 107 Abs. 3 Buchst. b AEUV mit dem Binnenmarkt vereinbar3. Nach dieser Vorschrift können Beihilfen zur Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats unter bestimmten Voraussetzungen als mit dem Binnenmarkt vereinbar angesehen werden.

Gegen diesen Beschluss hat die Fluggesellschaft Ryanair eine Nichtigkeitsklage erhoben, die jedoch von der Zehnten erweiterten Kammer des Gerichts der Europäischen Union abgewiesen worden ist.

In diesem Zusammenhang hat die Kammer geprüft, ob die Beihilferegelung, die als Reaktion auf die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie erlassen wurde, nach Maßgabe von Art. 107 Abs. 3 Buchst. b AEUV mit dem Binnenmarkt vereinbar ist4. Ferner hat das Gericht klargestellt, wie die Vorschriften über staatliche Beihilfen und der in Art. 18 Abs. 1 AEUV verankerte Grundsatz der Nichtdiskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit zusammenspielen und wie der Begriff der „Beihilferegelung“ im Sinne von Art. 1 Buchst. d der Verordnung 2015/15895 zu verstehen ist.

Würdigung durch das Gericht

Als Erstes hat das Gericht den Beschluss der Kommission anhand des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung kontrolliert, indem es geprüft hat, ob die Ungleichbehandlung, die durch die fragliche Beihilferegelung insofern geschaffen wird, als sie nur Unternehmen zugutekommt, die in Spanien niedergelassen sind und dort ihre wichtigsten Arbeitsstätten haben, durch einen legitimen Zweck gerechtfertigt wird und im Hinblick auf diesen Zweck erforderlich, geeignet und angemessen ist. Das Gericht hat außerdem die Auswirkung von Art. 18 Abs. 1 AEUV geprüft, wonach unbeschadet besonderer Bestimmungen der Verträge in ihrem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten ist. Da Art. 107 Abs. 3 Buchst. b AEUV nach Ansicht des Gerichts zu diesen besonderen Bestimmungen der Verträge gehört, hat es geprüft, ob die fragliche Regelung gemäß dieser Bestimmung für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt werden kann.

Insoweit hat das Gericht zum einen bestätigt, dass der Zweck der fraglichen Regelung die in Art. 107 Abs. 3 Buchst. b AEUV festgelegten Voraussetzungen erfüllt, da die Regelung tatsächlich zur Behebung einer durch die Covid-19-Pandemie verursachten beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben Spaniens dient. Das Gericht hat weiter ausgeführt, dass das Kriterium der strategischen Bedeutung und der Systemrelevanz der Beihilfeempfänger eindeutig den Zweck der fraglichen Beihilfe widerspiegelt.

Zum anderen hat das Gericht festgestellt, dass die Beschränkung der fraglichen Regelung auf nichtfinanzielle Unternehmen, die für die spanische Wirtschaft systemrelevant oder strategisch bedeutend sind, in Spanien niedergelassen sind und dort ihre wichtigsten Arbeitsstätten haben, zur Erfüllung des Zwecks der Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben Spaniens sowohl geeignet als auch erforderlich ist. Sowohl die Kriterien für die Beihilfefähigkeit nach dieser Regelung als auch die Modalitäten der Beihilfegewährung, die darin bestehen, dass sich der spanische Staat vorübergehend am Kapital der betroffenen Unternehmen beteiligt, als auch die nachträglichen Auflagen, die in der Regelung gegenüber Beihilfeempfängern vorgesehen sind6, zeugen vom Willen Spaniens, Unternehmen zu fördern, die in der spanischen Wirtschaft tatsächlich und dauerhaft verankert sind. Diese Vorgehensweise steht im Einklang mit dem Zweck der Regelung, die darauf abzielt, eine beträchtliche Störung im Wirtschaftsleben Spaniens zu beheben, damit sich dieses Wirtschaftsleben mittel- und langfristig entwickeln kann.

Was die Angemessenheit der Beihilferegelung anbelangt, hat das Gericht befunden, dass Spanien dadurch, dass es allgemein geltende, sektorübergreifende Vergabemodalitäten ohne Unterscheidung nach dem betroffenen Wirtschaftszweig vorgesehen hat, berechtigterweise auf Förderkriterien abgestellt hat, die dazu dienen, Unternehmen zu ermitteln, die sowohl eine strategische Bedeutung oder Systemrelevanz für seine Wirtschaft als auch eine dauerhafte, stabile Verbindung mit dieser Wirtschaft aufweisen. Ein anderes Förderkriterium, das Unternehmen einbezogen hätte, die als bloße Dienstleistungserbringer auf spanischem Hoheitsgebiet agieren, hätte keine stabile, dauerhafte Verankerung der Beihilfeempfänger in der spanischen Wirtschaft garantieren können, wie es in der fraglichen Beihilferegelung als grundlegende Notwendigkeit angesehen wurde.

In Anbetracht dieser Feststellungen hat das Gericht bestätigt, dass der Zweck der fraglichen Regelung den Anforderungen der in Art. 107 Abs. 3 Buchst. b AEUV vorgesehenen Ausnahme genügt und dass die Modalitäten der Beihilfegewährung nicht über das hinausgehen, was zur Erfüllung dieses Zwecks erforderlich ist. Somit verstößt diese Regelung weder gegen den Grundsatz der Nichtdiskriminierung noch gegen Art. 18 Abs. 1 AEUV.

Als Zweites hat das Gericht den Beschluss der Kommission nach Maßgabe des freien Dienstleistungsverkehrs und der Niederlassungsfreiheit geprüft, die in den Art. 56 und 58 AEUV verankert sind. Insoweit hat das Gericht darauf hingewiesen, dass der freie Dienstleistungsverkehr nicht ohne Weiteres für den Bereich der Verkehrsdienstleistungen gilt, der einer besonderen Regelung unterliegt, zu der die Verordnung Nr. 1008/20087 gehört. Diese Verordnung dient gerade dazu, die Voraussetzungen für die Anwendung des Grundsatzes des freien Dienstleistungsverkehrs im Luftfahrtsektor festzulegen. Indessen hatte Ryanair jedenfalls nicht dargetan, inwiefern der Ausschluss von der Inanspruchnahme der von der fraglichen Regelung erfassten Rekapitalisierungsmaßnahmen sie daran hindert, sich in Spanien niederzulassen oder Dienstleistungen mit Ausgangs- und Zielpunkt in diesem Land zu erbringen.

Als Drittes hat das Gericht den Klagegrund zurückgewiesen, dass die Kommission ihre Pflicht verletzt habe, die positiven und die negativen Auswirkungen der Beihilfe auf die Handelsbedingungen und die Aufrechterhaltung eines unverfälschten Wettbewerbs gegeneinander abzuwägen. Hierzu hat das Gericht festgestellt, dass eine solche Abwägung durch Art. 107 Abs. 3 Buchst. b AEUV – anders, als es in Art. 107 Abs. 3 Buchst. c AEUV vorgesehen ist – nicht vorgeschrieben wird und dass unter den Umständen des vorliegenden Falles für eine solche Abwägung keine Veranlassung besteht, da eine Vermutung dafür gilt, dass sie positiv ausfiele.

Als Viertes hat das Gericht hinsichtlich der angeblich fehlerhaften Einstufung der fraglichen Maßnahme als „Beihilferegelung“ befunden, dass es sich bei den spanischen Rechtsvorschriften, die die Rechtsgrundlage der fraglichen Maßnahme darstellen8, um Rechtsakte mit allgemeiner Geltung handelt, die sämtliche Merkmale der betreffenden Beihilfe regeln. Diese Rechtsvorschriften ermöglichen bereits für sich genommen, ohne dass nähere Durchführungsmaßnahmen erforderlich wären, sowohl die individuelle Gewährung von Beihilfen an Unternehmen, die dies beantragt haben, als auch die generell-abstrakte Bestimmung der Beihilfeempfänger. Daher ist das Gericht zu dem Schluss gelangt, dass die Kommission die fragliche Beihilfe rechtsfehlerfrei gemäß Art. 1 Buchst. d der Verordnung 2015/1589 als Beihilferegelung einstufen konnte.

Schließlich hat das Gericht die Klagegründe, mit denen eine Verletzung der Begründungspflicht gerügt wurde, als unbegründet zurückgewiesen und festgestellt, dass es keiner Prüfung der Begründetheit des Klagegrundes einer Verletzung der aus Art. 108 Abs. 2 AEUV abgeleiteten Verfahrensrechte bedarf.

1 Um von der fraglichen Beihilferegelung profitieren zu können, müssen die genannten Unternehmen in jedem Fall die weiteren in dieser Regelung vorgesehenen kumulativen Förderbedingungen erfüllen und dementsprechend nachweisen: i) dass sie ohne vorübergehende öffentliche Unterstützung große Schwierigkeiten hätten, ihre Tätigkeiten fortzuführen; ii) dass die erzwungene Einstellung ihrer Tätigkeiten zu schweren Nachteilen für die Wirtschaft oder die Beschäftigungssituation auf nationaler oder regionaler Ebene führen würde; iii) dass ihre mittel- und langfristige Rentabilität durch einen Rentabilitätsplan gewährleistet wird, in dem mögliche Wege zur Überwindung der Krise dargelegt werden und die vorgeschlagene Verwendung der öffentlichen Beihilfe beschrieben wird; iv) dass sie einen Zeitplan für die Rückzahlung der staatlichen Unterstützung durch den Fonds aufgestellt haben; v) dass sie sich am 31. Dezember 2019 nicht bereits in Schwierigkeiten befanden; vi) dass eine private Finanzierung durch Banken oder Finanzmärkte für sie nicht verfügbar ist oder mit Kosten verbunden wäre, die ihre Rentabilität beeinträchtigen würde.

2 Mitteilung C/2020/1863 (ABl. 2020, C 91 I, S. 1), geändert am 3. April 2020 (ABl. 2020, C 112 I, S. 1), am 13. Mai 2020 (ABl. 2020, C 164, S. 3) und am 29. Juni 2020 (ABl. 2020, C 218, S. 3).

3 Beschluss C(2020) 5414 final über die staatliche Beihilfe SA.57659 (2020/N) – Spanien COVID-19 – Rekapitalisierungsfonds.

4 In seinem Urteil vom 17. Februar 2021, Ryanair/Kommission, T-238/20, hat das Gericht in ähnlicher Weise die Rechtmäßigkeit einer Beihilferegelung geprüft, die Schweden als Reaktion auf die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf den schwedischen Luftverkehrsmarkt erlassen hatte (vgl. Pressemitteilung Nr. 16/21). In seinem Urteil vom 14. April 2021, Ryanair/Kommission (Finnair I; Covid-19), T-388/20, hat das Gericht außerdem auf der Grundlage von Art. 107 Abs. 3 Buchst. b AEUV eine von Finnland im Rahmen der Covid-19-Pandemie erlassene Einzelbeihilfemaßnahme geprüft (vgl. Pressemitteilung Nr. 53/21).

5 Nach Art. 1 Buchst. d der Verordnung (EU) 2015/1589 des Rates vom 13. Juli 2015 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 108 [AEUV] (ABl. 2015, L 248, S. 9) versteht man unter einer Beihilferegelung „eine Regelung, wonach Unternehmen, die in der Regelung in einer allgemeinen und abstrakten Weise definiert werden, ohne nähere Durchführungsmaßnahmen Einzelbeihilfen gewährt werden können, beziehungsweise eine Regelung, wonach einem oder mehreren Unternehmen nicht an ein bestimmtes Vorhaben gebundene Beihilfen für unbestimmte Zeit und/oder in unbestimmter Höhe gewährt werden können“.

6 Es handelt sich u. a. um Transparenz- und Rechenschaftspflichten gegenüber den nationalen Behörden in Bezug auf die Verwendung der betreffenden Beihilfe sowie um das Verbot, solange die Beihilfe nicht teilweise oder vollständig zurückgezahlt wurde, übermäßige Risiken einzugehen oder eine durch die Beihilfe finanzierte aggressive Geschäftspolitik zu betreiben, bestimmte Zusammenschlüsse vorzunehmen und Dividenden auszuschütten.

7 Verordnung (EG) Nr. 1008/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. September 2008 über gemeinsame Vorschriften für die Durchführung von Luftverkehrsdiensten in der Gemeinschaft (ABl. 2008, L 293, S. 3).

8 Insbesondere der Real Decreto-ley 25/2020, de medidas urgentes para apoyar la reactivación económica y el empleo, vom 3. Juli (BOE Nr. 185 vom 6. Juli 2020) und der Acuerdo del Consejo de Ministros sobre el funcionamiento del Fondo de Apoyo a la Solvencia de las Empresas Estratégicas (Orden PCM/679/2020 vom 23. Juli 2020) (BOE Nr. 201 vom 24. Juli 2020).