Der Hessische Verwaltungsgerichtshof in Kassel hat am 30.10.2020 zum Aktenzeichen 6 B 2621/20 entschieden, dass die Sperrzeitverlängerung im Landkreis Marburg-Biedenkopf aufgrund eines Ermessensfehlgebrauches vorläufig außer Vollzug gesetzt bleibt.
Aus der Pressemitteilung des Hess. VGH Nr. 46/2020 vom 30.10.2020 ergibt sich:
Mit der „Allgemeinverfügung zur Verlängerung der Sperrzeit für das Gaststättengewerbe sowie für öffentliche Vergnügungsstätten“ im Landkreis Marburg-Biedenkopf vom 19.10.2020, die bis zum 02.11.2020 gültig ist, hat der Landkreis die Sperrzeit für das Gaststättengewerbe sowie für öffentliche Vergnügungsstätten auf 23 Uhr festgesetzt. Zur Begründung führte der Kreis an, die Infektionslage in Bezug auf das Corona-Virus habe sich im Landkreis Marburg-Biedenkopf aktuell extrem nachteilig entwickelt.
Dem Eilantrag der Antragstellerin, die Inhaberin eines Gastronomiebetriebs in Marburg ist, hatte das VG Gießen stattgegeben. Gegen diese Entscheidung hatte der Landkreis Marburg-Biedenkopf Beschwerde eingelegt.
Der VGH Kassel hat nun die Beschwerde des Landkreises zurückgewiesen.
Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes sind die Ermessenserwägungen des Landkreises in Bezug auf die Allgemeinverfügung in wesentlicher Hinsicht unvollständig, so dass ein Fall des sog. Ermessensfehlgebrauchs vorliege. Im vorliegenden Fall sei eine hinreichende Auseinandersetzung der Behörde mit der Verhältnismäßigkeit der Allgemeinverfügung unterblieben. Dies gelte umso mehr, als dass vorliegend die Verlängerung der Sperrstunde einen durchaus empfindlichen Eingriff in die durch das Grundgesetz geschützte Berufsausübungsfreiheit darstelle.
Der Landkreis habe aber – mit Ausnahme des Hinweises auf die zeitliche Befristung der Maßnahme – keine weitere Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgenommen. Es fehlten sowohl Erwägungen zur Erforderlichkeit als auch zur Angemessenheit der Maßnahme in der Allgemeinverfügung. Die Behörde habe in der Allgemeinverfügung lediglich dargelegt, dass die Verlängerung der Sperrzeit im Vergleich zur vollständigen Schließung der gastronomischen Betriebe das mildere Mittel sei und damit nur ein stärker einschneidendes Mittel benannt. Mit möglichen milderen Mitteln, die in gleicher Weise zur Erreichung des Ziels geeignet sein könnten, habe sich die Behörde gar nicht auseinandergesetzt. Auch eine Angemessenheitsprüfung, wonach hätte geprüft werden müssen, ob der Eingriff in angemessenem Verhältnis zu dem Gewicht und der Bedeutung des Grundrechts der Berufsfreiheit stehe, fehle vollständig.
Der Beschluss ist unanfechtbar.