Das Sozialgericht Berlin hat mit Urteil vom 16. Februar 2023 zum Aktenzeichen S 98 U 50/21 entschieden, dass dann, wenn es während einer Betriebsfahrt zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung mit einem anderen Verkehrsteilnehmer kommt, weil dieser sich beleidigend verhält, stellen die daraus resultierenden Verletzungen keinen Arbeitsunfall dar.
Aus der Pressemitteilung des SG Berlin vom 20.03.2023 ergibt sich:
Der 1978 geborene Kläger aus Berlin war als Bauleiter tätig. Im Februar 2020 kehrte er von einem beruflichen Termin zurück, als er die Einfahrt zu seinem Betrieb durch den LKW des Zeugen D. zugeparkt sah. Dieser fuhr trotz mehrfacher Aufforderung nicht beiseite. Der Kläger musste daraufhin sein Auto stehen lassen und das Betriebsgelände zu Fuß betreten. Als er kurze Zeit später wieder zu seinem Wagen zurückkam, um einen neuen betrieblichen Termin wahrzunehmen, kam es zu einem Wortwechsel, bei dem der Zeuge den Kläger als „egoistisches Arschloch“ beschimpfte. Der Kläger, der im Begriff gewesen war in sein Auto zu steigen, schlug die Wagentür wieder zu und ging zu dem Zeugen, um „die Sache auszudiskutieren“. Im Verlauf des Streitgesprächs schlug der Zeuge dem Kläger ins Gesicht. Der Kläger musste daraufhin wegen einer Mittelgesichtsfraktur operiert werden. Die beklagte Unfallversicherung erkannte den Vorfall nicht als Arbeitsunfall an.
Mit Urteil vom 16. Februar 2023 hat die 98. Kammer des Sozialgerichts (in der Besetzung mit einem Berufsrichter und zwei ehrenamtlichen Richtern) die Klage nach mündlicher Verhandlung und Vernehmung des am Vorfall beteiligten Zeugen D. abgewiesen. Dies begründete das Gericht im Wesentlichen wie folgt: Zwar habe sich der Kläger auf einem an sich versicherten Betriebsweg befunden, als er vom Betriebsgelände wieder zu seinem Auto ging. Er habe diesen Betriebsweg jedoch wiederverlassen, als er die Wagentür nach den Beleidigungen des Zeugen noch einmal schloss, um die Angelegenheit auszudiskutieren. Darin liege eine Zäsur. Ab diesem Moment habe das Handeln des Klägers privaten Zwecken gedient, nämlich dem Zur-Rede-Stellen des Zeugen. Während dieser Unterbrechung des Betriebsweges habe kein Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung bestanden. In der obergerichtlichen Rechtsprechung sei anerkannt, dass insbesondere das Zurechtweisen anderer Verkehrsteilnehmer auf dem Weg zur Arbeit oder auf Betriebswegen nicht der betrieblichen Tätigkeit diene und etwaige hieraus resultierende Verletzungen unabhängig vom Verschulden dem privaten Lebensbereich zuzurechnen seien.
Dieses Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Es kann vom Kläger mit der Berufung zum Landessozialgericht Berlin-Brandenburg mit Sitz in Potsdam angefochten werden.